Etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden an einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS. Während sich die Zahl der von ADHS-Betroffenen in der Bevölkerung nicht verändert hat, stieg die Diagnoserate über die Zeit an, weil früher kaum Kinder diagnostiziert wurden. Während es auf der einen Seite wichtig ist, ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität ernst zu nehmen, sollte auf der anderen Seite eine Diagnose wie ADHS nicht unnötig gestellt werden. Wie kann man feststellen, ob ein Kind wirklich ADHS hat? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Die Psychologin Dr. Julia Geißler von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Würzburg hat Antworten auf diese Fragen.
Dr. Julia Geißler: Die Kernsymptome der ADHS sind neben der Aufmerksamkeitsstörung eine erhöhte Impulsivität und Hyperaktivität. Kinder mit ADHS zeigen nicht immer die gleichen Symptome. Viele der kleinen Patienten sind motorisch hyperaktiv, chaotisch, strotzen vor Energie und lassen sich leicht ablenken. Oftmals haben sie Probleme mit den Hausaufgaben und stören in der Schule. Die Betroffenen handeln oft sprunghaft, können Gefahren nur schwer einschätzen und sie können sich schlecht konzentrieren. Bis zu einem gewissen Grad sind solche Verhaltensweisen nichts Ungewöhnliches. Für die Diagnose ADHS ist die Frage entscheidend, ab wann man von einer Störung oder Erkrankung sprechen kann.
Geißler: Eine sichere Diagnose können nur spezialisierte Fachärzte und Psychologen stellen. Bei der Diagnosestellung werden 18 Symptome abgeprüft, je neun aus dem Bereich Aufmerksamkeitsstörung und neun im Bereich Impulsivität und Hyperaktivität. Aber die betroffenen Kinder zeigen nicht immer alle Symptome: Es gibt auch Kinder, die nur unaufmerksam sind (früher "ADS" genannt). Selten gibt es auch Kinder, die nur hyperaktiv sind. Für eine eindeutige Diagnose müssen mindesten sechs Kriterien in einem oder beiden Bereichen erfüllt sein. Die Diagnose wird nur dann gestellt, wenn die Kinder über einen längeren Zeitraum Symptome zeigen, und wenn sie deswegen echte Probleme im Alltag haben, also die Probleme wirklich krankheitswertig sind.
Geißler: Die Diagnose ADHS erhalten Kinder oft erst mit Beginn der Schulzeit, da dann die Symptome häufig erst wirklich sichtbar werden oder erst dann zu größeren Problemen führen. Denn jetzt müssen die Kinder Regeln einhalten, über einen längeren Zeitraum stillsitzen und sich konzentrieren. Dann geht es in Elterngesprächen zum Beispiel darum, dass die Kinder träumen, den Unterricht stören, sich nicht an die Regeln halten oder Schwierigkeiten haben, Freundschaften zu schließen.
Geißler: Die Eltern können sich an ihre Kinderärztin oder ihren Arzt wenden oder einen Termin bei einem Kinder- und Jugendpsychiater oder einer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche oder auch in unserer Spezialambulanz in der Uniklinik ausmachen. Dort erfolgt eine eingehende Untersuchung des Kindes. Dabei wird versucht, möglichst viele Informationen aus dem Lebensumfeld des Kindes zu sammeln. Zusätzlich zu dem Interview, in dem die Symptome durch einen erfahrenen Kliniker abgeprüft werden, füllen auch Eltern und Lehrkräfte einen Fragebogen aus und das Kind wird in verschiedenen Situationen und bei verschiedenen Aufgaben beobachtet. Im Rahmen der Diagnosestellung muss zudem ausgeschlossen werden, dass die Auffälligkeiten auf andere körperliche oder psychische Ursachen zurückgehen.
Geißler: Die Ursachen für ADHS sind zum einen genetische Faktoren, zum anderen gibt es Umwelteinflüsse. Im Detail sind diese noch nicht vollständig geklärt, aber man weiß genau, welche Rolle die Einflüsse jeweils spielen. Dazu gehören Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, bestimmte Infektionen oder Alkohol- oder Nikotinkonsum während der Schwangerschaft. Niemand bekommt also ADHS durch zu viel Fernschauen, falsche Ernährung oder Bewegungsmangel.
Geißler: Medikamente helfen sehr gut, die Kernsymptome zu reduzieren. Eine Verhaltenstherapie hilft sehr gut, um die familiäre Interaktion positiv zu beeinflussen, Ängste zu reduzieren oder das Sozial- und Regelverhalten zu verbessern. Es kommt darauf an wie stark die Kernsymptome ausgeprägt sind. Wenn diese deutlich sind, macht eine Medikation Sinn.
Geißler: Der Wirkstoff Methylphenidat, der in Ritalin enthalten ist, gilt international als das Medikament der ersten Wahl. Die Wirkung tritt etwa 30 bis 45 Minuten nach Einnahme der Tabletten ein. Bei den Medikamenten mit kurzer Wirkdauer hält sie etwa drei bis vier Stunden an, dann nimmt sie deutlich ab. Das reicht bei vielen Kindern für den Schulvormittag. Es gibt auch Medikamente, die länger wirken. Manche Familien verzichten am Wochenende oder im Urlaub auf die Einnahme der Tabletten. Andere Präparate würden die behandelnden Ärzte verschreiben, wenn Methylphenidat nicht gut wirkt oder nicht gut vertragen wird.
Geißler: Die häufigsten Nebenwirkungen bei den Stimulanzien sind eine Verminderung des Appetits und Schlafstörungen, die man aber meist gut in den Griff bekommt. Manche Kinder vertragen das Medikament nicht gut, dann würde man auf eine alternative Medikation wechseln. Blutdruck und Herzfrequenz können unter Behandlung geringfügig erhöht sein. Man muss also immer schauen, dass das Kind ausreichend isst. Insgesamt sind die Medikamente sehr gut untersucht und schwere Langzeitfolgen sind nicht bekannt.
Geißler: Verhaltenstherapie hilft sehr gut, um Ängste zu reduzieren oder das Sozial- und Regelverhalten zu verbessern. In einem Elterntraining können Eltern lernen, wie sie ihr Kind unterstützen können, zum Beispiel mit einer wenig ablenkenden Umgebung bei Hausaufgaben. In dem Training lernen sie auch Strategien, die dem Kind helfen, sich zu strukturieren. Diese günstigen Rahmenbedingungen kann man auch in der Schule herstellen, indem das Kind zum Beispiel möglichst weit vorne sitzt und die Lehrkraft das Kind regelmäßig anspricht. Homöopathie, Osteopathie, Vitaminergänzung, Diäten oder andere alternative Verfahren sind unwirksam.
Geißler: Viel frische Luft und Bewegung sind einfach wichtig für Gesundheit, Entwicklung und Wohlbefinden. Sport zu treiben ist für jedes Kind gut. Doch Sport hilft nicht, die ADHS zu heilen.
Also Ritalin ist nach meiner Erfahrung aus dem Klinikbetrieb nicht ganz "ohne".
Es ist von Vorteil nicht immer der gleichen Meinung mit Berichterstattungen zu sein!
Und ja, vor 100 Jahren hat man das Störungsbild wohl noch nicht als Krankheit beschrieben. Aber das war mit sehr vielen anderen, auch körperlichen, Erkrankungen genauso und ist Teil des medizinischen Fortschritts, dass man zum Beispiel eine Epilepsie als Krankheit erkennt und nicht mehr als Besessenheit vom Teufel.
Herr Busch - und mit ihm die Mehrheit der Gesellschaft - hielt das für schlechtes Benehmen 🤔
Medikamente zu geben
anstatt sich um sein Kind zu kümmern
und es nicht schon nach 6 Monaten irgendwohin abzuschieben...
und regeln lernen kann man ja auch schon
bevor das Kind in die Schule kommt
aber das wäre ja mit Arbeit verbunden!
ich hab das zwar nicht studiert
aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir
das es da wohl einen Zusammenhang gibt...
Medikamente führen den Botenstoff zu, den der Körper selber nicht produziert.
Leider lässt er sich auch durch Zuwendung und Knuddeln nicht dazu anregen.
Ergo: gesunder Menschenverstand ist eine feine Sache. Mit soliden Fakten gefütterter Menschenverstand ist noch besser.