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WÜRZBURG
„Stadtgespräch“: Massive Kritik an der WSB
Die Straßenbahn ist und bleibt das Herzstück im Würzburger ÖPNV: Ihre Linien transportieren doppelt so viele Fahrgäste wie die Busse.
Foto: Foto:Thomas Obermeier | Die Straßenbahn ist und bleibt das Herzstück im Würzburger ÖPNV: Ihre Linien transportieren doppelt so viele Fahrgäste wie die Busse.
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:16 Uhr

Beim Main-Post-„Stadtgespräch“ über die Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Würzburg waren zweierlei Arten von Experten zugange. Fünf vom Fach standen vor dem Publikum im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus, die anderen, rund 80 Leute, saßen – das waren die Kunden der Würzburger Straßenbahn GmbH (WSB).

Die stehenden Experten stritten über Daten, Fakten und Begrifflichkeiten, die sitzenden waren sich einig: Der ÖPNV muss besser werden.

„Um 21 Uhr die erste Verbindung zum Hauptbahnhof“

Die vermeintlich absurdeste Aussage des Abends schien von einer Dame aus dem Publikum zu kommen. Sie behauptete, sonntags verkehre der erste Bus zwischen Dürrbachau und Hauptbahnhof um 21 Uhr. Sie sprach die Wahrheit.

Paul Lehmann, als WSB-Bereichsleiter stehender Experte, räumte die Kuriosität ein und bestätigte noch mehr Kritik aus dem Publikum: ein Durcheinander an Buslinien, schlechte Anbindungen beim Umsteigen, schlecht bediente Linien, lange Fahr- und Wartezeiten. Besonders der Würzburger Nordosten, sagte der altgediente WSB-Mann, „fordert uns zu großer Neuordnung auf“.

Civity-Studie gibt Würzburg gute Noten

Was die WSB-Passagiere zusammentrugen, steht in scheinbar krassem Gegensatz zu dem, was das Berliner Beratungsunternehmen Civity zu Tage gebracht und die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ in großer Aufmachung berichtet hat: dass die Netzdichte in Würzburg die drittbeste sei unter 55 ausgewählten deutschen Großstädten.

Wie berichtet, ermittelte das Unternehmen 35 Bus- und Straba-Abfahrten pro 100 Einwohner. WSB-Chef Thomas Schäfer und Stadtkämmerer Robert Scheller feierten das Ergebnis in einer eigens einberufenen Pressekonferenz.

Vielen Würzburgern aber schien die Nachricht zu gut, um wahr zu sein. Zu den Ungläubigen gehören Thomas Naumann vom Arbeitskreis Mobilität der Lokalen Agenda 21 und Aljoscha Labeille vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Kritiker zweifeln Methodik der Studie an

Im „Stadtgespräch“ wiederholten sie ihre Attacken auf die Glaubwürdigkeit der Studie; sie zweifeln Datengrundlage und Methodik an. Ihre Argumente kranken allerdings am Umstand, dass sie die Studie nicht im Detail kennen. Civity ist ein kommerzielles Unternehmen, das das Zahlenwerk verkauft, zum Preis von 1800 Euro.

So blieb lange unklar, dass die Civity-Studie kein Grund ist, die WSB zu feiern. Die „Zeit“ hatte nur den Ausschnitt vorgestellt, in dem Würzburg gut wegkam, der Rest ist der Öffentlichkeit unbekannt. Die Zahlenwerke der Berliner ÖPNV-Forscher und -Berater zeigen auch, was die Fahrgäste nervt: Die Vertaktung ist im Vergleich schlechter als im Durchschnitt.

Studie und Fahrgäste bemängeln Vertaktung

Civity-Manager Stefan Weigele, der vierte stehende Experte, erklärte im „Stadtgespräch“, das Haltestellennetz sei zwar „sehr dicht“, aber die „Taktmuster passen nicht zueinander“. Das führe „nicht unbedingt zu guten und stabilen Verbindungen“.

Naumann ergänzte, das Haltestellenetz sei „absurd dicht“, besonders in Lengfeld produziere die WSB „mit einem Riesenaufwand die schlechteste Nachfrage aller Würzburger Stadtteile“.

Stärkere Nachfrage resultiert aus besserem Angebot

In der Wirtschaft bestimmt die Nachfrage das Angebot. Beim ÖPNV ist das, da stimmten alle überein, anders herum: Die Qualität des Angebots bestimmt die Nachfrage. Uneinig waren sich die stehenden Experten, welche Folgen die Malaisen im ÖPNV für die Nachfrage in Würzburg bedeuten.

VCD und Lokale Agenda 21 hatten die Geschäftsberichte der WSB ausgewertet und mit den Berichten des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen verglichen. Ergebnis: Während die Nachfrage zwischen 1999 und 2015 bundesweit um 30 Prozent gestiegen ist, sei sie in Würzburg um 20 Prozent gesunken.

Vor einem halben Jahr veröffentlichten VCD und Lokale Agenda 21 die Zahlen, die WSB widersprach nicht.

WSB: „Tatsächliche Zahlen sind besser“

Im „Stadtgespräch“ erklärte WSB-Bereichsleiter Lehmann, die Zahlen in seinen Geschäftsberichten seien falsch. Tatsächlich hätten alle Jahre ein bis zwei Prozent mehr Passagiere die Straßenbahnen genutzt, während die Zahl der Bus-Passagiere „leicht zurückgegangen“ sei. Die WSB präsentiere sich schlechter, als sie ist. Grund seien Marketingleute, die in den Berichten komplizierte Begriffe und Umstände vereinfachten.

Dass ausgerechnet Marketingleute dafür sorgen sollen, dass ein Unternehmen sich unter Wert vorstellt, machte manche Zuhörer staunen.

Politik ist gefordert

Der fünfte stehende Experte kam mit Verspätung aus dem Stadtrat geeilt: Matthias Pilz, der Faktionsvorsitzende der Grünen und Aufsichtsratsvorsitzende der WSB. Er sagte, die WSB brauche einen Nahverkehrsplan, in dem festlegt ist, welche Strecken wie oft bedient werden sollen. Der Stadtrat müsse ihr sagen, was die Bürger wollen. Den Bau der Straba-Linie 6 ins Frauen- und Hubland erklärte er zu einem Schwerpunkt der Kommunalpolitik in Würzburg.

Nach der Veranstaltung, beim entspannten Plaudern, sagte er noch, was er von der Qualität des würzburgischen ÖPNV hält: „Wir sind nicht gut und wir sind nicht schlecht. Wir sind im ÖPNV wie überall: mittelmäßig.“


Stimmen aus dem Publikum:

Karl Graf (FDP-Stadtrat): „Wenn Würzburg im Ranking auf Platz drei kommt, dann ist das für mich schlicht unglaubwürdig und gefühlt ganz anders. Ich bin der Meinung, der öffentliche Personennahverkehr ist stark verbesserungswürdig. Es ist angesprochen worden, dass die Politik gefragt ist. Das ist richtig, aber dazu gehört auch eine WSB-Geschäftsführung, die mit sich reden lässt.“

Irmgard Heck: „Mir ist es zum wiederholten Male passiert, dass ich auf die Linien von Würzburg nach Lengfeld eine Stunde warten musste. Also Lengfeld ist ja kein Landkreis. Ich habe mehrere Briefe geschrieben, in den Antworten hieß es, dass man aufgrund der wirtschaftlichen Lage an der Taktung nichts ändern könne. Aber am Geld kann es doch wirklich nicht liegen.“

Sebastian Roth (Linken-Stadtrat): „Ich lebe seit mehr als zehn Jahren hier und merke, dass es wenig Fortschritt gibt. Es werden viele Beschlüsse gefasst, bei denen es eigentlich nur darum geht, mit dem Auto besser in die Innenstadt zu kommen. Solange wir immer dazu neigen, die Stadt attraktiver für den Individualverkehr zu machen, werden wir es nie schaffen, den Nahverkehr zu verbessern.“

Petra Pleyer: „Meine Erlebnisse haben mir gezeigt, dass man viel Idealismus beim ÖPNV braucht. Der 35er Bus zur Frankenwarte fährt einmal in der Stunde. Jeder sagt mir, da säße eh keiner drin. Natürlich sitzt da keiner drin, weil die ganzen Eltern von der Frankenwarte Taxi für ihre Kinder spielen, sie wollen sie nämlich nicht eine Dreiviertelstunde unten warten lassen.“

 

„Wenn Würzburg im Ranking auf Platz drei kommt, dann ist das für mich schlicht unglaubwürdig und gefühlt ganz anders. Ich bin der Meinung, der öffentliche Personennahverkehr ist stark verbesserungswürdig. Es ist angesprochen worden, dass die Politik gefragt ist. Das ist richtig, aber dazu gehört auch eine WSB-Geschäftsführung, die mit sich reden lässt.“
Foto: Texte/LKE/Obermeier | „Wenn Würzburg im Ranking auf Platz drei kommt, dann ist das für mich schlicht unglaubwürdig und gefühlt ganz anders. Ich bin der Meinung, der öffentliche Personennahverkehr ist stark verbesserungswürdig.
„Mir ist es zum wiederholten Male passiert, dass ich auf die Linien von Würzburg nach Lengfeld eine Stunde warten musste. Also Lengfeld ist ja kein Landkreis. Ich habe mehrere Briefe geschrieben, in den Antworten hieß es, dass man aufgrund der wirtschaftlichen Lage an der Taktung nichts ändern könne. Aber am Geld kann es doch wirklich nicht liegen.“
Foto: Thomas Obermeier | „Mir ist es zum wiederholten Male passiert, dass ich auf die Linien von Würzburg nach Lengfeld eine Stunde warten musste. Also Lengfeld ist ja kein Landkreis.
„Ich lebe seit mehr als zehn Jahren hier und merke, dass es wenig Fortschritt gibt. Es werden viele Beschlüsse gefasst, bei denen es eigentlich nur darum geht, mit dem Auto besser in die Innenstadt zu kommen. Solange wir immer dazu neigen, die Stadt attraktiver für den Individualverkehr zu machen, werden wir es nie schaffen, den Nahverkehr zu verbessern.“
Foto: Thomas Obermeier | „Ich lebe seit mehr als zehn Jahren hier und merke, dass es wenig Fortschritt gibt. Es werden viele Beschlüsse gefasst, bei denen es eigentlich nur darum geht, mit dem Auto besser in die Innenstadt zu kommen.
„Meine Erlebnisse haben mir gezeigt, dass man viel Idealismus beim ÖPNV braucht. Der 35er Bus zur Frankenwarte fährt einmal in der Stunde. Jeder sagt mir, da säße eh keiner drin. Natürlich sitzt da keiner drin, weil die ganzen Eltern von der Frankenwarte Taxi für ihre Kinder spielen, sie wollen sie nämlich nicht eine Dreiviertelstunde unten warten lassen.“
Foto: Thomas Obermeier | „Meine Erlebnisse haben mir gezeigt, dass man viel Idealismus beim ÖPNV braucht. Der 35er Bus zur Frankenwarte fährt einmal in der Stunde. Jeder sagt mir, da säße eh keiner drin.
Kontroverse Debatte beim ÖPNV-„Stadtgespräch“: (von links) Schröder-Haus-Chefin Anni Hentschel, die ÖPNV-Fachleute Thomas Naumann, Aljoscha Labeille, Stefan Weigele, Matthias Pilz, Paul Lehmann und Moderator Andreas Jungbauer (Main-Post).
Foto: T. Obermeier | Kontroverse Debatte beim ÖPNV-„Stadtgespräch“: (von links) Schröder-Haus-Chefin Anni Hentschel, die ÖPNV-Fachleute Thomas Naumann, Aljoscha Labeille, Stefan Weigele, Matthias Pilz, Paul Lehmann und ...
 
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