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Unkonzentriert und zappelig: Warum leiden so viele Kinder an ADHS?
Unaufmerksam, hyperaktiv und impulsiv – das sind die Hauptmerkmale von ADHS. Wie erkenne ich, dass mein Kind betroffen ist? Fragen an eine Psychologin.
Hyperaktiv und desorganisiert: Wie erkennen Eltern, dass ein Kind ADHS hat?
Foto: Daniel Biscan | Hyperaktiv und desorganisiert: Wie erkennen Eltern, dass ein Kind ADHS hat?
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:20 Uhr

Etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden an einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS. Während sich die Zahl der von ADHS-Betroffenen in der Bevölkerung nicht verändert hat, stieg die Diagnoserate über die Zeit an, weil früher kaum Kinder diagnostiziert wurden. Während es auf der einen Seite wichtig ist, ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität ernst zu nehmen, sollte auf der anderen Seite eine Diagnose wie ADHS nicht unnötig gestellt werden. Wie kann man feststellen, ob ein Kind wirklich ADHS hat? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Die Psychologin Dr. Julia Geißler von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Würzburg hat Antworten auf diese Fragen.

Unkonzentriert und zappelig ist mit Sicherheit jedes Kind irgendwann einmal. Wann spricht man eindeutig von ADHS?

Dr. Julia Geißler: Die Kernsymptome der ADHS sind neben der Aufmerksamkeitsstörung eine erhöhte Impulsivität und Hyperaktivität. Kinder mit ADHS zeigen nicht immer die gleichen Symptome. Viele der kleinen Patienten sind motorisch hyperaktiv, chaotisch, strotzen vor Energie und lassen sich leicht ablenken. Oftmals haben sie Probleme mit den Hausaufgaben und stören in der Schule. Die Betroffenen handeln oft sprunghaft, können Gefahren nur schwer einschätzen und sie können sich schlecht konzentrieren. Bis zu einem gewissen Grad sind solche Verhaltensweisen nichts Ungewöhnliches. Für die Diagnose ADHS ist die Frage entscheidend, ab wann man von einer Störung oder Erkrankung sprechen kann.

Wie schwerwiegend müssen die Symptome sein, damit ein Kind die Diagnose ADHS bekommt?

Geißler: Eine sichere Diagnose können nur spezialisierte Fachärzte und Psychologen stellen. Bei der Diagnosestellung werden 18 Symptome abgeprüft, je neun aus dem Bereich Aufmerksamkeitsstörung und neun im Bereich Impulsivität und Hyperaktivität. Aber die betroffenen Kinder zeigen nicht immer alle Symptome: Es gibt auch Kinder, die nur unaufmerksam sind (früher "ADS" genannt). Selten gibt es auch Kinder, die nur hyperaktiv sind. Für eine eindeutige Diagnose müssen mindesten sechs Kriterien in einem oder beiden Bereichen erfüllt sein. Die Diagnose wird nur dann gestellt, wenn die Kinder über einen längeren Zeitraum Symptome zeigen, und wenn sie deswegen echte Probleme im Alltag haben, also die Probleme wirklich krankheitswertig sind.

Julia Geißler ist Psychologin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Würzburg.
Foto: Johannes Kiefer | Julia Geißler ist Psychologin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Würzburg.
Wie erkennen die Eltern, dass mit ihrem Kind irgendetwas nicht stimmt?

Geißler: Die Diagnose ADHS erhalten Kinder oft erst mit Beginn der Schulzeit, da dann die Symptome häufig erst wirklich sichtbar werden oder erst dann zu größeren Problemen führen. Denn jetzt müssen die Kinder Regeln einhalten, über einen längeren Zeitraum stillsitzen und sich konzentrieren. Dann geht es in Elterngesprächen zum Beispiel darum, dass die Kinder träumen, den Unterricht stören, sich nicht an die Regeln halten oder Schwierigkeiten haben, Freundschaften zu schließen.

An wen können sich die Eltern dann wenden?

Geißler: Die Eltern können sich an ihre Kinderärztin oder ihren Arzt wenden oder einen Termin bei einem Kinder- und Jugendpsychiater oder einer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche oder auch in unserer Spezialambulanz in der Uniklinik ausmachen. Dort erfolgt eine eingehende Untersuchung des Kindes. Dabei wird versucht, möglichst viele Informationen aus dem Lebensumfeld des Kindes zu sammeln. Zusätzlich zu dem Interview, in dem die Symptome durch einen erfahrenen Kliniker abgeprüft werden, füllen auch Eltern und Lehrkräfte einen Fragebogen aus und das Kind wird in verschiedenen Situationen und bei verschiedenen Aufgaben beobachtet. Im Rahmen der Diagnosestellung muss zudem ausgeschlossen werden, dass die Auffälligkeiten auf andere körperliche oder psychische Ursachen zurückgehen.

Was sind die Ursachen für ADHS?

Geißler: Die Ursachen für ADHS sind zum einen genetische Faktoren, zum anderen gibt es Umwelteinflüsse. Im Detail sind diese noch nicht vollständig geklärt, aber man weiß genau, welche Rolle die Einflüsse jeweils spielen. Dazu gehören Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, bestimmte Infektionen oder Alkohol- oder Nikotinkonsum während der Schwangerschaft. Niemand bekommt also ADHS durch zu viel Fernschauen, falsche Ernährung oder Bewegungsmangel.

Welche Behandlungsmöglichkeiten für ADHS gibt es?

Geißler: Medikamente helfen sehr gut, die Kernsymptome zu reduzieren. Eine Verhaltenstherapie hilft sehr gut, um die familiäre Interaktion positiv zu beeinflussen, Ängste zu reduzieren oder das Sozial- und Regelverhalten zu verbessern. Es kommt darauf an wie stark die Kernsymptome ausgeprägt sind. Wenn diese deutlich sind, macht eine Medikation Sinn.

Wir sprechen jetzt von Ritalin, oder?

Geißler: Der Wirkstoff Methylphenidat, der in Ritalin enthalten ist, gilt international als das Medikament der ersten Wahl. Die Wirkung tritt etwa 30 bis 45 Minuten nach Einnahme der Tabletten ein. Bei den Medikamenten mit kurzer Wirkdauer hält sie etwa drei bis vier Stunden an, dann nimmt sie deutlich ab. Das reicht bei vielen Kindern für den Schulvormittag. Es gibt auch Medikamente, die länger wirken. Manche Familien verzichten am Wochenende oder im Urlaub auf die Einnahme der Tabletten. Andere Präparate würden die behandelnden Ärzte verschreiben, wenn Methylphenidat nicht gut wirkt oder nicht gut vertragen wird.

Trotzdem ist die Gabe von Ritalin nicht unumstritten. Was sind die häufigsten Nebenwirkungen?

Geißler: Die häufigsten Nebenwirkungen bei den Stimulanzien sind eine Verminderung des Appetits und Schlafstörungen, die man aber meist gut in den Griff bekommt. Manche Kinder vertragen das Medikament nicht gut, dann würde man auf eine alternative Medikation wechseln. Blutdruck und Herzfrequenz können unter Behandlung geringfügig erhöht sein. Man muss also immer schauen, dass das Kind ausreichend isst. Insgesamt sind die Medikamente sehr gut untersucht und schwere Langzeitfolgen sind nicht bekannt.

Was können Eltern tun, die ihrem Kind keine Medikamente verabreichen möchten?

Geißler: Verhaltenstherapie hilft sehr gut, um Ängste zu reduzieren oder das Sozial- und Regelverhalten zu verbessern. In einem Elterntraining können Eltern lernen, wie sie ihr Kind unterstützen können, zum Beispiel mit einer wenig ablenkenden Umgebung bei Hausaufgaben. In dem Training lernen sie auch Strategien, die dem Kind helfen, sich zu strukturieren. Diese günstigen Rahmenbedingungen kann man auch in der Schule herstellen, indem das Kind zum Beispiel möglichst weit vorne sitzt und die Lehrkraft das Kind regelmäßig anspricht. Homöopathie, Osteopathie, Vitaminergänzung, Diäten oder andere alternative Verfahren sind unwirksam.

Hilft Sport bei ADHS?

Geißler: Viel frische Luft und Bewegung sind einfach wichtig für Gesundheit, Entwicklung und Wohlbefinden. Sport zu treiben ist für jedes Kind gut. Doch Sport hilft nicht, die ADHS zu heilen. 

Main-Post Akademie

Experten der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Würzburg beantworten im Rahmen der Main-Post Akademie am 27. September um 18 Uhr Fragen zu verschiedenen Themen rund um ADHS. Wie kann ich feststellen, ob mein Kind ADHS hat? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Was passiert, wenn ADHS nicht behandelt wird?
Die Fragen beantworten Professor Dr. Marcel Romanos, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiartrie in Würzburg, die Psychologin Dr. Julia Geissler und Dr. Lorenz Deserno, Professor für Experimentelle Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie.
Der Online-Vortrag findet über die Plattform Zoom statt. Voraussetzung zur Teilnahme ist eine Internetverbindung, ein Smartphone, Tablet oder Laptop/Computer.
Anmeldung: Sie können sich über die Internetseite: akademie.mainpost.de anmelden oder per E-Mail unter kundenservice@mainpost.de oder telefonisch unter (0931) 6001-6001.
clk
 
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  • Margarete-wuestner@web.de
    Methylphenidat/Ritalin wird als ein Betäubungsmedikament geführt und wird in der Klinik im Tresor aufbewahrt. Jede Ausgabe an einen Patient/in muss protokolliert werden und regelmässig von einem Facharzt unterzeichnet und archiviert werden. Ritalin macht abhängig, verändert die Wahrnehmung und die körperlichen Syptome, wie im Bericht beschrieben.
    Also Ritalin ist nach meiner Erfahrung aus dem Klinikbetrieb nicht ganz "ohne".
    Es ist von Vorteil nicht immer der gleichen Meinung mit Berichterstattungen zu sein!
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  • hartwig.schweinfurt@arcor.de
    Heute ist allerdings Krankheit, was früher halt ab und zu so war un d sich dann gegeben hat
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  • Meinungsvertreter
    Früher war es auch schon eine (unbekannte) Krankheit. Dass diese sich irgendwann mal gibt, ist nicht richtig. Es gibt auch ADHS bei Erwachsenen - die Kinder von damals.
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  • Ruffel
    Die Krankheit gibt es schon immer, die Gesellschaft war aber eine andere. Heute ist die schulische Bildung wesentlich wichtiger, da es kaum mehr einfache Arbeiten gibt, mit denen man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und die schulischen Anforderungen sind für die Betroffenen das größte Problem.
    Und ja, vor 100 Jahren hat man das Störungsbild wohl noch nicht als Krankheit beschrieben. Aber das war mit sehr vielen anderen, auch körperlichen, Erkrankungen genauso und ist Teil des medizinischen Fortschritts, dass man zum Beispiel eine Epilepsie als Krankheit erkennt und nicht mehr als Besessenheit vom Teufel.
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  • daniel.englbauer@churchsol.de
    Vor 100 Jahren (oder so) ist ein Buch über ein hyperaktives Kind erschienen: "Der Zappelphilipp" .
    Herr Busch - und mit ihm die Mehrheit der Gesellschaft - hielt das für schlechtes Benehmen 🤔
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  • clubfan2@gmx.de
    scheinbar ist es einfacher
    Medikamente zu geben
    anstatt sich um sein Kind zu kümmern
    und es nicht schon nach 6 Monaten irgendwohin abzuschieben...

    und regeln lernen kann man ja auch schon
    bevor das Kind in die Schule kommt
    aber das wäre ja mit Arbeit verbunden!

    ich hab das zwar nicht studiert
    aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir
    das es da wohl einen Zusammenhang gibt...
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  • Meinungsvertreter
    Vielleicht sollten Sie es besser studieren. ADHS ist eine Entwicklungsstörung im Gehirn. Das hat mit Vernachlässigung oder falscher Erziehung nichts zu tun.
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  • daniel.englbauer@churchsol.de
    Regeln lernen kann man, wenn man den Kopf dafür frei hat. Das Problem von ADHSlern ist, dass ihr Hirn aufgrund eines Botenstoffmangels Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden kann. Die Kinder werden ungefiltert von allem zugeballert, was in ihrem Wahrnehmungsbereich ist.
    Medikamente führen den Botenstoff zu, den der Körper selber nicht produziert.
    Leider lässt er sich auch durch Zuwendung und Knuddeln nicht dazu anregen.
    Ergo: gesunder Menschenverstand ist eine feine Sache. Mit soliden Fakten gefütterter Menschenverstand ist noch besser.
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  • Einwohner
    Stimmt es eigentlich, dass in der Region Würzburg weit überdurchschnittlich oft ADHS diagnostiziert wird?
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  • Meinungsvertreter
    Ja, zumindest vor ein paar Jahren. Grund ist unter anderem das hohe Angebot von Kinder- und Jugendpsychiatern, keine leichtfertigen Diagnosen oder ähnliches.
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  • ralfestenfeld@aol.com
    Trauriges Ergebnis einer sogenannten Expertin: Ritalin first, Zuwendung second. Und alles, was alternativ in Frage kommt wird abgelehnt.
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  • Ruffel
    Haben Sie/ Ihre Kinder eigene Erfahrungen mit dieser Erkrankung? Kennen Sie die Studielage?
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  • Meinungsvertreter
    ADHS ist eine Entwicklungsstörung im Gehirn, die mit Medikamenten und Therapie behandelt wird. Wo genau schließt das Zuwendung aus?
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