
Abschiedstournee: Der Schauspieler, Satiriker, Autor, Kabarettist und Musiker Serdar Somuncu, 55, verabschiedet sich von der Bühne und zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Am 16. Dezember tritt er noch einmal mit dem Programm "Seelen Heil! - Das Vierte Reich" im Würzburger CCW auf.
Somuncu war über Jahre mit Live-Auftritten in großen Hallen, Radio- und Fernsehpräsenz und Podcasts eine der prominentesten und immer wieder kontroversesten Medienfiguren Deutschlands. Nun hat er keine Lust mehr. Im Interview, das möglicherweise sein letztes ist, erklärt er, warum.
Serdar Somuncu: Es gibt viele Gründe. Zum einen habe ich einfach keine Lust mehr, mich mit 55 noch als Comedian oder Kabarettist hinter Ironie zu verstecken. Zum anderen hat sich nach Corona sehr viel verändert. Die Stimmung beim Publikum, im Internet, auf der Straße, bei den Menschen allgemein ist sehr aggressiv, man kann kaum etwas machen, ohne dass man missverstanden oder angegriffen wird. Und dann gibt's noch diese Cancel Culture, von der einige sagen, die gäb's gar nicht, aber ich erlebe das anders.
Somuncu: Es ist seit zwei Jahren ein Spießrutenlaufen. Nicht nur durch die Meinungen, sondern auch durch die Instanzen. Wenn man sich zur Wehr setzen muss, weil andere einen angreifen, juristisch etwa. Die Leute gehen sofort zum Anwalt mit dem Anspruch: "Das darf der nicht sagen." Das hat zwar selten Aussicht auf Erfolg, aber der Aufwand, den man als Künstler betreiben muss, um die Arbeit zu verteidigen, die man bisher ungestört machen konnte, ist so groß, das muss ich mir nicht mehr antun.
Somuncu: Das kommt auf den Betrachter und seine Interessen an. Wenn Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten beleidigt, sagen alle, das ist Satire, die Muslime sollen sich mal nicht so anstellen. Aber wenn man Witze über Veganer macht, über Frauen oder Behinderte oder wen auch immer, der sich als marginalisierte Gruppe sieht, dann wird man ganz schnell des Rassismus oder der Frauenfeindlichkeit bezichtigt. Obwohl allen klar ist, dass man auf der Bühne immer auf einer sekundären Ebene unterwegs ist, die sich Ironie nennt.
Somuncu: Ich habe immer gedacht, es wäre ein Kompliment, wenn die Leute mich für meine Rolle halten, aber das war ein Denkfehler. Mittlerweile ist das, was ich tue, so sehr zum Politikum geworden, dass ein Teil der Zuschauer das absichtlich missversteht, um mir daraus einen Vorwurf zu stricken. Es geht immer mehr um Zahlen, um Klicks, aber dass man sich auseinandersetzt und sich für den anderen interessiert und nicht einfach versucht, ihn zu zerstören, das existiert nicht mehr.
Somuncu: Weiß ich nicht, interessiert mich auch echt nicht mehr. Der "Tagesspiegel" kann mich eh am Arsch lecken. Aber was er schreibt, ist doch in Ansätzen richtig. Es ist natürlich auch eine Kapitulation, weil ich, hätte ich genug Kraft oder Trotz, auch hätte sagen können: Nö, ich mach das jetzt erst recht. Aber dann wäre ich in eine Art Dieter-Nuhr-Modus geraten, und das ist eine Endlosschleife. Das können Sie alles gar nicht abarbeiten. Das klingt zwar jetzt super desillusioniert, aber ich höre ja nicht auf, Kunst zu machen. Ich nehme nur eine andere Ebene. Diese hier fühlt sich nicht mehr richtig an.
Somuncu: Ich will abstrakter sein. Um es wie ein bildender Künstler zu sagen: Ich habe sehr viel expressionistisch gearbeitet und war immer sehr konkret. Ich werde in Zukunft vielleicht nicht mehr mit Worten sprechen, sondern mit Tönen oder Farben. Es kann sein, dass es Bilder sind, dass es Musik wird, dass ich inszeniere. Aber ich werde definitiv nicht mehr als Privatperson in der Öffentlichkeit meine Meinung äußern.
Somuncu: Ich kann's noch zugespitzter sagen - am besten ist es in Diktaturen. In der Endphase der DDR etwa musste die Kritik am System ganz indirekt und sehr komplex geäußert werden. Das war das höchste Niveau, das man erreichen konnte. Die Schlussfolgerung daraus wäre, dass Demokratie auch dazu führt, dass die Menschen verrohen. Dass Freiheit und Kapitalismus fördern, dass Menschen zwar denken, sie könnten alles haben, am Ende aber völlig beschränkt sind.

Somuncu: Wir brauchen eine Reformation, nicht nur religiös oder gesellschaftlich, sondern auch künstlerisch. Autonomie war immer das Grundkonstrukt jeder künstlerischen Arbeit. Sie wird im Moment durch diejenigen infrage gestellt, die das höchste Maß an Toleranz gegenüber Kultur haben müssten. Denn die Kritik kommt ja von links. Dass ausgerechnet intellektuelle Linke plötzlich anfangen, das, was man tut, zu sezieren und in falsche Zusammenhänge zu stellen, führt dazu, dass die Künstler sich nicht nur gegen die etablierten Kräfte durchsetzen müssen, sondern zusätzlich gegen ihre eigenen Leute, die eigentlich auf derselben Seite stehen, aber nur um des persönlichen Erfolgs willen ihre eigene Klientel torpedieren.
Somuncu: Mit dem Programm schließt sich ein Kreis. Ich habe mich ja immer mit Nationalsozialismus und Faschismus beschäftigt. Die Figur des "Hassias" war ein Hybrid aus Hitler, irgendeinem Propheten und mir selbst. Jetzt werfe ich sozusagen die Maske ab und gehe dem Kern dieser Idee nach: der Verführbarkeit der Menschen. Wie kann man Menschen an einen Punkt bringen, nicht mehr das zu tun, was sie tun müssten, wenn die Grundlage ihres Handelns Humanismus, Respekt und Toleranz ist, sondern nur noch Pragmatismus und Konformismus?
Somuncu: Könnte sogar das letzte sein. Ich habe im Moment keine weiteren geplant.
Serdar Somuncu: "Das Vierte Reich", CCW Würzburg, 16. Dezember, 20 Uhr. Karten unter somuncu.de
Mir ist der Typ heute in diesem Artikel tatsächlich über den Weg gekommen.
Der Artikel zeigt mir jedoch, dass dieser sogenannte Künstler austauschbar ist, weil keine bleibende Wirkung erzielt wurde.
Ich kenne nunso einige dieses Genres, aber Aussage haben die wenigsten. So auch dieser, denn der „Verlust“ wird kompensiert werden können. Nach 4 Wochen kräht kein Hahn mehr nach ihm, denn er ist weder prägend noch intellektuell wichtig, da er keine Aussage vertritt und nur polemisiert, wie so viele dieser Abziehbilder. Die sind alle austauschbar und nicht nachhaltig erinnerungswürdig.
Das kann weg…
Jedenfalls wünsche ich ihm alles Gute.
Es wird zum Teil schlicht Hass geschürt unter dem Deckmantel der "Ironie", künstlich und eitel erzeugte Spaltung in "die" und "wir", siehe Nuhr.
Sich darauf zurückzuziehen, dass dies die "Bühnenfigur" sei, wird zur Farce, wenn die Trennung nur noch reine Behauptung ist, längst die "Moral" selbst das Programm ist. Die "anderen" sind ja nicht alle intellektuell überfordert, wie Somuncu zu glauben scheint.
Neben Nuhr ist Caroline Kebekus ein absolutes Negativ-Beispiel: deren strukturelle Männerverachtung, Feminismus als "Programm", und letztlich der immer gleiche "Witz" in Endlosschleife entlarvt, dass hier eben KEINE Kunstfigur mehr agiert sondern der Künstler eine "Mission" verfolgt.
Böhmermann ist intellektuell eine völlig andere Liga und dass der damit Erfolg hat, scheint Somuncu quer zu liegen, freilich ohne zu verstehen, warum das so ist: Böhmermann "beleidigt" ja nicht einfach den türkischen Präsidenten....
Wenn denn Böhmermann das nicht einfach macht, hat er denn Beweise oder war er dabei?
https://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boehmermann-schweinefurz-und-ziegen-ficken-gingen-zu-weit-a-1098236.html
Natürlich macht sich Böhmermann in gewissen Kreisen unbeliebt und wird angegriffen und angefeindet, wenn er Doppelstandards, Doppelmoral, Heuchelei und Bauernfängerei entlarvt. Erst vor zwei Tagen wurde eine Sendung aus der Mediathek genommen, weil ein lukratives Geschäftsmodell mit der Manipulation "leidet"...
Und Sie dürfen Böhmermann ja auch weiter "verurteilen" - auch wenn der § 103 StGB abgeschafft wurde und Sie sicher auch diesen Artikel kennen:
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/majestaetsbeleidigung-paragraf-103-strafgesetzbuch-gestrichen-a-1185787.html
Zwischen Böhmermann und Nuhr etc. liegt keine "Geschmacksgrenze" sondern eine intellektuelle und ja, auch eine ideologische - nicht umsonst hat Böhmermann dem "Kollegen" ja eine Sendung gewidmet, mit aufschlussreicher anschließender Debatte in diversen Foren.
Nuhr, Kebekus und wohl auch Somuncu haben sich schlichtweg irgendwo verloren bzw. verrannt; Monika Gruber ist auch so ein trauriges Beispiel.