Traditionell am Tag der deutschen Einheit hielt der unterfränkische Bund der Vertriebenen seinen Tag der Heimat im Würzburger Rathaus ab. Mit einem halben Dutzend Fahnen der Russlanddeutschen, der Banater Schwaben, der Oberschlesier und anderer zogen Trachtenträgerinnen und -träger gemeinsam mit Landsmannschaftsleuten in bürgerlicher Bekleidung in den großen Ratssaal ein. Es grüßte Oberbürgermeister Christian Schuchardt und er steuerte in seiner Ansprache auf seine Lesart des Jahresmottos dieses Treffens hin, das lautete: "Unrechtsdekrete beseitigen, Europa zusammenführen".
Menschen "mit unterschiedlichsten deutschen Identitäten", so Schuchardt, sollten "ihre Identität bewahren". Der Sohn ostpreußischer Eltern setzte in seiner Rede grauenhafte Taten der NS-Organe in Beziehung zum Leid von Vertriebenen und schloss, die "Geschichte hat keinen ganz ungerechten Verlauf genommen". Da Polen nicht mehr "Heimat werden" könne, gehe es darum, "das europäische Haus weiter zu bauen".
Den Vertriebenenverbänden sprach er die wichtigste Aufgabe zu, Zukunft zu gestalten und Identität zu bewahren, gerade indem sie den Austausch mit den heutigen Bewohnern der einst umstrittenen Gebiete suchten, in Freundschaft und Völkerverständigung: "Seien Sie mir in diesem Sinne ganz, ganz herzlich willkommen."
Siebenbürger Volkstanzgruppe begeistert Besucher
Der Landtagsabgeordnete Oliver Jörg (CSU) bekannte, es gehe ihm "das Herz auf, wenn ich Sie tanzen sehe". Hierfür sorgte zwischen den Redebeiträgen die Siebenbürger Volkstanzgruppe aus Rottendorf. Das Jahresmotto der Unrechtsdekrete war für den Juristen "ein schweres Thema". In das hatte er sich aber detailliert eingearbeitet. So berichtete er, laut heutiger tschechischen Rechtsauffassung seien die Benes-Dekrete immer noch ein "gültiger, wenn auch nicht mehr wirksamer Bestandteil der Rechtsordnung".
Dieser "Rechtsschein" eines Unrechtsdekrets führe auch heute zu einem "fehlenden Unrechtsbewusstsein". Außerdem seien die Vertreibungen schon in den 1940er Jahren ein Verstoß gegen das Völkerrecht gewesen. Er führe dies nicht aus, um "zu relativieren, was zuvor in deutschem Namen" geschah. Aber und jetzt der Dreh zur europäischen Perspektive: "Zu einer gemeinsamen Zukunft gehört es, dass wir aufrichtig sagen, was uns bis heute verletzt. Vertreibung ist mit dem Geist Europas unvereinbar."
Jörg: Nicht über tiefe Wunden hinwegsehen
So gut unterrichtet der Abgeordnete über den aktuellen Status einiger Dekrete war, so passende Beispiele kannte er für gemeinsame Erinnerungsarbeit von Deutschen und Osteuropäern. Man dürfe nur wegen dieser "erfreulichen Entwicklung nicht über die tiefen Wunden hinwegsehen".
Für Jörg, stellvertretender Vorsitzender des Landtagsausschusses für Wissenschaft und Kunst, gehören die Vertriebenen auch und gerade mit ihren kulturellen Traditionen fest zu Bayern. Immerhin siedelten nach dem Zweiten Weltkrieg sehr viele von ihnen in Bayern. Ihre frühere Aufgabe sieht Jörg künftig in vielen Händen: Weil die Vertriebenen-Traditionen zur "bayerischen Identität gehören, kommt die Aufgabe des Gedenkens uns allen zu", also auch künftigen Generationen autochthoner Freistaatsbewohner.