Irgendwie hatte er es geahnt. Es befürchtet. „Seit einem halben Jahr habe ich so ein Bauchgefühl“, sagt Patrick Hansel und zündet sich eine Zigarette an. Der 34-Jährige sitzt auf einem Holzstuhl in seinem Café. Der Lack ist abgeblättert, der runde Steintisch mit Blümchen gedeckt. Von der Decke hängt ein goldener Kronleuchter herab, neben der Theke sitzt ein Eichhörnchen auf einem Ast und starrt in den Raum. Die Türen zieren Aufkleber und Kritzeleien – Spuren, die die langen Nächte hinterlassen haben. Vor Kurzem erst hat das Café zum schönen René seinen sechsten Geburtstag gefeiert. Den siebten wird es nicht geben. Zumindest nicht hier am Hauptbahnhof.
„Wir machen uns keine Hoffnung mehr“, sagt Hansel zur Stimmung. Auch, wenn die endgültige Entscheidung über die Zukunft des Cafés erst am 3. Dezember gefällt wird. Dann stimmen die Stadträte darüber ab, ob die renovierungsbedürftigen 50-Jahre-Pavillons auf dem Bahnhofsvorplatz abgerissen werden sollen. Dass die Abstimmung mit einem klaren Ja ausgeht, steht so gut wie fest. Für das Café zum schönen René, das seit 2009 in einem der östlichen Pavillons zuhause ist, würde dies das Ende bedeuten. Der Betreiber schließt eine Rückkehr in neu errichtet Pavillons, wie sie die Stadt überlegt, aus.
„Wir hatten Bock auf das Ranzige und Verruchte“, sagt der Würzburger. Das sei damals auch der Grund gewesen, in den Bahnhofspavillon einzuziehen. Mit Kreativität und einem Tick Wahnsinn verwandelte die Gruppe das ehemalige „Pilseck“ in eine unkonventionelle Café-Bar-Disco. Etwas verlebt, verwildert und liebevoll charmant. „Wir haben viel Leidenschaft reingesteckt.“
Wir, das sind in erster Linie der Geschäftsführer selbst, seine zwei festen Angestellten und die rund 20 Studenten, die abwechselnd die Schichten übernehmen. „Das sind meine dicksten Freunde“, sagt Hansel, der meist nur „Packi“ genannt wird. Man sei eine großen Familie, die alle aufnimmt. „Der René war schon immer für jeden zugänglich“, betont Patrick Hansel und zieht an der Zigarette. Das gehöre zur Philosophie, zum Grundgedanken dieses Cafés. Zu den Stammkunden zählen Banker, Studenten oder Punker. „Wir wollten nie, dass jemand am Eintritt scheitert.“ Egal, welcher DJ auflege oder welche Band spielt. „Bei uns gibt's das für lau!“ Ein Café als unverbindliche Anlaufstelle für alle Würzburger, die den Alltag hinter sich lassen wollen. Ein Plan, der aufging.
„Die letzten Jahre haben wir irgendwie so auf der Überholspur gelebt.“ Auf den 45 Quadratmetern drängen sich Nacht für Nacht die Feierwütigen. „Wir wollen uns bei jedem Einzelnen für die geniale Zeit bedanken“, sagt der Betreiber und hält einen Moment inne. Es sei immer friedlich geblieben, nie habe es wirklich Stress gegeben. Den Laden aufzugeben, falle ihnen allen schwer. „Mir sind die letzten Tage schon ein paar Tränen runtergelaufen“, gesteht der 34-Jährige.
Im Juli kommenden Jahres soll der Abriss beginnen. Dass es weitergeht, ist für die Gruppe um "Packi" klar. Nur wo und wie wisse man noch nicht. „Wenn du den Nachtbetrieb so machst wie wir, da brauchst du einen geeigneten Standort“, sagt Hansel. Denn, wenn anderorts die Türen schließen, gehen die Feiern im Café zum schönen René meist erst richtig los. Man könne sich vorstellen, nicht mehr so oft so lange zu machen, aber vom Grundkonzept wegkommen wolle man nicht. Zumal genau dies der Ansporn für die Café-Eröffnung gewesen war: „Meine Kumpels und ich waren das Weggehen hier leid und haben daher selbst Initiative ergriffen.“
Das neue Projekt soll also wieder ein Café-Bar-Disco-Konstrukt werden – am liebsten in der Stadt. Möglich wäre als Gebäude ein altes Fotostudio, eine Lagerhalle oder ein Ort mit Grünfläche drumrum, auf der man einen Biergarten errichten könnte. Ob das neue Lokal den Namen, der kurz vor der Eröffnung bei einer Weinprobe entstand, weiterführen wird, will Hansel nicht versprechen. „Wir waren, sind und werden auch immer eines bleiben“, sagt er lachend, „spontan-kreativ.“
Nachtrag: Der Stadtrat hat am 3.12. mit einer klaren Mehrheit für den Abriss der Bahnhofspavillons gestimmt. Das Café zum schönen René schließt am 31.03.2016.
Wenn dagegen meine Befürchtung zutrifft und es stehen höchstens ein paar müde Rohbauten in einem Chaos aus Dreck, Schrott und Schlabbermatsch, evtl. noch umgeben von einem fotogenen Bauzaun, werde ich ins Rebstock eingeladen.
Naaa?!