Schnupfen, Husten, hohes Fieber: Viele Kleinkinder und Säuglinge machen derzeit eine akute Atemwegsinfektion durch. In den Kinderarztpraxen und den Kliniken in Unterfranken haben die Fälle stark zugenommen. Ein Grund dafür ist auch das Respiratorische Syncytial-Virus, kurz RS-Virus, das sich gerade in ganz Deutschland rasant ausbreitet. Das Virus, das zu schwerer Atemnot führen kann, ist vor allem für Babys und Kleinkinder gefährlich.
"Aktuell ist die Belegung der Kinderklinik deutlich höher als sonst. Wir sind massiv ausgelastet", sagt Prof. Dr. Johannes Liese, Leiter des Bereichs Kinder-Infektiologie und Immunologie der Uni-Kinderklinik Würzburg. Im Interview erklärt er, wie gefährlich das Virus ist und welche Herausforderung es bedeutet, alle Patienten gut zu versorgen.
Prof. Dr. Johannes Liese: Derzeit erkranken sehr viele Kinder an Atemwegsinfekten. Das berichten nicht nur die niedergelassenen Kinderärztinnen und Kinderärzte, das sehen wir hier auch in der Uniklinik. Schuld daran ist das Respiratorische Syncytial-Virus, das sich zunächst kaum von einer Erkältung unterscheiden lässt. Die Symptome sind Husten, Schnupfen, Halsschmerzen oder Fieber. Die RSV-Welle kommt sonst erst in den Wintermonaten, also November und Dezember. Dieses Jahr hat sie schon im September begonnen. Seit Anfang Oktober beobachten wir eine deutliche Zunahme der Fälle, auch hier in der Region.
Liese: Das RS-Virus ist bei Säuglingen und Kindern unter drei Jahren der häufigste Auslöser von akuten Atemwegsinfektionen. Bei älteren Kindern und Erwachsenen ruft das Virus nur leichte Symptome hervor, die denen einer gewöhnlichen Erkältung ähneln. Für Säuglinge kann die Erkrankung leicht von den oberen auf die unteren Atemwege übergeben. So kann die Infektion von einem banalen Infekt bis zu einer schweren Bronchitis oder Lungenentzündung verlaufen. Man geht davon aus, dass bis zu 70 Prozent aller Kinder bis zum ersten Lebensjahr eine Infektion haben und bis zu 100 Prozent bis zum zweiten Lebensjahr. Also sind alle Kinder irgendwann mal davon betroffen.
Liese: Erwachsene können sich durchaus infizieren, werden aber in der Regel nicht so schwer erkranken wie kleine Kinder. Aber sie können das Virus übertragen und andere anstecken.
Liese: Das hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun. In der Regel begegnen Kinder jedes Jahr RS-Viren und bauen dabei einen gewissen Immunschutz auf. Im letzten Jahr ist die Infektionswelle aufgrund der Lockdown-Maßnahmen ausgefallen. Die Kitas waren geschlossen, alle Erwachsenen haben Masken und Mundschutz getragen und das Virus konnte sich nicht ausbreiten. Dadurch, dass die Kinder nur zur Hause waren, haben sie keine Abwehr aufgebaut. Möglicherweise infizieren sich gerade alle Kinder, die dies in den letzten eineinhalb Jahren verpasst haben.
Liese: Die Eltern sollten immer darauf achten, in welchem Zustand das Kind ist. So lange ein Kind ausreichend trinkt, vielleicht noch spielt, ansprechbar ist und der Sauerstoffgehalt im Blut ausreichend gut ist, muss es nicht in die Klinik. In diesem Zustand kann es auch zu Hause betreut werden. Wenn ein Kind hohes Fieber hat, nicht ausreichend trinkt, Atemnot oder einen quälend keuchenden Husten hat, sollte es einer Ärztin oder einem Arzt vorgestellt werden.
Liese: Wir sind maximal ausgelastet. Pro Tag stellen sich in der Kinderklinik viele neue Patientinnen und Patienten mit einer Infektion der unteren Atemwege, Bronchitis oder gar einer Lungenentzündung vor. Die meisten Kindern können auf der normalen Infektions- oder auf der Kinderstation behandelt werden. Ein Teil der kleinen Patienten muss allerdings auf die Intensivstation, vor allem Neugeborene oder Kinder mit Grunderkrankungen wie einem Herzfehler. Die meisten Kinder benötigen eine Sauerstoffgabe, einige wenige müssen sogar künstlich beatmet werden.
Liese: Wir haben bislang keine aktive Impfung gegen das RS-Virus so wie gegen die Influenza. Es gibt pharmazeutisch hergestellte Antikörper, davon braucht man aber fünf bis sechs Injektionen während der RS-Virus-Saison. Das macht man bei Hochrisikogruppen, denn es bedeutet viel Aufwand. Im Bereich der klinischen Forschung wird auch die aktive Impfung von Schwangeren untersucht, die dann Antikörper als Nestschutz an ihr Neugeborenes weitergeben.
Liese: Das RS-Virus ist für Kinder unter vier Jahren eindeutig gefährlicher als das Coronavirus. Wir sehen bei uns an der Kinderklinik kaum Covid-19-Erkrankungen bei Kindern. Es gibt Corona-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen, aber diese erkranken überwiegend leicht und müssen nicht ins Krankenhaus aufgenommen werden.