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Würzburg
Scheidender Schulamtsdirektor: "Übertrittsregelung ist nicht zeitgemäß"
Schulamtsdirektor Erwin Pfeuffer verabschiedet sich in den Ruhestand. Ein Rückblick auf Wandel und Entwicklung der Grund- und Hauptschulen - und auch ein Wort der Kritik.
Geht in Coronazeiten in den wohl verdienten Ruhestand: Schulamtsdirektor Erwin Pfeuffer.
Foto: Johannes Kiefer | Geht in Coronazeiten in den wohl verdienten Ruhestand: Schulamtsdirektor Erwin Pfeuffer.
Katja Glatzer
 |  aktualisiert: 09.02.2024 12:48 Uhr

Nach 45 Jahren beendet der Leiter der Staatlichen Schulämter in der Stadt und im Landkreis Würzburg, Erwin Pfeuffer, seine berufliche Schullaufbahn und verabschiedet sich in den Ruhestand. Die Entwicklung der Grund- und Mittelschulen hat er unmittelbar als Lehrer, Konrektor, Rektor, Schulrat und Schulamtsleiter erlebt, mitvollzogen und mitgestaltet. Seine Verabschiedung nutzt er, um zurückzublicken auf den Wandel und die Entwicklung. Seine beruflichen Stationen führten den bald 66-Jährigen nach Kitzingen, Aschaffenburg, Marktbreit, wieder nach Kitzingen, nach Volkach und schlussendlich - erst als Schulrat, dann seit 2012 als Schulamtsdirektor - nach Würzburg. 

Frage: Herr Pfeuffer, Sind Sie angesichts der Coronakrise nicht erleichtert, dass Sie nun Verantwortung abgeben können?

Erwin Pfeuffer: Da haben Sie nicht unrecht. Tatsächlich hatte ich einen Antrag auf Verlängerung meiner Tätigkeit schon eingereicht, diese dann aber nach Gesprächen mit meiner Frau wieder zurückgenommen, als die Coronakrise kam. Damit bin ich nicht unglücklich. Denn schon im ersten Lockdown kam es immer wieder zu grotesken Situationen, zum Beispiel als wir angehenden Lehrern die Prüfung vor einer leeren Klasse abnahmen und sie dabei "nur" theoretisch ihr Konzept für die Stunde erklärten - ohne Bezug zum Schüler. Es ist eine schwierige Zeit für die Schulen, die ich in dieser Form in meiner Laufbahn noch nie erlebt habe.   

Was war das einschneidenste Erlebnis in der Coronakrise?

Pfeuffer: Schulleitungen müssen in der Coronakrise immer tagesaktuell reagieren, zum Beispiel auch bei Maskenverweigerern. Beispielsweise wurde ich dazu gerufen, um ein Gespräch mit Eltern zu führen, die wegen der Maskenpflicht ihres Kindes in Streit mit einem Lehrer geraten waren. Ich konnte im Gespräch Verständnis dafür wecken, dass die Lehrkraft in Fürsorge für alle Schüler das in Corona-Zeiten geltende Reglement einforderte.

Was hat sich im Schulalltag in den vergangenen Jahrzehnten verändert?   

Pfeuffer: Natürlich haben sich viele Dinge strukturell, aber auch inhaltlich verändert. Während es heute selbst an Grundschulen die Offene Ganztagsschule gibt, war das in den 80ern noch gar kein Thema. Auch in puncto Schulfächer hat sich einiges getan, neue kamen dazu, andere wiederum sind von der Bildfläche verschwunden. Ein Fach, an das ich mich gut entsinne, ist das Fach Erziehungskunde. Es beinhaltete allgemeine pädagogische Fragestellungen zur Kindheit, Schulzeit und der Entwicklung der Kinder. Eigentlich war es ein sehr erfolgreiches Fach, aus dem Leben gegriffen. Es konnte jeder Schüler mitreden und zum Beispiel über 'Freude und Ärger' mit Geschwistern berichten. 

Ihr Start als Lehrer begann als Springer in der so genannten Mobilen Reserve. Erzählen Sie mal.  

Pfeuffer: Die Mobile Reserve gibt es seit 1980. Sie wurde eingerichtet, damit Unterricht trotz der Erkrankung eines Lehrers stattfinden kann. Mein erstes Jahr als junger Lehrer verbrachte ich an der Hauptschule in Alzenau (Lkr. Aschaffenburg) als Mobile Reserve. Just in der Zeit gab es ein Überangebot an Lehrern. Darauf wurden wir schon im Studium hingewiesen. Ich wollte trotzdem Lehrer werden, weil ich das Gefühl hatte, dass es zu mir passt. Das hat sich auch so bewahrheitet. Durch die Mobile Reserve konnten die jungen Lehrer sozusagen bei der Stange gehalten werden, denn es war klar, dass wir später gebraucht würden. Anfangs wurden nur  Junglehrer eingesetzt, später wurde es auf alle Altersgruppen der Lehrerschaft ausgeweitet. Gerade in Coronazeiten mit krankheits- und quarantänebedingten Ausfällen hat sich die Mobile Reserve bewährt. 

Ihre erste Schulleiterstelle war an der Hauptschule Kitzingen- Siedlung, anschließend wechselten Sie an die größte Hauptschule Unterfrankens in Volkach. Was haben Sie dort gelernt?   

Pfeuffer: Das war Ende der 90er Jahre und Volkach war aufgrund seiner Größe mit Grund-und Hauptschule auch eine große Herausforderung, die mir zeigte, wie kreativ und ideengebend mehrere Züge an einer Schule sein können. Durch die vier Züge an der Schule war Teamarbeit enorm wichtig und viele Ideen wurden untereinander weitergegeben. Es gab eine fruchtbare Zusammenarbeit und eine positive Konkurrenz unter den Lehrern. 

Erwin Pfeuffer in seinem Büro.
Foto: Ivana Biscan | Erwin Pfeuffer in seinem Büro.
Wie erlebten Sie die Schulreform im Jahr 2000/2001, als der so genannte M-Zweig an die Schulen kam? 

Pfeuffer: Das war eine tolle Erfahrung, denn die Schüler des neu eingeführten Mittlere-Reife-Zuges wirkten im hinzugekommenen zehnten Schuljahr deutlich reifer und hatten ein anderes Auftreten. Deshalb waren sie oft ein Vorbild für die Jüngeren. Ich habe das immer als Gewinn für die Schule gesehen, vor allem in Bezug auf die Bildungschancen der leistungsfähigen Schüler. Generell muss man sagen, dass die Weiterbildungschancen für die Hauptschüler immer besser geworden sind. Ich kenne einige Lehrer, die selbst auf der Hauptschule waren und dann über verschiedene Bildungswege ihr Abitur nachgeholt haben, um dann Lehramt zu studieren. Da stehen zum Glück viele Wege offen. 

Und plötzlich hieß die Hauptschule nicht mehr Haupt- sondern Mittelschule. Was hatte es damit auf sich? 

Pfeuffer: Das Thema kam gerade auf, als ich mein Amt als Schulamtsdirektor 2010 relativ neu inne hatte. Vor allem dadurch, dass die Schülerzahlen an der Mittelschule sehr zurückgingen und an vielen Standorten in die Einzügigkeit mündeten. Um das Schulangebot weiter attraktiv zu gestalten und tragfähige Schulstrukturen zu erhalten, wurden Hauptschulen unter dem Begriff der "Mittelschule" zusammengefasst und jeder Standort spezialisierte sich auf ein Angebot - entweder Regel-Zweig, M-Zweig oder Ganztag. Später wurden manche Standorte durch den Rückgang der Schülerzahlen bedingt aufgelöst, so beispielsweise in Röttingen, Helmstadt oder Estenfeld.

Wo sehen Sie im Jahr 2021 die Herausforderungen an den Mittelschulen?  

Pfeuffer: Unsere Lehrer haben vor allem in der Mittelschule die schwierigste pädagogische Aufgabe zu meistern. Da kommt übrigens auch der Faktor Inklusion dazu. Das zum Beispiel ist ein Aufgabenbereich, für den unsere Lehrer nicht ausgebildet sind. Für die Schüler mit starkem Förderbedarf brauchen wir ganz dringend mehr Fachkompetenz, das heißt mehr Sonderpädagogen und Förderlehrer. Insgesamt sind die Aufgaben für unsere Lehrkräfte mehr geworden. Hinzu kommt, dass die Erwartungshaltung vieler Eltern größer geworden ist. Das merkt man gerade in Zeiten von Corona sehr deutlich. 

Sie plädieren zudem für die Einführung eines zehnten Schuljahres für alle Mittelschüler?

Pfeuffer: Unsere Regelschüler sind oft zu jung und nicht reif genug, wenn sie in den Beruf starten sollen. Ich empfinde es nicht als gerecht, dass ihre Bildung nach der neunten Klasse aufhören soll. Es müsste auch für die Regelschüler eine Beschulung bis zum zehnten Schuljahr geben. Dort können ja gerne praktische Dinge und wichtige gesellschaftliche Themen behandelt werden. Für mich ist es eine  Bildungsungerechtigkeit, dass da nicht gleichwertig investiert wird.    

Auch die Übertrittsregelung an den Grundschulen halten Sie für fragwürdig... 

Pfeuffer: Ja. Das ist nicht zeitgemäß und sollte überdacht werden. Lehrer der Grundschulen tragen die Verantwortung dafür, ob ein Kind für den Übertritt an Realschule oder Gymnasium geeignet ist und geben somit eine Prognose für die zukünftige schulische Entwicklung des Kindes ab. Diese Aufgabe ist eine große Belastung für die Lehrkräfte. Zudem ist diese notenbasierte Übertrittsregelung eine dauerhafte Ursache von Stress bei Schülern und Eltern. Viele Kinder stehen in der Erwartungshaltung ihrer Eltern unter einem erheblichen Leistungsdruck. Tatsache ist: Niemand kann bei einem zehnjährigen Kind eine solche Prognose für eine weitere schulische Entwicklung abgeben. Hier sollte  der Elternwille Grundlage für den möglichen Übertritt sein, natürlich im Austausch mit den Lehrern.

 
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  • stefan.behringer@web.de
    Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Pfeuffer.
    Der Druck auf die Kinder in der 4. Klasse ist enorm. Das müsste nicht sein.
    Nach 45 Jahren und mit fast 66 Jahren in Ruhestand zu gehen, ist völlig in Ordnung!
    Der Vorkommentator (Micro) wirkt etwas hitzig - aber das werden Sie aus Ihrer Laufbahn schon kennen.
    Ihnen einen schönen Ruhestand!!!
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  • robert.erhard@gmx.de
    Um Himmelswillen! Der Elternwille soll Grundlage für den Übertritt sein!
    Die Aussage macht fassungslos!
    Da kann man nur sagen:
    Setzen - Sechs!
    Eltern die wegen jedem Pups ihrer Zöglinge aufbegehren, die ihre Kids bei jeder Gelegenheit abschieben! Der Großteil ist doch jetzt schon überfordert!
    Der Lehrer ist der einzige der relativ neutral bewerten kann!
    Sie schwächen ihren eigenen Berufsstand!
    Und das soll das revolutionäre am Übertritt sein! Dis würde ein Ausbluteten der Mittelschule bedeuten!
    So sollte und darf ein Vertreter Ihres Standes nicht sprechen!
    Es ist ebenso mehr als befremdlich wenn Sie als Chef das schlechteste Beispiel abgeben wenn Sie sagen, dass Sie ihren Verlängerungsantrag wieder zurückgezogen haben!
    Gerade Sie hätten mir gutem Beispiel vorangehen müssen und ein Zeichen setzen sollen!
    Das Ganze könnte die Meinung erzeugen, dass weder eine Leidenschaft für die Schüler noch für die Lehrer bestanden hat und Sie ihre Aufgabe bürokratisch abgewickelt haben!
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