
Beamte der Ochsenfurter Polizei haben am Freitag bei einem Einsatz Gebrauch von ihrer Schusswaffe gemacht. Laut Polizeibericht war die Streife zu einem Feuerwehreinsatz in der Molkereistraße hinzugezogen worden. Eine Frau hatte demnach auf einem Privatgrundstück Autoreifen verbrannt und die Beamten mit einem spitzen Gegenstand angegriffen, nachdem diese das Grundstück betreten hatten. Die Beamten reagierten mit Schusswaffengebrauch, verletzt wurde laut Polizei niemand.
Die Redaktion hat dem unterfränkischen Polizeipräsidium einige Fragen zum Ablauf des Einsatzes gestellt. Unter anderem wollte die Redaktion wissen, ob die offenbar geistig verwirrte Frau informiert wurde, dass Polizeibeamte ihr Grundstück betreten werden. Gefragt hat die Redaktion außerdem, ob in die Richtung der Frau oder zur Warnung in die Luft geschossen wurde. Auch wurde gefragt, warum die Beamten die Situation nicht durch einen Rückzug vom Gelände deeskaliert haben.
Ermittlungen liegen bei Staatsanwaltschaft Würzburg und Landeskriminalamt
Das Präsidium hat die Anfrage an das Bayerische Landeskriminalamt weitergeleitet. Dort heißt es: "Die Untersuchungen (...) werden, wie in solchen Fällen vorgesehen, durch das Bayerische Landeskriminalamt unter Sachleitung der zuständigen Staatsanwaltschaft Würzburg durchgeführt." Zuständig für weiterführende Fragen sei die Staatsanwaltschaft.
Nach Information der Redaktion wurden beim Einsatz zwei Schüsse abgegeben. Gefragt nach dem Ablauf antwortet die Staatsanwaltschaft: "Zu dem Schusswaffengebrauch in Ochsenfurt haben die kriminalpolizeilichen Ermittlungen gerade erst begonnen. Nähere Erkenntnisse zu den Einzelheiten des Geschehens liegen der Staatsanwaltschaft Würzburg daher noch nicht vor. Insoweit bleibt der Gang der Ermittlungen – insbesondere die Einvernahme der Zeugen – abzuwarten." Bekannt sei, "dass die Grundstücksbesitzerin mittlerweile vorläufig öffentlich-rechtlich untergebracht wurde".
Schusswaffengebrauch durch die Polizei wird derzeit bundesweit diskutiert
Polizeilicher Schusswaffengebrauch wird derzeit bundesweit diskutiert. So wurde Anfang August ein mit einem Messer bewaffneter 23-Jähriger bei einem Polizeieinsatz in Frankfurt durch einen Kopfschuss getötet – die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags. Wenig später tötete die Dortmunder Polizei einen ebenfalls bewaffneten 16-Jährigen mit fünf Schüssen durch eine Maschinenpistole. Einen Tag später erschoss die Polizei einen bewaffneten Mann bei einer Zwangsräumung in Köln.
In Zusammenhang mit dem erschossenen 16-Jährigen in Dortmund sagte der Bochumer Kriminologe Prof. Thomas Feltes gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass es in manchen Situationen besser sei, die Lage zu stabilisieren und sich, wenn möglich, zurückzuziehen.
Was unterm Strich notwendig ist, ist Schulung und Abbau von Berührungsängsten bspw. bei Menschen mit Etikett „psychisch krank“: wie gehe ich mit Personen in Ausnahmesituationen um, wie reagiert bspw. ein Mensch mit Autismusspektrum-Störung, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt etc…
Kritik an der Polizei bzw. deren Vorgehensweise ist jedoch in einem Rechtsstaat weder verboten noch ehrenrührig - sondern notwendig, wenn man Verbesserungen anstrebt.
Die Kritik von Feltes, Behr etc. bezieht sich auf aktuelle Defizite. Es hat sich in der Vorgehensweise seit Jahrzehnten wenig bis nichts geändert, wie man immer wieder am Ergebnis sieht.
Das liegt auch daran, wie solche Fälle in Teilen einer rechtskonservativ-devoten Öffentlichkeit oder von Leuten wie dem unsäglichen DPolG-Vorsitzenden Wendt kommuniziert werden und insbesondere von den Staatsanwaltschaften immer wieder durchgewunken werden.
Wenn auch Gefahren für Dritte abgewehrt werden müssen, ist der Rückzug sicher oft nicht richtig. Hier musste wohl das zeitnahe Löschen des Brandes ermöglicht und die Sicherheit der Feuerwehrleute garantiert werden.
Empfehle dazu beispielhaft das Video zu dem Vorfall 2013 in Berlin, Neptun-Brunnen. Der Polizeibeamte steigt zu einem offenkundig verwirrten Mann, der ein Messer in der Hand hält, IN den Brunnen. Als dieser auf ihn zukommt, kommt es zur Angstreaktion und tödlichen Schüssen.
„Es wird nicht gelehrt wegzugehen“
In Niedersachsen hat die Polizei einen Geflüchteten erschossen. Der Polizeiforscher Rafael Behr spricht über Defizite in der Ausbildung.
.....Viele Polizisten, in der Regel männliche, arbeiten in einem sogenannten Überwältigungsdispositiv, sie bringen sich häufiger in Notwehrsituationen. Sie sind gewohnt anzugreifen und nicht abzuwarten. Die Kultur der Überwältigung ist tief in die Polizistenkultur eingeflochten. Es wird nicht gelehrt wegzugehen, sondern zuzupacken. Das wird dann zum Problem, wenn dieses Verhalten zur Routine wird und den Raum der Verhältnismäßigkeit verlässt."....
Für die Bewertung des Einzelfalls taugt das nix. Man muss aus meiner Sicht immer das konkrete Szenario mit einbeziehen.
Denn man stelle sich vor, die Polizei zieht sich zurück – und der Angreifer verletzt oder tötet daraufhin eine andere Person. Das ist (auch wieder aus meiner Sicht nachvollziehbar) keine Option.
Rückzug ist also nur dann denkbar, falls eine Gefährdung für Dritte aufgrund der konkreten Situation ausgeschlossen werden kann – und das dürfte in der Realität häufig schlicht nicht gegeben sein.
Wir waren alle nicht dabei und wissen deshalb nicht, ob beispielsweise für die Feuerwehr eine mögliche Gefahr von der Frau ausgehen konnte.
Deswegen denke ich, man sollte diese (zugegeben wichtige Grundsatzdiskussion) nicht mit konkreten Einzelfällen vermischen, die möglicherweise nicht in diese Kategorie fallen …