
Vom Blauen Turm bis zum Würzburger Tor mit dem Torturmtheater sind es nur noch ein paar Meter. Und es geht enorm gut voran, findet Friedrich Staib. Im August soll die Sommerhäuser Stadtmauer bis auf ein kleines Stückchen am Rumorknechtsturm rundum saniert sein. Auffällig neu gemacht sieht das zweischalige Bauwerk deswegen nicht aus, schon gar nicht, wo die Mauerblümchen sofort wieder in den Fugen siedeln. Nein, Staib möchte, "dass man die alten Bauabschnitte nach einer Sanierung ablesen kann".
Die etwas mehr als einen Kilometer lange Stadtmauer war schließlich eher über Jahrzehnte als Jahre entstanden. Das meiste von dem, was heute sichtbar ist, soll in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erbaut worden sein. Große Quadersteine, dem Baustil der Stauferzeit um 1200 entsprechend, romanische Bauten wie die Frauenkirche oder der überlieferte Freihof als kaiserlicher Besitz, machen Staib jedoch stutzig: "Ich bin der Meinung, dass die Mauer viel älter ist, ich vermute 13. Jahrhundert". Jedenfalls sind Mauerabschnitte mit größeren, kleineren, sogar behauenen Steinen sowie den entsprechenden Fugen gut unterscheidbar. Genau das ist das Ziel des Sommerhäuser Architekten, der sich mit seinem Büro auf Denkmale spezialisiert hat. Es sollen die alten Strukturen und die Patina der Steine erhalten bleiben.
Die Maurer müssen einen Blick für die Steine haben
Darüber gibt es nicht selten Diskussionen. "Auch Fachleute verstehen es nicht", sagt Staib. "Bei ihnen darf kein Gräslein rauswachsen. Man muss sehen, dass es neu ist". Dafür wird andernorts Mörtel eingespritzt und großflächig mit der Putzmaschine angeworfen, sogar mit beigemischten Pestiziden. Der Überschuss wird wieder abgestrahlt, was aber die Patina zerstört, kritisiert Staib, der auf das Verfugen von Hand setzt mit einem exakt auf das Mauerwerk abgestimmten Mörtel, "im Grunde wie früher".

Die Technik ist ausgefeilt und verlangt Maurer mit dem Blick für die richtigen Steine, die genau in die Fehlstelle und zur Struktur des jeweiligen Mauerstücks passen. Staib vergleicht es mit einem Tetris-Spiel. Leute, die diesen Blick haben und das beherrschen, gibt es nicht allzu viele. Die Mitarbeiter der ebenfalls auf Sanierungen spezialisierten Weimarer Firma Preuße & Rätsch haben diesen Blick. Und sie kennen den verwendeten Sommerhäuser Muschelkalk, der wie vor 500 Jahren aus den Steinbrüchen oberhalb des Ortes kommt, von vielen anderen Denkmal-Baustellen.
Ein Problem ist die Mauerkrone: Wie hoch war die Mauer ursprünglich? Gab es ein gemauertes Dachprofil? Nachdem niemand weiß, wie die "abgebrochene" Mauerkrone einmal aussah, soll sie bleiben wie sie ist. Auf durchschnittlich vier Metern Höhe liegt sie. Teils ist die Mauer aber auch um die sieben Meter hoch und geht im Übrigen heutzutage um die vier Meter tief in die Erde, nachdem die Gräben um die Mauer im 19. Jahrhundert aufgeschüttet worden waren.
Die Mauer soll auch ein Biotop sein
Damit die offene Bruchkante keine Schwachstelle ist, wird im oberen Bereich ein härterer Spezialmörtel verwendet. Die Steine werden dort so gesetzt, dass Wasser ablaufen kann. Die Überdachung der Baustelle schützt die Mauerkrone so lange vor eindringendem Regen – und die Maurer vor zu viel Sonne. Ganz ohne die Spuren der Moderne geht es aber doch nicht: Dünne blaue Schläuche, mit denen Risse verfüllt werden, und Edelstahlstifte, die innere und äußere Mauerschale statisch verbinden, bleiben als Spuren des 21. Jahrhunderts.
Ein weiterer Aspekt ist Friedrich Staib außerdem sehr wichtig. Die Mauer ist ein Biotop für unzählige Lebewesen. Nachdem er mit seinem Haus direkter Anlieger ist, wo die Mauer Reste der Zwinger-Anlage aufweist, weiß er aus eigener Anschauung um diesen Lebensraum, darunter natürlich Asseln, Eidechsen, Spinnen, Bienen und Fledermäuse. Zu den Wildpflanzen wie Zimbelkraut und Vogelmiere vermehrte sich in der Nähe des Flurersturms auf der Mauer sogar eine blaue Schwertlilie, die seit mehr als 100 Jahren an dieser Stelle belegt ist.
Im 19. Jahrhundert wurden viele Durchbrüche geschaffen
Die Pflanzen waren für die Bauzeit zwischengelagert worden und wachsen dort nun im zweiten Jahr wieder üppig. Einzig Efeu wird nicht mehr geduldet, weil er das Mauerwerk aktiv schädigt. Er war stellenweise sogar durch die Mauer hindurch gewachsen. Eindringendes Wasser und damit einhergehende Frostschäden, gelöster Mörtel, lockere, teils zerbrochene Steine – es sind diese Schäden, die behoben werden. Seit 50 Jahren schon, denn der erste Abschnitt war 1972 angegangen worden.
Staib glaubt, dass die Stadtmauer in 500 Jahren noch nie generalsaniert wurde. Wesentliche Veränderungen hatte es im 19. Jahrhundert gegeben, als etliche Durchbrüche geschaffen wurden, um die Wege vor die Mauer zu verkürzen. Waren doch dort die Grabengärten angelegt worden, die auch künftig beibehalten werden. Ein vermeintliches Gartenhäuschen im Graben, nicht weit vom Flurersturm, gilt als die große Überraschung. Es ist das Toilettenhäuschen, das einst zum allerersten Kindergarten auf der anderen Seite der Mauer gehörte, wie Staib herausgefunden hat. "Das hat schon keiner mehr gekannt", sagt er und erklärt, wie er es mit alten Baumaterialien aus seinem Fundus instand gesetzt hat.
Alle arbeiten beim Erhalt der Stadtmauer zusammen
Das war Ehrensache. Genau wie für Altbürgermeister Fritz Steinmann aktuell das Auslesen der Steine, wo der Grabengarten des Flurersturms neu angelegt werden wird. Das Zusammenhelfen für den Erhalt diese Erbes hat glücklicherweise auch bei der Finanzierung der Stadtmauersanierung funktioniert. Inklusive der Restaurierung des Flurersturms kommen die 215 Meter Stadtmauer in zweieinhalb Jahren Bauzeit auf 1,45 Mio. Euro brutto. Ein Drittel davon muss die Marktgemeinde aus ihrer Kasse zahlen. Der Entschädigungsfonds Bayern, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Unterfränkische Kulturstiftung und der Landkreis Würzburg übernehmen den Rest.
"...Ein vermeintliches Gartenhäuschen im Graben, ..., gilt als die große Überraschung. Es ist das Toilettenhäuschen..." Dixi-Klo gespart 😜