Ein Missbrauchsbeauftragter der Kirche als Täter? Wenn sich die jüngsten Vorwürfe jemals als wahr herausstellen sollten, wäre eine Dimension erreicht, die einen nur noch fassungslos und ungläubig werden ließe. Der neue Fall im Bistum Würzburg scheint indes ein altes Vorurteil zu nähren: Die Kirche vertuscht, anstatt die Vorwürfe offen aufzuarbeiten.
Dabei hatte die katholische Kirche doch vor sechs Jahren so sehr Transparenz gelobt: Ende Januar 2010 wurde auch in Deutschland der Umfang des sexuellen Missbrauchs bei Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen in der Öffentlichkeit bekannt. Die deutschen Bischöfe mussten reagieren. Sie hatten keine Wahl und reformierten ihre Leitlinien. „Sexueller Missbrauch vor allem an Kindern und Jugendlichen ist eine verabscheuungswürdige Tat.
Dies gilt besonders, wenn Kleriker oder Ordensangehörige sie begehen“, heißt seit 2010 ein neuer Passus der 2002 eingeführten Richtlinien. Und: „Die Täter fügen der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Sendung schweren Schaden zu. Es ist ihre Pflicht, sich ihrer Verantwortung zu stellen.“
Doch der Wille zur Transparenz war bei den kirchlichen Würdenträgern anscheinend nicht allzu sehr ausgeprägt, denn nach und nach gab es neue Einschränkungen in den Leitlinien. So wurde das ab 2002 ein wenig und ab 2010 weiter geöffnete Tor der katholischen Kirche, durch das ein Einblick in die Art und Weise der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle möglich war, nach und nach wieder ein Stück weit geschlossen. Zwar war es positiv, dass ab März 2010 externe und unabhängige Experten zu Missbrauchsbeauftragten ernannt wurden.
Doch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden ihre Befugnisse beschnitten: Denn schon ab September 2010 durften sie nicht mehr Missbrauchsfälle direkt an die Staatsanwaltschaft übermitteln, dafür war nun ausschließlich die Bistumsleitung verantwortlich.
Auch dass Mitarbeiter im kirchlichen Dienst verpflichtet waren, Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch direkt an den externen Beauftragten zu melden, wurde nach wenigen Jahren wieder aufgehoben. Nun müssen sie laut Punkt 11 der Leitlinien „schnellstmöglich die zuständige Person der Leitungsebene der Institution, bei der sie beschäftigt sind (.. .) informieren“. Das war also nicht mehr der externe und unabhängige Missbrauchsbeauftragte.
Es gibt es nur eine Lösung hin zu mehr Transparenz: Die Verjährungsfristen müssen bei der geplanten Reform des Sexualstrafrechts fallen. Sexueller Missbrauch ist Mord an der Seele und sollte immer bestraft werden können. Dann würden Entscheidungen wie im aktuellen Missbrauchsfall nicht mehr vorkommen. Denn 2014 entschied die Würzburger Bistumsleitung, dass der Fall nicht an die weltliche Justiz weitergeleitet wird. Man befürchtete „Indiskretionen“. Allein ein Kirchengericht untersuchte die Vorwürfe der Frau, die einen hochrangigen Geistlichen – ausgerechnet einen ehemaligen Missbrauchsbeauftragten – der sexuellen Nötigung beschuldigt.
Würde die Kirche die Aufklärung jedes Missbrauchsfalls den staatlichen Strafverfolgungsbehörden überlassen, wäre ein Höchstmaß an Kontrolle gewährleistet und die Kirche müsste sich auch nicht mehr dem Vorwurf der Vertuschung aussetzen.