Man riecht es. Und schmeckt es. Das Trinkwasser der rund 50 000 Einwohner in zwölf Gemeinden im westlichen Landkreis Würzburg sowie in Zellingen im Landkreis Main-Spessart enthält immer noch Chlor. Und offenbar nicht zu knapp, auch wenn die Chlorung seit dem 21. Januar 2019 in drei Stufen massiv zurückgefahren wurde. Der Grund: Am Zellinger Hochbehälter wird immer noch gebaut.
Dort also, wo am 14. September vor einem Jahr bei dem größten Trinkwasser-Störfall in Unterfranken die Verbraucher teils bis zu drei Wochen lang ihr Leitungswasser abkochen mussten. Bei einer Routineuntersuchung des Wassers hatte man Fäkalkeime gefunden. Die Aufregung in den betroffenen Gemeinden war groß. Ebenso die Wut vieler Bürger über die mangelnde Informationspolitik seitens der Behörden und Betreiber. Die Ursache für die Verunreinigung ist immer noch unklar.
Ein Jahr später wird das Wasser noch drei Mal in der Woche geprüft. 2019 gab es keine mikrobiologischen Auffälligkeiten mehr. Neue Prognose für das Ende der Bauzeit: Frühjahr 2020. Noch werden Fliesen im Rohrkeller verlegt, Wände gestrichen, die Elektroinstallation erneuert, Fenster, Türen und Zaun ausgetauscht, die Zufahrt und das Gelände neu gestaltet. Die lange Verzögerung erklärt Andrea Eik vom Ingenieurbüro Arz damit, dass aus einem ursprünglich geplanten "Wir tauschen die Rohre aus" nach dem Rohrbruch in sieben Metern Tiefe und einer neuen 84 Meter langen Umgehungsleitung eine Kernsanierung des aus den 60er-Jahren stammenden Trinkwassersystems wurde. Die Leinacherin aus dem westlichen Landkreis Würzburg sagt: "Ich wäre die Erste, die sich freuen würde, wenn nicht mehr gechlort wird."
Doch wer denkt, Zellingen sei ein Einzelfall, der irrt. Insgesamt gab es allein in Unterfranken in den vergangenen fünf Jahren bis heute rund 70 Störfälle in Einrichtungen der Trinkwasserversorgung. Dies geht aus einer schriftlichen Anfrage des Würzburger Landtagsabgeordneten Patrick Friedl (Bündnis 90/Die Grünen) an die Staatsregierung sowie einer aktuellen Anfrage dieser Redaktion bei Gesundheitsämtern und Wasserversorgern in ganz Unterfranken hervor.
Betroffen von aktuellen Störfällen, bei denen Fäkalkeime in der Trinkwasserversorgung entdeckt wurden und deren Wasser deshalb gechlort wird, sind Emmerichsthal, Arnstein, Marktheidenfeld (alle Lkr. Main-Spessart), Gramschatz, Oberaltertheim (beide Lkr. Würzburg) und Geiselwind (Lkr. Kitzingen). Ihr Wasser abkochen müssen derzeit nur die Bewohner von Emmerichsthal, doch dafür bereits seit dem 25. Oktober 2018.
Hinter den 70 Störfällen der letzten fünf Jahre verbergen sich mehr als 60 Keimfunde. Dazu kommen Trübungen oder Überschwemmungen durch Starkregen, Störfälle wegen Wasserrohrbrüchen, defekter UV-Anlagen, alter, undichter Leitungen oder der Reinigung von Hochbehältern. Zwei Mal wurden Pflanzenschutzmittel nachgewiesen, einmal wurde Gärsubstrat in einem Wasserschutzgebiet ausgebracht und einmal hatte eine Quelle drei Monate keine Schüttung.
Die Kunden von 21 Wasserversorgern mussten auf Anordnung der Gesundheitsämter ihr Leitungswasser mindestens vier Tage lang abkochen. In vier Fällen länger als einen Monat. Fast 70 Trinkwassernetzen wurde Chlor zugesetzt, von vier Tagen bis zu einigen Jahren. In mehr als 30 Fällen wurde dauerhaft gechlort. Darüber hinaus lag die Schadstoffbelastung des Trinkwassers in 47 Fällen oberhalb der Grenzwerte, darunter einzelne Fälle von Nickel, Nitrat, Arsen, Blei oder Eisen.
Ist Unterfranken bei Trinkwasser-Störfällen Spitzenreiter? Derart detaillierte Daten aus ganz Bayern liegen dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) nicht vor, so ein Sprecher. Anhand der Fälle, die an das Umweltbundesamt gemeldet werden, sei allerdings keine Häufung für die Region ersichtlich.
Und die Gefahr für die Gesundheit? Richtig gefährlich werde es in der Wassermikrobiologie erst mit Erregern wie EHEC, bekannt durch die EHEC-Epidemie 2011 nach dem Verzehr von Sprossen. Die Keime dagegen, die man in Unterfranken fand, müssen je nach Einzelfall bewertet werden, so das LGL. Dies hänge von der Empfänglichkeit des Menschen (Abwehrschwäche), der Art der Exposition (Kontakt mit Wunden?) oder dem Ort des Nachweises (zum Beispiel Intensivstation) ab.