
Die Auseinandersetzung um Antisemitismus an Hochschulen hat Würzburg erreicht. Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität (JMU), hat unter Protest den Historikerverband (VHD) verlassen und damit bundesweit Wellen geschlagen.
Hoeres wirft dem Verband politische Einseitigkeit und Sympathie für umstrittene propalästinensische Aktionen vor – eine Kritik, die der Trierer Historiker Lutz Raphael als VHD-Präsident zurückweist. Was war passiert?
Nach Räumung von Protestcamp: Historikerverband stellt sich hinter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Anfang Mai hatte die Polizei ein propalästinensisches Protestcamp an der Freien Universität Berlin auf Geheiß der Uni-Leitung geräumt. Zuvor war von antisemitischen Parolen berichtet worden. Dennoch sprangen mehr als 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Besetzerinnen und Besetzern mit einem offenen Brief bei. Darin verteidigten sie das Recht der Studierenden auf friedlichen Protest, die Besetzung von Uni-Gelände zähle dazu.
Die "Bild"-Zeitung stellte unterzeichnende Dozenten daraufhin mit Namen und Porträtbildern als antisemitische "Universitäter" und "Israel-Hasser" an den Pranger – was wiederum den Historikerverband zu einer Solidaritätsnote veranlasste. Darin kritisiert der VHD die "persönliche Diffamierung und pauschale Verurteilung von Wissenschaftler:innen".
In der Stellungnahme verteidigt der Verband "freie Diskursräume" an Hochschulen und verweist auf die Hochschulrektorenkonferenz. Sie hatte Proteste, Demonstrationen und Provokationen für legitim erklärt, wenn sie auf Information, Analyse und Verständigung über Argumente angelegt sind.
Historiker der Uni Würzburg sieht Freibrief für Antisemitismus an Hochschulen
Für den Würzburger Peter Hoeres greift die Erklärung des Historikerverbandes zu kurz. Sie sei einseitig und im Grunde ein Freibrief für Antisemitismus an Hochschulen. Kein Wort verliere der Verband über Angriffe auf jüdische und israelische Studenten auch an deutschen Unis, deren Ängste sowie antisemitische Untertöne in Stellungnahmen und bei Protestcamps.
Dafür werde "entgegen der Regeln der deutschen Rechtschreibung gegendert", moniert der Professor auf der Plattform "X" (ehemals Twitter). Außerdem, sagt er, habe der Verband die Hochschulrektorenkonferenz nur verkürzt wiedergegeben. Die weise nämlich auch auf das Hausrecht von Hochschulen hin, wenn Proteste problematisch werden.
Seinen Austritt aus dem Historikerverband machte Hoeres auf "X" publik und rief andere Mitglieder auf, seinem Beispiel zu folgen. Er habe, nicht nur aus der jüdischen Gemeinschaft, viel Zuspruch für seinen Schritt erhalten, sagt Hoeres.
Präsident des VHD weist Vorwurf der politischen Einseitigkeit zurück
Seit der kritisierten Stellungnahme vom 17. Mai haben nach Auskunft von VHD-Präsident Lutz Raphael 19 Mitglieder den Verband verlassen, zehn mit Bezug auf die Erklärung. "Von einer Austrittswelle sind wir nicht betroffen", sagt er.
Gegenüber der Redaktion räumt Raphael "großen Erläuterungsbedarf" ein. Die Stellungnahme sei von Mitgliedern in einer Weise gelesen worden, "die weder dem Text noch unserer Intention entspricht". Der Verband sei überparteilich. Man verteidige die Autonomie der Hochschulen und die Freiheit der Wissenschaft. Dem von Hoeres attestierten Eindruck, der Verband verfolge eine einseitige politische Tendenz, widerspricht der Präsident "mit aller Deutlichkeit".
Der Würzburger Historiker Hoeres liegt schon länger im Clinch mit dem Verband. Dieser überdehne sein Mandat mit einseitigen politischen Stellungnahmen, kritisiert Hoeres. So hatte der VHD 2018 eine Resolution verabschiedet, in der die positiven Aspekte von Migration betont wurden – sehr zum Ärger von Peter Hoeres.
Er postet in sozialen Medien kritisch zu Migration und Genderdebatte und verurteilt den gewaltbereiten Islamismus. Der Historikerverband, findet Hoeres, solle sich nicht inhaltlich zu politischen Fragen positionieren. "Er darf weder rechts noch links sein", sondern müsse die Freiheit der Wissenschaft verteidigen.
Hoeres: "Da wird versucht, uns in die rechte Ecke zu stellen"
Im Jahr 2020 hat Hoeres dies selbst in die Hand genommen und das bundesweite "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" mitbegründet, das gegen sogenannte "Cancel Culture" antritt. Dem Netzwerk gehören derzeit rund 750 Mitglieder an, Hoeres war zeitweilig im Vorstand.
Der Würzburger Historiker bestreitet, dass es sich bei dem Netzwerk um eine neorechte Sammlung handelt, wie Kritiker behaupten. Sie verweisen auf entsprechende Beiträge gegen Migration und Genderdiversität. "Da wird versucht, uns in die rechte Ecke zu stellen", entgegnet Hoeres. Im Netzwerk seien unterschiedliche politische Positionen und im Vorstand ein Grünen-Mitglied vertreten.
Und dass mit dem Juristen Ulrich Vosgerau, Mitglied in CDU und der konservativen "Werteunion", ein bekannter Vertreter des Netzwerks am Potsdamer Treffen rechtsradikaler Kreise teilnahm und dort referierte? "Das wird kritisch diskutiert", sagt Hoeres. Ein Ausschluss Vosgeraus sei aber nicht gerechtfertigt, auch die Uni Köln habe ihm die Lehrbefugnis nicht entzogen.
Würzburger Professor hält Berlin TU-Präsidentin für "zu aktivistisch"
Auch die Berliner TU-Präsidentin Geraldine Rauch hat sich in der Vergangenheit kritisch zum Netzwerk Wissenschaftsfreiheit geäußert. Sie sieht sich aktuell mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, weil sie auf der Plattform "X" mindestens einen antisemitischen Beitrag mit "gefällt mir" markiert hatte. "Das war nur die Spitze des Eisbergs", sagt Hoeres, die TU-Präsidentin habe im aktuellen Nahostkonflikt "einseitig Stellung bezogen" und Pro-Palästina-Studenten verteidigt.
Der Historiker hält Rauch für "zu aktivistisch". Für ihn stelle sich auch mit Blick auf den Historikerverband die Frage: "Wie viel Aktivismus verträgt Wissenschaft?" Entwickelt sich also gerade ein politischer Richtungskampf unter den Akademikern? Der Würzburger Professor widerspricht bedingt. Einem "dominanten linksliberalen Lager" stünden einige gegenüber, die davon abweichen. Peter Hoeres zählt sich dazu.
Prof. Dr. Hoeres befindet sich mit seiner Haltung auf demselben Weg, den in die politische und fachliche Bedeutungslosigkeit, an der die Würzburger Neueste Geschichte allerdings schon seit Jahrzehnten leidet. Sein Recht auf eine rechtskonservative Haltung muss man als Demokrat verteidigen. Sie teilen auf keinen Fall, ihr sogar warnend widersprechen.
Jörg Nellen, Geschäftsführer der Bildungsgewerkschaft GEW Unterfranken