Das Projekt ist gewaltig: Die Würzburger Straßenbahn tauscht alle Züge aus. Der zeitliche Korridor: 18 Fahrzeuge zwischen 2021 und 2023 für 65 Millionen Euro und von 2027 bis 2030 noch einmal 20 Züge für 80 Millionen Euro.
Die Notwendigkeit der Investition war im vorberatenden Ausschuss unbestritten. Doch es gab Ärger um wichtige technische Details. So beinhaltet die Ausschreibung unter anderem ein „Kneeling“ – die Bahn neigt sich dem Fahrgast entgegen – oder eine Niveauregulierung – die Bahn senkt sich ab – für die neuen Züge. Damit soll erreicht werden, dass Menschen im Rollstuhl barrierefrei einsteigen können.
Thomas Naumann, ein Sprecher der „Agenda 21“ für Stadt und Landkreis Würzburg, ist Straßenbahnexperte und und schreibt Artikel in Fachzeitschriften. Er hat mit einem Brief an den Stadtrat, in dem er seine Bedenken deutlich macht, die Debatte ausgelöst. Bei einem Redaktionsgespräch nennt er seine Beweggründe.
„Kneeling geht nur in Bussen“
Für ihn ist das die strittige Frage: Kann Barrierefreiheit durch den Einbau von „Kneeling“ oder einem Niveauausgleich in Fahrzeugen erreicht werden und kann man damit auf eine bauliche Anpassung verzichten? Das erste, was Naumann zerpflückt, sind die Kneeling-Vorstellungen. Er sagt, entsprechende Versuche in Wien seien gescheitert. Das funktioniere nur bei Bussen.
Eine Niveauregulierung könne gut funktionieren, aber nicht bei den Würzburger Bedingungen, meint der Agenda-Sprecher und begründet das so: Dafür brauche man mehr Höhenspielraum. „Wir sind in Würzburg mit unserer Bahnsteighöhe von nur 20 Zentimetern Außenseiter. Das Normalmaß für eine Niederflurstraßenbahn mit Barrierefreiheit liegt aber bei 30 Zentimetern.“
Im Hauptausschuss hatte der technische Leiter der Straßenbahn, Paul Lehmann, als Beispiel einer funktionierenden Niveauregulierung die polnische Stadt Olsztyn genannt.
Naumann dazu: Die haben dort ein Mittelflursystem. Die entscheidenden Bahnsteigkanten sind um 50 Prozent höher als in Würzburg.
Wenig Platz an einigen Haltestellen
Auch wenn die Technik so funktionieren würde, wäre sie nicht imstande, die Würzburger Probleme zu lösen, behauptet der Agenda-Sprecher. Das Grundproblem an einigen Haltestellen ist für ihn die mangelnde Sicherheit wegen beengter Platzverhältnisse. Dazu zähle beispielsweise die Haltestelle Sanderstraße vor den Schulen. Für Naumann führt der Weg an baulichen Veränderungen im Stadtgebiet nicht vorbei.
Was ist, wenn eine speziell auf Würzburg zugeschnittene Niveaulösung im Alltag nicht funktioniert? „Dann stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Die gesetzliche Aufgabe Barrierefreiheit müssen wir trotzdem erfüllen.“ Für ihn steht fest: Die Beschaffung neuer Züge könne verabschiedet werden, ohne die Passagen „Kneeling“ oder Niveauregulierung. Und es gebe preisgünstige zuverlässige und risikolose Alternativen für den Großteil der Haltestellen wie ausklappbare Rampen. Die restlichen müssten im ganzen Stadtgebiet baulich angepasst werden.
Grüne legen Antrag im Stadtrat vor
Auch aus der Fraktion der Grünen erhebt sich Widerspruch. Stellvertretender Fraktionsvorsitzender Patrick Friedl in einer Erklärung: „Eine weitgehend unerprobte Absenke- oder Neigetechnik kann bei Versagen den Straßenbahnbetrieb in Gefahr bringen. Wenn irgend möglich, sollten wir auf bewährte und zuverlässige Techniken setzen.“ Stadtrat Michael Gerr, der selbst einen Rollstuhl nutzt:„ Dies schon deshalb, weil eine vollständige Barrierefreiheit durch EU-Recht gesetzt ist.“
Auf seine Initiative haben die Grünen einen Antrag für die Stadtratssitzung formuliert. Für die Ausschreibung sollen zwei Grundvarianten zur Schaffung der Barrierefreiheit abfragt werden, nämlich für eine Bahnsteighöhe von 20 Zentimetern, was dem Bestand entspricht, und eine weitere mit einer Bahnsteighöhe von 30 Zentimetern. Die Frage möglicher technischer Einrichtungen der Fahrzeuge könnte bei erhöhten Bahnsteigen entfallen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für Gerr die verbleibende Lücke zwischen Bahnsteig und Fahrzeugeingang. Hier soll in die Ausschreibung neu ein Lückenschluss, beispielsweise in Form einer kleinen Rampe aufgenommen werden. Vorher aber noch, so fordert Michael Gerr, „müssen der Behindertenbeirat und die Behindertenverbände angemessen beteiligt werden, was bisher immer noch aussteht.“ Nun muss der Stadtrat in seiner Sitzung am Donnerstag eine Entscheidung treffen.