Lieber Herr Rausch, man liest so viel über Angriffe auf Einsatzkräfte, über rücksichtslose Gaffer, über Medienleute, die sich selbst in Szene setzen und sogar über "Querdenker" und Rechtsradikale, die versuchen, die Flutkatastrophe für ihre Ziele auszuschlachten, und dabei die echten Helfer behindern. Ich finde, es ist höchste Zeit, denen einen Brief zu schreiben, die wirklich helfen. Die viele, viele Stunden Training auf sich nehmen, um für den Ernstfall fit zu sein.
Und die, wenn dieser Ernstfall dann da ist, alles stehen und liegen lassen. So wie Sie, Herr Rausch. Als Einsatzleiter haben Sie vor zehn Tagen das erste Hilfskontingent der Wasserwacht aus Bayern nach Erftstadt südlich von Köln begleitet, ein Gebiet, das besonders schwer von den Überschwemmungen betroffen war. Vor Ihnen war aus Bayern nur eine Luftrettungseinheit mit Hubschraubern dort. Sie, im zivilen Leben Anwalt in Ochsenfurt und als Ehrenamtlicher Vorsitzender der Kreiswasserwacht Würzburg, haben einen Hochwasserrettungszug mit 34 Kräften aus ganz Unterfranken – fünf Frauen und 29 Männer – mit fünf Booten und einer Logistikkomponente sicher ins Einsatzgebiet gebracht. Und wieder zurück.
Was mich immer wieder beeindruckt, wenn ich mit Menschen spreche, die sich ehrenamtlich in Hilfsorganisationen engagieren, ist die Unaufgeregtheit, mit der sie tun, was getan werden muss. Was andere sich nicht trauen würden. Was andere nicht für nötig halten, weil sie denken, dass in diesem Land immer für alles gesorgt ist. Oder gesorgt sein sollte.
Ihnen geht es schlicht und einfach darum zu helfen und nicht zu (ver-)urteilen
Dass dem nicht so ist, sollte eigentlich allen bewusst sein. Aber während andere schon wieder genau wissen, was wann wo versäumt wurde und wer woran schuld ist, mahnen Sie zur Besonnenheit. "Ich hätte mich gefreut, wenn man das Ganze untersucht hätte, bevor man seine Schlüsse zieht", haben Sie zu mir gesagt, als wir uns über Ihren Einsatz unterhalten haben. Mein Eindruck: Ihnen geht es schlicht und einfach darum zu helfen und nicht zu (ver-)urteilen. Dabei sind ja Sie und Ihre Teams – neben den direkt Betroffenen – die ersten, die es zu spüren bekommen, wenn etwas schiefgeht, aus welchen Gründen auch immer.
In Erftstadt waren Sie und Ihre Bootstrupps dafür zuständig, einen bis zu fünf Meter hoch überfluteten Abschnitt der Bundesstraße B265 abzusuchen. Genauer gesagt: Zu ermitteln, ob in den liegengebliebenen Autos und Lastern noch Menschen waren. Dass Sie dabei kaum noch auf Überlebende stoßen würden, war klar, und ich wage nicht, mir vorzustellen, unter welcher Anspannung man steht, wenn man im Boot von Wrack zu Wrack fährt und damit rechnen muss, nur noch Leichen zu finden. An Tauchen wäre in dem vollkommen trüben und hochgradig mit Öl verseuchten Wasser, berichten Sie, nicht zu denken gewesen.
Die Hochwasseropfer boten ihrerseits an, dabei zu helfen, die BRK-Boote zu Wasser zu lassen
Doch offenbar hatten es alle Insassen lebend aus ihren Fahrzeugen geschafft. Die Erleichterung darüber ist Ihnen auch am Telefon anzumerken. Sie berichten von Begegnungen, die nachwirken. Von dem Lkw-Fahrer, der erzählte, dass es keine fünf Minuten gedauert habe, bis das ansteigende Wasser das Dach seiner Fahrerkabine erreicht hatte. Von der älteren Dame, die von all ihrem Hab und Gut gerade mal das retten konnte, was in einen gelben Koffer passte, den sie über eine Brücke schleppte. Von dem Opa, der sich trotz größter Gefahr weigerte, seine Wohnung zu verlassen. Oder von dem Mann, der unbedingt noch seine Katze aus dem Haus retten wollte.
All diesen Menschen und vielen weiteren haben Sie und Ihre Teams helfen können. Ich habe dafür nur Hochachtung und Dankbarkeit. Sie, Herr Rausch, berichten indes, wie engagiert Menschen unterschiedlichster Herkunft vor Ort zusammen halfen. Wie die selbst Betroffenen anboten, dabei zu helfen, die BRK-Boote zu Wasser zu lassen.
Dass Sie praktisch während des gesamten viertägigen Einsatzes keine Auge zugetan haben, sieht man von gelegentlichen zehnminütigen Nickerchen ab, erzählen Sie erst auf Nachfrage. Und verweisen dabei gleich auf die wertvolle Hilfe Ihres Fahrers und Ihres Führungsassistenten.
Dass Ihr Einsatz in NRW möglicherweise auch den Anwohnern des Mains und seiner Zuflüsse hier in der Region zugute kommen wird, auch das ist ein Grund für diesen Brief. Denn ein Problem dort waren zerstörte oder verstopfte Anfahrtswege zu den Brennpunkten. Sie haben nun vor zu erkunden, wo im Katastrophenfall bei uns solche Engstellen entstehen könnten - und wie man sie dann umgehen kann.
Für uns alle wünsche ich Ihnen in diesem Sinne: viel Erfolg!
Mathias Wiedemann, Redakteur