Deutschland droht ein Ärztemangel, vor allem Hausärzte in ländlichen Regionen fehlen. Im Bemühen um mehr Nachwuchs gibt es nun gute Nachrichten aus der Uni Würzburg: Dort wird nach langem Ringen ab Januar ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin eingerichtet.
Damit könnte sich ein Problem lösen, das in diesem Wintersemester bei angehenden Allgemeinmedizinern in Mainfranken aufschlägt: Hier weigern sich aktuell Lehrpraxen, Medizinstudenten im Praktischen Jahr aufzunehmen. Sie erwarten eine finanzielle Entschädigung für den Betreuungsaufwand. Die Universität lehnte dies bisher ab, deshalb traten die Lehrhausärzte in den „Streik“.
Praktisches Jahr (PJ) nach dem zehnten Semester im Medizinstudium
Medizinstudenten haben nach ihrem zehnten Semester ein Praktisches Jahr (PJ), bestehend aus drei Blöcken von je vier Monaten, zu absolvieren – in der Chirurgie, der Inneren Medizin und in einem Fach nach Wahl. Während dafür künftige Orthopäden oder Augenärzte in Lehrkliniken landen, arbeiten angehende Allgemeinmediziner in bestimmten Hausarztpraxen mit – an der Universität Würzburg etwa ein Dutzend Studenten pro Jahr. Neun solcher Lehrpraxen in der Region sind derzeit von der Uni per Vertrag autorisiert.
Die jeweiligen Hausärzte lernen die PJ-Studenten an, klären über Medizinisches und Organisatorisches auf, geben praktisches Wissen weiter. Entlohnt werden sie dafür nicht. Wer als Hausarzt einen PJler betreut, tut dies bislang aus Idealismus und Berufsethos. Zumindest in Mainfranken. Andere Universitäten in Deutschland bezahlen die Hausärzte für ihre Ausbildungsleistung.
Hausärzte mit Lehrpraxis streiken im Wintersemester 2017/18
So hat dies vor vier Jahren auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin gefordert, in Unterfranken stellte die Uni eine Entschädigung für die betroffenen Allgemeinärzte in Aussicht. Einer von ihnen ist Dr. Hans-Jörg Hellmuth. Er hat nicht nur eine Familienarztpraxis im Würzburger Stadtteil Lengfeld, sondern leitete in den vergangenen Jahren auch den Lehrbereich für Allgemeinmedizin an der Uni Würzburg – und koordinierte den Einsatz der PJ-Studenten in den Praxen. Diese müssen für den Lehrbetrieb spezielle Berechtigungen und Bewertungen nachweisen. Denn der Lehrplan im Fach Medizin ist einzuhalten.
Hellmuth geht es um die Anerkennung des Aufwandes, der in den Praxen für die Medizinerausbildung betrieben wird – ähnlich wie bei den zweiwöchigen Blockpraktika: Hier erhalten die Ärzte 250 Euro. Weil jahrelanges Bemühen um eine PJ-Entschädigung bei der Würzburger Uni ohne Erfolg blieb, trat er mit anderen Lehrarztkollegen in diesem Winter in einen „Streik“, nahm keinen PJler mehr auf. „Ich denke, dass es zum Sommersemester wieder läuft“, sagte er auf Anfrage der Redaktion.
Hoffnungen ruhen auf dem neuen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin
Denn eine Lösung des Konflikts zeichnet sich ab: Von der Einrichtung des neuen Lehrstuhls für Allgemeinmedizin könnten über dessen Budget auch die PJ-Praxen profitieren. Vor einer Woche wurden – als weibliche Doppelspitze – die beiden Göttinger Professorinnen Anne Simmenroth und Ildikó Gágyor
berufen, sie leiten nun das Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Würzburg. Der Aufbau des Lehrstuhls war bereits 2013 angekündigt, hatte sich damals aber zerschlagen.
Prof. Matthias Frosch, Dekan der Medizinischen Fakultät, ist glücklich, „dass die Allgemeinmedizin jetzt auch akademisch in Würzburg vertreten ist.“ Die Einrichtung des Lehrstuhls sei kein leichtes Unterfangen gewesen, nicht zuletzt finanziell. Jahrelang habe man darum gekämpft. Während der Freistaat baulich viele Millionen Euro in die Unikliniken investiert, wurde der Personaletat seit zwölf Jahren nicht erhöht. Den neuen Lehrstuhl muss die Fakultät deshalb im Wesentlichen über eigene Umschichtungen finanzieren.
Vorsitzender des Hausärzteverbandes hält Streik für falsches Mittel
Frosch verweist auf eine Anweisung aus dem Ministerium, wonach Universitäten die Hausärzte für die PJ-Ausbildung gar nicht bezahlen dürfen. Über Finanzmittel des Lehrstuhls scheint dies aber möglich – so zumindest die Handhabung an der Uni Erlangen und an der TU München, wie Dr. Dieter Geis als Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes weiß. Er selbst betreibt seine Praxis in Randersacker (Lkr. Würzburg) ebenfalls als Lehrpraxis.
Vom aktuellen „Streik“ hält er nichts, beteiligt sich nicht daran und würde bei Bedarf einen PJler aufnehmen. Geis hatte einen Runden Tisch initiiert, um das Problem zu lösen. Mit der Berufung der beiden Professorinnen auf den neuen Lehrstuhl sei man auf einem guten Weg.
Wissenschaftsminister Spaenle kündigt Anschubfinanzierung an
Die Besetzung wurde am Donnerstag von Bayerns Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle auch offiziell bekannt gegeben.
„Ich freue mich, dass es der Würzburger Medizinischen Fakultät gelungen ist, diesen neuen Lehrstuhl einzurichten, und auch, dass Bayern damit nun insgesamt über vier Lehrstühle für Allgemeinmedizin verfügt“, wird er in einer Mitteilung zitiert.
Die Möglichkeit, sich schon während des Studiums intensiv mit der Allgemeinmedizin befassen zu können, sei ist für die Studierenden bereichernd, aber auch von besonderem gesellschaftlichen Wert. Das Wissenschaftsministerium werde den Aufbau des Lehrstuhls durch eine Anschubfinanzierung unterstützen.
Gesundheitsministerin gefällt die geteilte Lehrstuhl-Leitung
Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml betonte: „Wir brauchen gerade mit Blick auf eine älter werdende Gesellschaft mehr Hausärztinnen und Hausärzte, die als erste Ansprechpartner für alle Bürger in der Nähe ihres Wohnorts zu finden sind und dies nicht nur in den Städten, sondern auch in ländlichen Regionen.“ Akademische Vorbilder seien hierfür bereits während des Studiums wichtig. Sie freue sich, dass sich in Würzburg zwei Frauen die Leitung des Lehrstuhls teilen.
Lehrstuhl für Allgemeinmedizin: Die zwei neuen Professorinnen
Nach TU und LMU München sowie der Uni Erlangen bekommt Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg den vierten Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Bayern. Besetzt wurde die Professur mit einer weiblichen Doppelspitze: Prof. Dr. Anne Simmenroth (Lehre) und Prof. Dr. Ildikó Gágyor (Forschung) werden sich die Leitung des Lehrstuhls entsprechend ihren Schwerpunkten teilen – eine Premiere in Würzburg.
Beide waren zuletzt an der Universität Göttingen tätig und wollen weiterhin in einer Hausarztpraxis arbeiten, wie es in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) heißt. Simmenroth ist auch DEGAM-Schriftführerin. Durch ihre langjährige gemeinsame Tätigkeit als Oberärztinnen in Göttingen seien sie aufeinander eingespielt, heißt es. „Wir wollen mit diesem Modell zeigen, dass auch andere – nicht nur allgemeinmedizinische – Lehrstühle in Zukunft geteilt werden könnten“, erklären die beiden Neu-Professorinnen. Forschung Lehre und Patientenversorgung in einer Personen zu vereinen und gleich gut abzudecken, sei selten möglich.