Gerade einmal 479 Meter misst die neue Ochsenfurter "Stadtpromenade". Und doch kann es leicht eine Stunde dauern, um auf ihr entlang zu spazieren, so viele interessante Dinge gibt es dort zu entdecken. Wie bei der Eröffnung, als Restaurator und Bauforscher Siegfried Scheder die Gäste mitnahm – auf eine Zeitreise durch die Stadtgeschichte. Wir stellen fünf Stationen vor.
1. Die Mainländebahn und das E-Werk – Zeugnisse des Industriezeitalters
Schon der Weg selbst, auf der Trasse der früheren Mainländebahn, ist geschichtsträchtig. 1899 wurde der Schienenstrang gebaut, um den Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Bahnhof mit dem Floßhafen zu verbinden. Baumstämme, die aus Oberfranken auf dem Main geflößt wurden, konnten nun bequem auf die Bahn verladen werden, berichtet Siegried Scheder. Umgekehrt wurde der begehrte Muschelkalk auf der Bahn transportiert, um auf Schiffe verladen zu werden. Allein im ersten Jahr wurden 5000 Waggons auf der Mainländebahn transportiert. Sie steht, so Scheder, beispielhaft für die Entwicklung der Stadt zu einem regionalen Wirtschaftsstandort.
Den Anschluss der Stadt ans moderne Zeitalter verkörpert auch das alte E-Werk am östlichen Ende der Stadtpromenade. Um 1900 ging dort der erste Transformator in Betrieb, das erste elektrische Licht erhellte Ochsenfurts Wohnstuben. Über dem zugeschütteten Stadtgraben wurde 1924 die TVO-Halle errichtet, bis heute ein prägendes Bauwerk.
2. Die Stadt entsteht aus den mittelalterlichen Kloster- und Adelshöfen
Die einstige Stadtbefestigung, die im 19. Jahrhundert dort in Teilen abgebrochen worden war, geriet darüber in Vergessenheit. Erst bei der Umgestaltung des Vorplatzes zum Main hin kamen Fundamente zum Vorschein, die belegen, dass die gesamte Stadt einst von einem doppelten Mauerring umgeben war. Ein Zeichen für die Bedeutung, die Ochsenfurt schon im Mittelalter als Handels- und Verwaltungszentrum hatte.
Die Stadtpromenade führt weiter am Boxviertel vorbei, das früher noch als äußeres Viertel bezeichnet wurde. Im Mittelalter stand hier der Enheimer Hof, berichtet Siegfried Scheder. Benediktiner aus dem Kloster Ahusen lagerten in dem von hohen Mauern umgebenen Geviert die Abgaben ihrer Fronbauern und Zehntpflichtigen. Überhaupt seien es die großen Kloster- und Adelshöfe gewesen, die einst die heutige Altstadt bildeten. Ab dem Jahr 1400 wurden deren Befestigungen zur Stadtmauer verbunden. Die Umgrenzungen wurden von Gassen durchbrochen und mit Häusern überbaut. An einigen Stellen, wie etwa in der Saalhofgasse, sind bis heute Teile dieser mittelalterlichen Umfassungen sichtbar, berichtet Scheder.
3. Der Ursprung der Besiedlung und die erste "Kinderbewahranstalt"
Der Weg führt weiter am Maria-Theresia-Heim vorbei, das um 1790 als Haus eines Wachsbleichers gebaut und 1860 von den Armen Schulschwestern zur ersten "Kinderbewahranstalt" der Stadt umgewidmet wurde. Dahinter erstreckte sich im Mittelalter des Scheckenbach-Viertel, im dem die Färber ansässig waren. Die Kreuzkirche, später im Stil der Gotik erweitert, gilt als das älteste Gotteshaus der Stadt und könnte ein Zeugnis dafür sein, dass in ihrem Umfeld die ersten Ochsenfurter siedelten.
Seit kurzem strahlt dort das Spital in neuem Glanz, dessen Ursprünge bis ins hohe Mittelalter nachweisbar sind. Dessen frühbarocke Volutengiebel und der angrenzende Fachwerkbau prägten seit Alters her die Stadtansicht von der vielbefahrenen Schifffahrtsstraße Main. Bis 2025 soll dort das "Museum Mensch und Main" entstehen, das die vielfältigen Beziehungen des Flusses zu seinen Anrainern facettenreich widerspiegelt.
4. Die Alte Mainbrücke und ihre krumme Brüstung
Die Alte Mainbrücke, deren Vorgängerbau aus dem 12. Jahrhundert um 1512 zur steinernen Bogenbrücke ergänzt wurde, bildete früher den wichtigsten Zugang zur Stadt. Dass die Brückenbrüstung zur Stadt hin in einer Schlangenlinie verläuft, ist keineswegs dem Unvermögen der Baumeister zu verdanken, sondern hat einen ganz praktischen Grund, berichtet Siegfried Scheder.
Zu Füßen der Brücke stand einst die Mainmühle, die bereits um 1340 urkundlich erwähnt wird und abgebrochen wurde, nachdem sie bei einem verheerenden Hochwasser im Februar 1784 Schaden genommen hatte. Weil das Korn über die Brüstung zur Mühle gehoben wurde, baute man die Brücke hier etwas breiter, um den Verkehr nicht zu behindern.
5. Das Schlössle und die einstige Burg vor den Mauern der Stadt
Die Brücke war einst von zwei Türmen und, wie an den übrigen Eingängen zur Stadt, durch einen Zwinger gesichert. An den inneren der beiden Türme lehnte sich das heutige Schlössle an, das Teil einer ganz eigenen Geschichte ist. Auf einer Stadtansicht von 1820 sei noch zu erkennen, dass das Schlössle außerhalb der Mauern stand und von Wasser umspült war, berichtet Scheder.
Teile des Mauerwerks kann Siegfried Scheder auf das Jahr 1250 datieren, was das Schlössle als romanisches Wohnhaus zum ältesten bekannten Profanbau am Main macht. Während bereits um 1320 der Schultheiß des Domkapitels dort wohnte, war das Schlössle zuvor vermutlich Teil einer burgähnlich befestigten Hofanlage. Das Bollwerk war der Hauptzugang zu dieser Burg, der benachbarte Taubenturm mit seinem Lochverlies der Bergfried.
Bei der Freigabe durch Zuckerfee Magdalena Gebhardt zeigte sich Bürgermeister Peter Juks erfreut darüber, dass der Spazierweg in die Stadtgeschichte dank gelungener Teamarbeit mit einem Kostenaufwand von nur 200.000 Euro verwirklicht werden konnte. Neben dem früheren Bauamtsleiter Jens Pauluhn und dessen Nachfolger Roland Zinn gehörten diesem Team der Vorsitzende des Stadtmarketingvereins, Joachim Beck, und die Auszubildenden der Firma Elektro Beck an, die die Beleuchtung in einem Lehrlingsprojekt eigenständig konzipiert und installiert haben.
Etwa 50 Bürgerinnen und Bürger waren der Einladung zur ersten Führung über die neue Stadtpromenade gefolgt. Belohnt wurden sie dafür gleich dreimal mit einem kleinen Umtrunk, und am Schluss mit einem Liedvortrag der Kinder aus dem Kindergarten rechts des Mains.