Kleine Mutproben und Wettbewerbe gehören zu Kindheit und Jugend dazu, immer schon. In der digitalen Welt haben sie allerdings eine neue Dimension erreicht: In den sozialen Netzwerken finden sich harmlose und unterhaltsame, aber auch risikoreiche und teils gefährliche "Challenges".
So zersägten an Würzburger Schulen vor zwei Jahren Jugendliche für einen TikTok-Trend zahlreiche Stühle und richteten hohen Schaden an. Und auch ein Feuer in der Maria-Ward-Schule in Würzburg im Februar 2022 könnte auf eine "TikTok-Herausforderung" zurückzuführen sein.
Für Heranwachsende sind Challenges oft faszinierend und verlockend, weiß Leander Müller von der Erziehungs- und Familienberatung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Würzburg. Im Interview erklärt der Sozialpsychologe, was Eltern über die Social-Media-Trends wissen sollten und worauf sie achten können, um ihre Kinder vor Gefahren zu schützen.
Leander Müller: Social-Media-Challenges, also "Wettbewerbe", finden in Netzwerken wie TikTok, Instagram oder YouTube statt. Das funktioniert so: Eine Aktion oder Aktivität wird gefilmt und online geteilt. Das kann ein Tanz sein oder eine lustige Challenge, bei der andere Personen zum Lachen gebracht werden. Es gibt auch Wettbewerbe, wer den schönsten Kuchen backt. Die Bandbreite ist riesig groß. Challenges können Spaß machen und sicher sein, aber sie können auch Risiken und Gefahren bergen, was zu körperlichen Schäden führen kann.
Müller: Erreicht ein Video große Aufmerksamkeit, versuchen andere, die Aktion nachzuahmen, und stellen ihre Version ebenfalls online. So entsteht ein Trend und über einen bestimmten Zeitraum werden zahllose Videos mit einem bestimmten Hashtag gefilmt und hochgeladen. Letztendlich geht es bei all diesen Challenges um Likes, Kommentare und Aufmerksamkeit. Auch auf dem Schulhof sind solche Wettbewerbe oft Gesprächsthema. Vielen jungen Nutzerinnen und Nutzern ist es wichtig, bei den neusten Internet-Trends mitreden zu können.
Müller: Letztlich sind Mutproben keine neuen Phänomene. Es geht darum, die eigenen Grenzen auszutesten. Etwa im Alter von zehn Jahren fangen Heranwachsende an, sich herauszufordern: Sie testen aus, wie weit sie gehen können. Heute haben sich Mutproben teilweise in die digitale Welt verlagert. Wichtig ist, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Eltern sollten immer anbieten, über alles Erlebte - auch in der digitalen Welt - mit den Kindern zu reden. Familien können gemeinsam kreative Videos produzieren, ganz ohne Challenge. Kinder lernen so Videos, die sie anschauen, und die eigene Selbstdarstellung neu zu bewerten. Medienerziehung ist ein Familienthema, dass alle Familien bis zu Volljährigkeit der Kinder begleitet.
Müller: Der Umgang mit Smartphones beginnt bereits im Kindesalter. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2020 besitzen 54 Prozent der Zehn- und Elfjährigen ein eigenes Handy, bei den Zwölf- und 13-Jährigen sind es dann schon 73 Prozent. Grundsätzlich würde ich erst ab einem Alter von etwa zwölf Jahren ein persönliches, mobiles und internetfähiges Handy empfehlen. Die Kinder sollten beim Umgang mit dem Handy Schritt für Schritt von den Eltern begleitet werden. Digitale Medien sollten nicht einfach frei zur Verfügung gestellt werden.
Müller: Medienerziehung vergleiche ich immer mit Verkehrserziehung: Hier erklären wir den Kindern alle Regeln, vom rechts und links schauen, um über die Straße zu gehen bis hin zum Verhalten als Fahrradfahrer im Straßenverkehr. Für Motorfahrzeuge braucht es einen Führerschein. Genauso sollte das auch mit dem Handy aussehen. Das heißt, bevor eine neue App heruntergeladen wird, sollte man erst einmal mit den Kindern darüber sprechen. Das Interesse der Eltern, was genau ihre Kinder im Netz machen, welche Seiten sie mögen oder welche Spiele sie spielen, ist wichtig für Heranwachsende.
Müller: Gruppenchats bei WhatsApp können Kinder schnell unter Druck setzen. Viele Kinder fühlen sich verpflichtet, möglichst schnell auf die Nachrichten zu reagieren. Bestimmte Funktionen verstärken das noch. Die Lesebestätigung zum Beispiel, die durch zwei blaue Häkchen neben der Nachricht angezeigt wird, löst oft das Gefühl aus, sofort antworten zu müssen. In Gruppen mit vielen Mitgliedern können ständige Push-Benachrichtigungen über neue Nachrichten zusätzlich Stress erzeugen. Eltern können mit ihrem Kind besprechen, dass sie nichts verpassen, wenn sie auch mal offline sind und nicht sofort jede Nachricht lesen. Dabei hilft es, die WhatsApp-Gruppen stummzuschalten.
Müller: Ich finde es wichtig, dass man zu allen Themen mit den Kindern im Gespräch bleibt. Ob Kinder wissen, was eine gute Internetseite von einer schlechten unterscheidet, dass man mit privaten Daten vorsichtig umgehen muss, was beim Chatten erlaubt ist und was nicht – diese Kenntnisse bekommt man nur im Gespräch. So kann man auch Mediennutzungszeiten festlegen. Die Vorgaben müssen nicht in Stein gemeißelt sein, im Gegenteil: Die besten Regeln wachsen mit.
Müller: Soziale Medien haben ein hohes Suchtpotential. Wenn Schule, Freunde, Sportverein, andere Hobbys oder Pflichten über mehrere Monate wegen digitaler, medialer Angebote vernachlässigt werden und die Kinder trotz negativer Konsequenzen nicht Abstand nehmen können, dann kann professionelle Hilfe nötig werden. Beratungsstellen können frühzeitig helfen, einen riskanten Medienkonsum als Erziehungsthema ernst zu nehmen und von einer Sucht zu unterscheiden.