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WÜRZBURG
Stasi-Kenner stellt Geheimdienst-Biografien vor
Toter Briefkasten: Am 'Alten Kranken', einem Wahrzeichen Würzburgs, versteckte ein DDR-Spion Filme und Manuskripte.
Foto: Patty Varasano | Toter Briefkasten: Am "Alten Kranken", einem Wahrzeichen Würzburgs, versteckte ein DDR-Spion Filme und Manuskripte.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:13 Uhr

Spione sind für Helmut Müller-Enbergs faszinierende Figuren. Nicht die Zerrbilder Hollywoods wie James Bond – das ist dem Berliner Politologen zu weit weg von der Wirklichkeit.

Ihn fesseln echte Geheimdienst-Akteure aus Fleisch und Blut wie der Nachrichtenhändler Josef Urban, der sich 1960 auch in Würzburg herumtrieb und seine Erkenntnisse im Kalten Krieg an ein Dutzend verschiedener Dienste verscherbelte. Oder der Bundesrichter Kurt Behnke, den der Bundesnachrichtendienst (BND) vergeblich als Stasi-Spion zu entlarven versuchte.

„Delikatessen-Spionin“

Gemeinsam mit Armin Wagner schildert der renommierte Kenner speziell des DDR-Geheimdienstes (volkstümlich: Stasi) in einem neuen Buch mit verschiedenen Co-Autoren zehn Leben aus der Welt des Kalten Krieges: den unscheinbaren Oberst Joachim Krase etwa, Vizechef des bundesdeutschen Militärischen Abschirmdienstes (MAD) – und Informellen Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit; Hildegard Zickmann, die Dresdner „Delikatessen-Spionin“ für den amerikanischen Geheimdienst. Oder Martin Riedmayr, Gründer des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, eine illustre Persönlichkeit mit guten Kontakten in Würzburger Polizeikreise bis zurück in die Nazizeit.

Stasi-Forscher Müller-Enbergs (inzwischen Professor) gehört zu jenen Wissenschaftlern, die seit zweieinhalb Jahrzehnten unermüdlich und Dokument für Dokument einen Historiker-Schatz heben: Kaum einer kennt die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR so gut wie er. Als streitbarer und furchtloser Wissenschaftler der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) hat er sich in der Zeit einen Namen gemacht – auch wenn plötzlich enttarnte Spitzel mit Anwalt oder ihren politischen Verbindungen drohten.

Vorträge in Schulen

Als Demokrat hält es Müller-Enbergs für wichtig, zu zeigen, wie der Unterdrückungsapparat in einem undemokratischen Land funktioniert hat. Das heißt zum einen: Forschung und Veröffentlichung von Ergebnissen – auch wenn dadurch Spitzel enttarnt werden, die gehofft hatten, 27 Jahre nach dem Ende der DDR im Dunkeln zu bleiben.

Zum andern heißt das für Müller-Enbergs auch: Vorträge halten, aufklären, warnen, damit Bürger hellwach bleiben bei dem Thema. Wenn der Forscher in seinem leise raunenden Erzählton vor Schülern über die Stasi erzählt – früher in Würzburg am Friedrich-Koenig-Gymnasium, seit Jahren am Rhön-Gymnasium in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) – wird Geschichte für Heranwachsende zum Erlebnis statt zur lästigen Pflicht.

Toter Briefkasten am Alten Kranen

Der Professor der süddänischen Universität Odense hat viel in den Akten gefunden über Unterfranken. Hier war für die Spione im Kalten Krieg nicht der Nabel der Welt, aber auch kein Niemandsland: In Bad Neustadt war von „Reseda“ die Rede, dem Tarnnamen der Stasi für ihren einzigen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) dort.

In Würzburg hat der Forscher schon mit der Geschichte des IM „Traudl“ für Erheiterung gesorgt, der hier militärische Einrichtungen fotografierte. Er deponierte die Filme in einem „toten Briefkasten“ am „Alten Kranen“, einem der Wahrzeichen Würzburgs. Unterhalb des vom Fluss gesehen linken Kranens, zwei Meter rechts von einer Parkbank entfernt, war eine Lücke im Mauerwerk. Dort legte „Traudl“ Filme und Berichte ab, die ein Kurier in die DDR brachte.

Im Kreis Main-Spessart könnte man von einem Top-Spion erzählen, der DDR-Spionage-Chef Markus Wolf hochwertige Informationen aus dem Innenleben der SPD lieferte. Oder von dem konservativen Studenten Dieter H. aus Gerbrunn, der als Reserveoffizier um 1970 herum Einzelheiten von Nato-Manövern verriet. Von einem Schuhmacher, der in Sichtweite der Würzburger Polizeizentrale seine Spionagezentrale betrieb. Von einer bis heute nicht enttarnten Spionin bei der 12. Panzerdivision in Veitshöchheim. Oder von Horst Hesse, der in Würzburg dem US-Geheimdienst die Kartei seiner Ostagenten klaute (siehe Text unten).

In Ochsenfurt hatte der DDR-Geheimdienst die Kontaktperson „Schilling“, von der man weiß, dass sie Jahrgang 1927 war, Physiotherapeut, und seit 1981 von anderen Spionen „abgeschöpft“, also ausgehorcht. Da gibt es den IM „Edith“, Jahrgang 1930, in der Gastronomie tätig, und IM „Rainer“, einen Installateur, der heute 60 Jahre alt ist.

Die Bezirksverwaltung der Stasi in Erfurt kümmerte sich um „Olympia“ – die Bearbeitung der Universität Würzburg. 1988 waren für die Abteilung noch fünf Mitarbeiter und drei bundesdeutsche IMs tätig.

Immer wieder geht es Müller-Enbergs um die Frage: Wie ging es für die Menschen nach aktiver Teilnahme am Nazi-System nach 1945 weiter? Er sagt: „Die deutsche Geschichte hat so viele Brüche, dass es eine Kultur des Neu-Einstellens gibt. Bei Systemwechseln musste man sich immer neu einrichten – mit dem Nachteil, dass man gucken musste, wie man sich im vorhergehenden System verhalten hat.“

Enttarnung der Puppenspione

Manche hatten in der jungen Bundesrepublik Deutschland zwar Karriere gemacht, aber die Biografie klebte so blutig noch an den Händen, dass andere Nachrichtendienste das als Druckmittel nutzen konnten.

Das ist ein Punkt, der den Historiker interessierte: Den vielfältigen Motiven der Spione und Nachrichtenhändler kamen die Autoren durch Akten auf die Schliche, die erst in den vergangenen Jahren freigegeben wurden: Dokumente aus dem amerikanischen Nationalarchiv, von der französischen Justiz, aus dem Bundesarchiv und sogar eingeschränkt aus den Archiven des BND sowie des Militärischen Abschirmdienstes.

„Nicht wenige haben wesentlich aus materiellen Motiven gearbeitet“, fand Müller-Enbergs heraus. „Aber zugleich gab es leidenschaftliche Idealisten, die nie einen Pfennig genommen haben. Obgleich da in vielen Fällen eine ähnliche Sozialisation, ähnliche familiäre Hintergründe vorliegen, gibt es doch unterschiedliches Verhalten.“

Da geht es um tragische Schicksale: Der Präsident des Bundesdisziplinarhofes, Kurt Behnke, führte ein ausschweifendes Liebesleben. Als das öffentlich wurde und er der Spitzeltätigkeit für die DDR-Staatssicherheit verdächtigt wurde, beging er 1964 Selbstmord.

Ein Kapitel beschreibt, wie die Ehepaare Bamler und Kranick in Paris als MfS-Agenten enttarnt wurden. Die „Puppenspione“ hatten Mikrofilme in russischen Puppen versteckt, was sie für viele Jahre ins Gefängnis brachte. Und später zeigte sich: Sie vergeudeten nicht nur ihre besten Jahre hinter Gittern, sondern waren selbst Teil eines „Puppenspiels“ der Geheimdienste, bei dem sie kalt lächelnd geopfert wurden.

Über manche Details kann man heute nur noch den Kopf schütteln. Etwa über den Nachrichtenhändler Urban, von dem es in dem Buch heißt: „Ende September 1960 lokalisierte die CIA Urban in Würzburg und stellte zudem fest, dass er für den britischen Nachrichtendienst und unfreiwillig, um einer Strafverfolgung zu entgehen, auch für einen österreichischen Geheimdienst tätig war.“ Urban kam auf denkbare leichte Art an sowjetisches Geheimmaterial: „Er hatte österreichische Handwerker gewonnen, die in Militärdienststellen eingesetzt wurden und sich dort an Papierkörben oder Heizungsanlagen, in deren Nähe Dokumente zum Verbrennen lagerten, bedienten.“

Helmut Müller-Enbergs, Armin Wagner (Hg.): „Spione und Nachrichtenhändler“ Geheimdienst-Karrieren in Deutschland 1939 – 1989. Ch. Links Verlag, 376 Seiten, 25 Euro

ISBN: 978-3-86153-872-1.

 
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