
Sie ist derzeit die wahrscheinlichste Koalitions-Variante der künftigen Bundesregierung: die Ampel. In Berlin treffen sich in dieser Woche die Sondierungsteams von SPD, Grünen und FDP, um die Möglichkeiten dafür auszuloten. Doch was denken in den beteiligten Parteien eigentlich diejenigen übers gemeinsame Regieren, um deren Zukunft es vor allem geht – die Jungen? Ein Gespräch mit Anna Tanzer (Landesvorsitzende der Jusos), Samuel Kuhn (Co-Kreissprecher Grüne Jugend) und Tobias Dutta (Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen) über unterschiedliche Ansätze, gemeinsame Ziele und die Frage und den Reiz des Neuanfangs.
Anna Tanzer: Im Wahlkampf hatten wir mit Rot-Grün geliebäugelt. Das hat dann leider nicht gereicht, aber es ist gut, dass wir die Grünen als Partner an unserer Seite haben. Es kommt jetzt darauf an, wie sich das entwickelt.
Samuel Kuhn: Bei der Grünen Jugend sind wir erleichtert, dass Jamaika vom Tisch ist. Das war die Option, die wir am allerwenigsten gewollt haben. Mit der SPD haben wir die meisten Überschneidungen. Die Ampel-Koalition ist daher jetzt eine super Möglichkeit, eine Aufbruchsregierung zu schaffen. Aber es kommt natürlich darauf an, was hineinverhandelt wird.
Tobias Dutta: Meine Lieblingskoalition wäre Jamaika gewesen, das halte ich auch immer noch für möglich. Bei einer Ampel sehe ich einige Probleme, vor allem dann, wenn es auf ein "Weiter so" hinausläuft. Beispiel Steuerentlastungen: Am Ende gibt es wieder einen Kompromiss, und alles geht so weiter wie bisher.
Anna Tanzer: Das Problem sehe ich nicht so. Dass wir in den vergangenen Jahren viele Dinge nicht so vorantreiben konnten, wie wir das wollten, lag auch daran, dass wir mit der Union koaliert haben. Diese Koalition habe ich immer für eine schlechte Idee gehalten, das hat uns gebremst. Ich glaube, dass die Ampel eine Fortschrittskoalition werden kann.
Samuel Kuhn: Wenn man miteinander regieren will, muss man auch Kompromisse finden. Nicht jeder Kompromiss ist schlecht. Das Thema Klimaschutz zum Beispiel haben ja alle drei Parteien auf dem Schirm, auch wenn es da unterschiedliche Ansätze gibt. Dennoch könnten wir da super vorankommen.
Tobias Dutta: Das sehe ich anders. Wir haben zwar das gleich Ziel, aber als FDP einen anderen Weg. Ihr als SPD und Grüne seid euch da näher, wir als FDP finden, dass der Markt viel regeln kann. Da bin ich mal sehr gespannt.

Tanzer: Die Themen sind ja auch für junge Menschen wichtig, zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Ich komme selbst aus dem Handel, und da macht es schon einen Unterschied, ob man für neun oder für zwölf Euro arbeitet. Auch das Ende der sachgrundlosen Befristungen bei Arbeitsverträgen muss kommen, das betrifft viele junge Menschen. Gerade aus der Sicht von jungen Menschen gibt es bei den Jugendverbänden der drei Parteien auch viele Schnittpunkte, zum Beispiel die Legalisierung von Cannabis oder die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.
Dutta: Auch beim Thema Bildung, das für junge Menschen ganz wichtig ist, sehe ich viele Gemeinsamkeiten. Da geht es dann auch darum, dass wir den föderalen Aufbau ein wenig aufbrechen können. Auch wenn sich ja 2017 bei den letzten Sondierungen Winfried Kretschmann von den Grünen dagegen gestellt hat.
Kuhn: Winfried Kretschmann spiegelt aber auch nicht die komplette Partei wider, sage ich jetzt mal ganz vorsichtig. Er ist eine laute Stimme, aber er hat seine eigenen Punkte.
Dutta: Dann können wir ja jetzt gemeinsam punkten. Und dann geht es natürlich auch um Digitalisierung. Diesmal sind ja nicht diese ewiggestrigen CDUler und CSUler dabei, da kommen wir vielleicht auch bei der Digitalisierung der Schulen endlich voran.
Kuhn: Ein wichtiger Punkt ist, dass die Fraktionen deutlich jünger geworden sind. Auch in den Verhandlungsteams sitzen jüngere Menschen, die andere Ansätze mitbringen, weil sie nicht schon ewig in diesem Politikbetrieb festhängen. Da wird dann auch mal mehr gewagt.
Kuhn: Wir haben junge Menschen mit am Tisch sitzen, die aus unserem Verband kommen. Ich sehe uns da gut vertreten.
Dutta: Dem kann ich zustimmen. Unser Bundesvorsitzender Jens Teutrine ist auch dabei.
Tanzer: Ich finde die Zusammensetzung unseres Sondierungsteams okay, bei den Koalitionsverhandlungen wollen wir als Jusos auf jeden Fall mit am Tisch sitzen.
Kuhn: Soziale Gerechtigkeit. Das Thema geht uns alle an, darauf müsste wesentlich mehr Augenmerk gelegt werden.
Dutta: Sehe ich auch so. Da muss es dann auch um Aufstiegschancen für alle gehen. Ich glaube, dass man dieses Thema im Dreierbündnis sehr gut angehen kann.
Tanzer: Das Thema wird vielleicht in der öffentlichen Debatte gerade nicht so sehr wahrgenommen, aber es war bei uns der rote Faden im Wahlprogramm.
Dutta: Ich war mit Samuel Kuhn gemeinsam bei einer Podiumsdiskussion vor der Wahl. Da haben wir schon gemerkt, dass es Gegensätze gibt, aber wir verstehen uns gut.
Tanzer: Wir kennen uns ja von den Jugendorganisationen her, haben in Würzburg auch schon gemeinsame Aktionen gemacht, zum Beispiel als es um das Alkoholverbot oder das Polizeiaufgabengesetz ging. Da waren wir mit unseren Jugendorganisationen eng beieinander. Klar, man diskutiert auch mal, aber es ist ein freundschaftliches Verhältnis.
Kuhn: Wir streiten inhaltlich, aber wir finden auch unsere Punkte, bei denen wir gemeinsam Themen vertreten und unsere Stimme gemeinsam lauter machen. Auf persönlicher Ebene funktioniert das in Würzburg ohnehin sehr gut.
Dutta: Ich könnte mir vorstellen, dass wir zu dritt mal eine Veranstaltung zum Thema Ampel machen, bei der wir uns mit unseren Mitgliedern austauschen.

Tanzer: Ich finde es ja ein bisschen eigentümlich, wie man Frau Merkel jetzt zum Teil romantisch verklärt. Sie war ja nicht immer eine progressive Politikerin, zum Beispiel bei ihrer Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Mit ihrer Ankündigung, nicht mehr anzutreten, entstand tatsächlich eine Aufbruchstimmung, auch weil bei der Wahl niemand mehr fest im Sattel saß. Dazu kam, dass sich die Stimmungen während des Wahlkampfs ständig verändert haben.
Kuhn: Dass Frau Merkel nicht mehr kandidiert hat, hat den Wahlkampf megaspannend, aber auch unberechenbar gemacht. Ich fand das gut, dadurch ist auch etwas Neues möglich geworden.
Dutta: Für uns politisch Engagierte ist es so, dass wir auch Frau Merkel danach messen, was sie inhaltlich getan hat. Da war viel Gutes dabei, aber nicht nur. Man spürt den Aufbruch auch dadurch, dass im Moment sehr viele junge Leute stark politisiert sind.
Tanzer: Ich fände es gut, wenn man dann sagen könnte: Wir haben extrem viel für soziale Gerechtigkeit und die Verbesserung der Situation der Menschen gemacht, denen es aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht gut geht.
Kuhn: Ich hoffe, dass man es den drei Parteien dann wieder einmal zutraut! Dass wir die Menschen nicht mit unseren Ideen abschrecken, sondern sie mitnehmen. Und wir sollten gezeigt haben, dass es auch ohne Union geht. Was den Klimaschutz betrifft: Das 1,5-Grad-Ziel muss umgesetzt werden.
Dutta: Ja, ich glaube, das ist jetzt die letzte Zeit, wo wir noch etwas für Klimaschutz machen können. Da muss es Ergebnisse geben. Und es muss sich zeigen, dass wir als FDP nicht das Anhängsel der Union sind.