Es liegt im Wesen der Wissenschaften, dass Forscher ins Innerste ihrer Spezialgebiete eintauchen – auf der Suche nach Entdeckungen, nach Schlüsseln zu Erkenntnistüren, nach Antworten auf Fragen der Zukunft. Wenn solche Wissenschaftler dann detailreich über ihre Materie parlieren, schwirrt Laien der Kopf. Denn schwer ist der Stoff, Unbeteiligte verstehen häufig nur: Bahnhof.
Exzellenzstrategie: Uni Würzburg und TU Dresden gemeinsam erfolgreich
Physikalisch-chemisches Analphabetentum? Vielleicht etwas übertrieben. Aber wenn – wie beim Autor dieses Beitrags – aus den beiden Fächern nicht viel vom gymnasialen Unterricht hängen geblieben ist, wird es haarig. Dann sind Voraussetzungen bescheiden, um ansatzweise die „Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien“ zu verstehen. So heißt es, das Exzellenzcluster, mit dem die Universität Würzburg in Zusammenarbeit mit der TU Dresden jüngst bei der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern erfolgreich war.
Es war eine von drei Würzburger Kombi-Bewerbungen in der Endrunde und sollte den Forschern an beiden Standorten von 2019 bis 2025 eigentlich 57 Millionen Euro Fördergeld bringen. Weil bundesweit mehr Unis als geplant zum Zuge kamen, fällt die Summe wohl um ein Viertel geringer aus. Dennoch: Die Julius-Maximilians-Universität (JMU) und die TU Dresden wollen damit ein führendes Zentrum für die Erforschung von neuartigen Quantenmaterialien schaffen, heißt es.
Zwei Jahre Arbeit für den Exzellenz-Antrag
195 Seiten dick ist der Antrag für das Exzellenz-Cluster – eine Art „Forschungsfeld“, weit mehr als ein einzelnes Projekt. Kompetenzen aus Unis und Instituten werden gebündelt. Zwei Jahre lang haben die Antragsteller in Würzburg und Dresden an ihrem Werk gefeilt. Entsprechend groß ist nun die Freude über die Auswahl durch die Expertenkommission.
Die Federführung in Würzburg hat als Clustersprecher der Festkörperphysiker Ralph Claessen. Sein Büro im Physikalischen Institut ist gut versteckt im schmucklosen Bau am Würzburger Hubland. Der Mann wirkt gelassen, strukturiert, kommunikativ, mit einem Lächeln auf den Lippen – das Gegenteil dessen, was man sich klischeehaft unter einem „verwirrten“ Physikprofessor vorstellt. Claessen hat Verständnis für naives Staunen und Ahnungslosigkeit.
Auf der Suche nach neuartigen Materialien
Ja, Grundlagenforschung kann ziemlich abstrakt sein. Also macht er's konkret: „Haben Sie mal überlegt, warum Ihr Handydisplay leuchtet? Oder warum es auf Ihren Fingerdruck reagiert?“ Oder warum es beim Kippen die Ansicht dreht? Möglich machen das extrem kleine Sensoren. Und für sie die passenden Materialien zu entwickeln, daran forscht die Quantenphysik, deren Phänomene normalerweise in der Miniaturwelt, in der Nanowelt einzelner Atome und Elektronen auftreten.
Wo die klassische Physik an ihre Grenzen stößt, tun sich neue Dimensionen auf. Wenn zum Beispiel die Energie eines Elektrons extrem klein ist, wirkt es nicht mehr als Punkt, sondern als Welle. „Na und?“, möchte man fragen. Für Leute wie Claessen ist diese Eigenschaft ein wichtiger Schlüssel. Denn ein Elektron als Welle kann verschiedene Eigenschaften gleichzeitig haben.
Eine andere Welt: Quantenphysik und Topologie
Man muss in anderen Bahnen denken, wenn Claessen an ein berühmtes Gedankenexperiment aus dem Jahr 1935 erinnert, an „Schrödingers Katze“: Die Katze ist dabei tot und lebendig – gleichzeitig. Bis eine Messung Eindeutigkeit herstellt. Diese Parallelität ist es, die zum Beispiel einen Quantencomputer extrem schnell arbeiten lässt. „Das Interesse der Firmen daran ist sehr groß“, weiß der Würzburger Exzellenzphysiker, auch aus der Medizin. Magnetfeldsensoren zum Messen von Gehirnströmen benötigen ebenfalls Quanteneigenschaften.
Das größte Problem dabei: „Quantensysteme sind extrem kurzlebig, sie gehen ganz schnell kaputt.“ Ziel der Forscher ist es, diese Zustände zu stabilisieren und sie – etwa für einen Computerchip – zu nutzen. Hier hilft ihnen die Topologie, die mathematische Untersuchung von Formen und ihrer Anordnung im Raum. Für den Laien wieder ziemlich abstrakt… Exzellenzprofessor Claessen greift zu einem Beispiel: „Haben Sie sich schon gefragt, warum sich Ihr Schnürsenkel einmal beim Ziehen wunderbar löst, beim anderen Mal aber hartnäckig verknotet?“ Gute Frage.
Warum sich der Schnürsenkel löst oder verknotet
„Es hängt von der Art der anfänglichen Verschlingung ab. Sie haben unterschiedliche topologische Charaktere.“ Und dieses Prinzip wollen Forscher wie Claessen nutzen, um Quantenzustände zu stabilisieren und zu schützen. Derlei Erkenntnisse sind schon heute bahnbrechend, 2016 gab es dafür den Physiknobelpreis. Schlüsselbeiträge weltweiter Forschungsaktivitäten kamen aus Würzburg, wo Prof. Laurens Molenkamp den sogenannten Quanten-Spin-Hall-Effekt im Experiment nachgewiesen hat.
Würzburg und Dresden sind mittlerweile international führende Standorte für die Untersuchung topologischer Materialien, beide haben dafür Sonderforschungsbereiche eingerichtet, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In Würzburg trägt er die Nummer 1170 und den Titel „Topological and Correlated Electronics at Surfaces and Interfaces“.
Denkbare Anwendungen für Computer, Sensoren oder Photovoltaik
Molenkamp gilt als Koryphäe, hat die topologische Physik in Würzburg über zehn Jahre aufgebaut und weitere Experten berufen. Beispiel topologische Isolatoren, für deren Erforschung in Würzburg ein neues Zentrum gebaut wird: Hier wird der Strom extrem gut geleitet. „Die Elektronen werden nicht abgebremst“, erklärt Claessen, „weil das Material eben bestimmte topologische Eigenschaften hat.“ Strom wird hier nur an der Oberfläche oder an den Kanten, nicht aber im Inneren geleitet.
Solche noch unbekannten Materialien zu finden, ist das Ziel des Exzellenzclusters. Dann könnten zum Beispiel elektrische Geräte entwickelt werden, die nicht mehr heiß laufen – weil der elektrische Widerstand eben so gering ist. Doch dies wäre nur eine von unzähligen denkbaren Anwendungen. Andere könnten der Quantencomputer, extrem empfindliche Sensoren, hocheffiziente Laser oder Photovoltaik sein. Nicht selten beansprucht der Schritt von der Grundlagenforschung bis in die Praxis mehrere Jahrzehnte.
Die besten Köpfe hinter ein gemeinsames Ziel bringen
Der Würzburger Sonderforschungsbereich ist eine der beiden wichtigsten Säulen des Exzellenzclusters, die andere steht mit der Expertise zum Quantenmagnetismus an der TU Dresden. Die Wissenschaftler beider Universitäten kannten sich schon länger, tauschten sich aus. Vor zwei Jahren dann bündelte man die Kompetenzen, um bei der Exzellenzstrategie erfolgreich zu sein. „Wie ergänzen uns gut“, sagt Claessen.
In dem Cluster werden zwölf Professoren aus Würzburg und 13 aus Dresden zusammenarbeiten. Der Zuschlag ist auch ein Ritterschlag für die Physik an der Julius-Maximilians-Universität: „Im Bereich der Festkörperphysik sind wir einer der stärksten Uni-Standorte in Deutschland“, ist Claessen überzeugt. Er wird – neben Forschung und Arbeit mit Studierenden – nun viel Zeit in Verwaltung und Organisation stecken müssen.
Weltweit die fähigsten Talente für Würzburg gewinnen
Es gilt, neue Professuren für neue Expertisen zu schaffen, auch sechs Nachwuchsgruppen sollen eingerichtet werden mit der Perspektive, später eine Professorenstelle zu übernehmen. „Wir wollen weltweit die besten Talente holen“, gibt der Physikprofessor als Devise aus. Auf dass sich die Exzellenz an der Universität Würzburg ebenso stabilisiert wie quantenmechanische Materiezustände.