Eine rote Wand als Hintergrund. Davor ein roter Barhocker und ein rotes Stehpult. Darauf ein Glas Wasser. Daneben im dunklen Anzug: Olaf Scholz. Emotionsloser könnte die SPD ihren Kanzlerkandidaten kaum inszenieren. Ob das passt für dieses Format?
Unter dem Titel "Zukunftsgespräche" tourt Scholz virtuell durch die Wahlkreise im Land, trifft die örtlichen Kandidaten und diskutiert mit Interessierten. Am Dienstag ist er 75 Minuten in Würzburg. Freya Altenhöner, die örtliche SPD-Bundestagskandidatin, ist Gastgeberin. Der Ochsenfurter SPD-Landtagsabgeordnete Volkmar Halbleib moderiert - von München aus, aber immerhin mit Würzburg-Bild im Rücken.
Schöne neue Welt. Corona verbietet Stammtische und Wahlversammlungen in Innenräumen, auch an Kundgebungen auf Marktplätzen ist derzeit nicht zu denken. Der Bundestagswahlkampf findet in diesem Jahr vor allem in den Medien statt - und stärker denn je im Internet. Alle Parteien werden die Möglichkeiten wohl nutzen. An diesem Dienstag "in Würzburg" sind rund 120 Teilnehmer dabei, um Olaf Scholz über das Videokonferenz-Werkzeug "WebEx" und über Facebook "live" zu begegnen.
Wen Sie erleben? Mehr den seriösen Vizekanzler und amtierenden Finanzminister als den angriffslustigen Wahlkämpfer. Scholz lobt die Politik der Bundesregierung, die millionenschweren Hilfen für die vom Dauer-Lockdown Gebeutelten, auch die Entscheidung seines CDU-Minister-Kollegen Jens Spahn, die Impfungen mit Astrazeneca auszusetzen. SPD-Parteifreund Karl Lauterbach hatte da im Fernsehen anderes gefordert.
Scholz präsentiert sich als solider, kluger Denker
Der Kanzlerkandidat aber ist beim "Besuch in Unterfranken" nicht auf Krawall gebürstet, die Union erwähnt er allenfalls am Rande, die Möchtegern-Gegenkandidaten gleich gar nicht.
Scholz präsentiert sich gemäß allen Klischees - als solider, kluger Denker. Natürlich dürfen die wichtigsten SPD-Forderungen aus dem jüngst veröffentlichten Wahlprogramm nicht fehlen, unter anderem die nach zwölf Euro Mindestlohn, nach besserer Bezahlung in der Pflege, zukunftsfähigen Arbeitsplätzen in der Industrie, bezahlbarer Mobilität, mehr sozialem Wohnungsbau, mehr Geschlechtergerechtigkeit oder einem Lobbyregister, das den Namen auch verdient. "Hier werden wir den Gesetzentwurf noch anschärfen", verspricht der Vizekanzler.
Wie all das ankommt? Ob die Zuhörer daheim - soweit man das überblicken kann in großer Mehrzahl SPD-Sympathisanten - jubeln und klatschen, ist nicht auszumachen. Ein paar Likes bei Facebook, ein paar positive Äußerungen in den Kommentarspalten, das ist es dann schon an Reaktion. Begeisterung für den Kandidaten? Ein Hauch von politischer Kampfeslust, womöglich Leidenschaft? Alles, was lebendigen Wahlkampf ausmacht, lässt dieses Format nicht zu.
Der Schlumpf hätte ein Wahlkampf-Gag werden können
Und der Kanzlerkandidat auch nicht. Anekdoten aus dem wahren (Politiker-)Leben, mit denen sein Vorgänger Martin Schulz vor vier Jahren so nahbar geworden ist, sind vom 62-Jährigen nicht zu erwarten. Ein starker Redner wie Markus Söder, Christian Lindner oder Robert Habeck ist der ehemalige Hamburger Bürgermeister auch nicht. Das muss kein Nachteil sein, wie man an Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel sieht. Für den digitalen Wahlkampf aber ist das fast schon tödlich.
Dabei sah es neulich ja mal kurz so aus, als ginge da noch was in Sachen Emotion bei dem Mann, den sie einst in Berlin den "Scholzomaten" nannten. Nachdem CSU-Chef Söder den Vizekanzler bei der Bund-Länder-Konferenz angegriffen hatte, weil er so "schlumpfig" grinse, da stellten ihm seine Berater in der SPD-Zentrale für die digitale Teilnahme am Nockherberg-Derblecken einen kleinen Schlumpf auf den Tisch. Das hatte dann tatsächlich fast ein klein wenig menschliche Wärme. Und hätte ein Running Gag für den Wahlkampf werden können. Hätte, hätte . . .
Keine überflüssige Show, keine überlangen Reden
Alles nur Schnickschnack, in der Politik kommt es auf die Inhalte an, werden die Genossen sagen. Und ganz unrecht haben sie damit ja nicht. Der Vorteil: Solch eine digitale Veranstaltung verhindert überflüssige Show, überlange Reden. Selten beantwortet ein Spitzenpolitiker in so kurzer Zeit so viele Fragen aus dem Publikum wie Scholz an diesem Dienstag. Ein Verdienst auch von Volkmar Halbleibs strenger Moderation. Egal ob es um die Bürgerversicherung geht, um das Lieferkettengesetz oder Entgeltgleichheit: Der SPD-Kandidat gibt sich keine Blöße. Kritische Stimmen von Zuhörern muss er an diesem Abend allerdings auch nicht fürchten.
Am Ende bleibt virtueller Raum für Freya Altenhöner. Die junge SPD-Kandidatin aus Würzburg kann ihr Profil als engagierte Streiterin für eine diverse Gesellschaft, für die nicht nur theoretische Gleichstellung der Geschlechter schärfen. Vielleicht nutzt das digitale Format am Ende mehr den Bewerbern vor Ort als den Protagonisten aus Berlin. Olaf Scholz jedenfalls verabschiedet sich nach 75 Minuten - zum Live-Interview im ZDF. Da schauen über vier Millionen Menschen zu.