Zuletzt sorgten Raserunfälle und die teils harten Urteile für Schlagzeilen. Mit dem Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Würzburg, Professor Frank Zieschang, sprachen wir über die juristischen Hintergründe der Ermittlungen im Unfall vom Sonntag.
Frage: Sind Sie überrascht, dass bei dem Fall nun versuchter Mord im Raum steht?
Prof. Frank Zieschang: Seit den Urteilen von Berlin ist es nicht mehr so außergewöhnlich, dass Staatsanwaltschaften schauen, ob in solchen Fällen nicht möglicherweise ein Mord oder ein versuchter Mord in Betracht kommt. Früher hat man sich da gescheut, den Tötungsvorsatz anzunehmen. In Berlin hatte das Landgericht zwei Männer wegen gemeinschaftlichen Mordes verurteilt, die bei einem illegalen Rennen einen Rentner überfahren hatten. Obwohl der Bundesgerichtshof diese Entscheidung im Anschluss aufgehoben hat, wurden sie später von einer anderen Kammer erneut wegen vollendeten Mordes verurteilt. Und inzwischen gibt es auch Entscheidungen, die Mord bejaht haben und die der Bundesgerichtshof auch gehalten hat. Zum Beispiel wurde gegen ein entsprechendes Urteil in Hamburg Revision eingelegt, der BGH hat das Urteil aber nicht beanstandet.
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Vonseiten der Ermittler ist häufig von Paragraf 315d die Rede. In dem geht es um "verbotene Kraftfahrzeugrennen". Für den juristischen Laien: Wie kommt man jetzt auf versuchten Mord?
Zieschang: Im Strafgesetzbuch finden sich eine ganze Anzahl verschiedener Strafvorschriften. Wenn jemand – wie in dem Würzburger Fall – derart über die Straße gerast ist, bedeutet das, dass oftmals gleichzeitig eine ganze Reihe von verschiedenen Strafbestimmungen verwirklicht sein können. In Betracht kommen in diesem Fall: Körperverletzung (§ 223 StGB), gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB), natürlich der versuchte Mord (§ 211 StGB) und die Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB. Und: ein illegales Kraftfahrzeugrennen. Den entsprechenden § 315d StGB gibt es erst seit Oktober 2017 im Strafgesetzbuch. Diese Delikte stehen unabhängig nebeneinander. Das heißt: Auch wenn es den § 315d StGB nicht gäbe, könnte man natürlich wegen Mordes, Körperverletzung und so weiter anklagen.
Spielt es bei der Anwendung des Paragrafen 315d eine Rolle, ob das zweite Fahrzeug, nach dem noch gefahndet wird, noch gefunden wird?
Zieschang: Der Paragraf hat drei verschiedene Varianten. Die erste, die natürlich hier nicht in Betracht kommt, ist die, dass jemand ein Rennen ausrichtet oder durchführt, also Organisator eines solchen Rennens ist. Das steht hier nicht in Rede. Aber es können Rennen auch spontan entstehen, etwa durch ein Zunicken an der Ampel oder ein gegenseitiges spontanes Kräftemessen. Das wäre die zweite Variante des Paragrafen. Ein Rennen liegt aber nur dann vor, wenn es mindestens zwei Kraftfahrzeugführer gibt, die im Wettbewerb stehen. Den zweiten müsste man im Würzburger Fall also erst noch ermitteln – und dann muss man den Nachweis führen können, dass sie tatsächlich ein Rennen und nicht unabhängig voneinander schnell gefahren sind. Das könnte man zum Beispiel durch Zeugenaussagen belegen. Das heißt, wenn nur einer gerast sein sollte, könnte das allenfalls die dritte Variante nach § 315d Absatz 1 sein, die in der Ursprungsversion des Gesetzes übrigens nicht vorgesehen war. Da geht es um den Alleinraser, der versucht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Noch einmal zum Vorwurf des versuchten Mordes: Da gehört doch Vorsatz dazu? Wie kann man einem Raser einen solchen Vorsatz nachweisen?
Zieschang: Das ist das große Problem, das sich auch in dem beschriebenen Berliner Fall gestellt hat. Das Landgericht hatte damals gesagt, der Fahrer hatte spätestens als er auf die Opfer zugefahren ist Vorsatz. Der BGH war der Meinung, das sei zu spät: Der Wille, jemanden zu schädigen, hätte von vorneherein bestehen müssen.
Da herrscht also auch unter Fachleuten keine Einigkeit.
Zieschang: In der Wissenschaft gibt es da eine große Diskussion. Viele vertreten den Standpunkt, dass es einem solchen Fahrer ja darum geht, sein Auto gerade nicht zu beschädigen, und deswegen sei es schwer einen Tötungsvorwurf zu erheben, weil ein Unfall gar nicht gewollt ist. Es gibt aber in der Praxis einige Entscheidungen, wie eben in Berlin, wo argumentiert wurde, da ist jemand mit über 150 Stundenkilometern über mehrere rote Ampeln gefahren – der hat das in Kauf genommen, dass andere getötet werden. Insgesamt ist das aber in der Tat ein ganz schwieriges Terrain, das der Verteidigung die Möglichkeit eröffnet, zu sagen, die Täter hätten darauf vertraut, dass nichts passiert. Und dann wäre kein Vorsatz mehr da.
Wie bewerten Sie den Schritt der Staatsanwaltschaft, hier die härtest mögliche Variante zu wählen, indem sie versuchten Mord vorwirft?
Zieschang: Wenn die Staatsanwaltschaft einen Untersuchungshaftbefehl erreichen will, muss sie darlegen, dass dringender Tatverdacht besteht. Das heißt, wahrscheinlich – ohne die Details wie Geschwindigkeit oder Ähnliches zu kennen – werden zum jetzigen Zeitpunkt Anhaltspunkte vorliegen, die nahelegen, dass der Betreffende möglicherweise mit entsprechendem Vorsatz gehandelt hat. Das hängt immer vom Stand der Ermittlungen ab, in deren Verlauf sich ein solcher Verdacht erhärten oder entkräften kann. Es kann also auch sein, dass man später bei einer Hauptverhandlung sagt, einen Tötungsvorsatz kann man nicht annehmen. Die Ermittlungen stehen aber noch ganz am Anfang.