Der Wirt der "Probierstube" in der Weißenburgstraße wirkt verunsichert. Nein, er habe noch keine Informationen von der Polizei bekommen. Er schließe nur deshalb seine Kneipe schon kurz vor 22 Uhr, weil seine Gäste plötzlich alle weg sind. "Die Polizei wird sicher gleich kommen." Davon ist wohl auszugehen. Blaulicht wohin man schaut. Jede Straßenecke in der Würzburger Zellerau scheint besetzt von Polizei oder Feuerwehr. Ein halber Stadtteil wird geräumt. Und wie der Wirt der "Probierstube" werden sich viele für die nächsten Stunden eine neue Bleibe suchen müssen.
- So haben unsere Reporter vor Ort die Nacht erlebt: Die Bombenentschärfung im Live-Blog
Knapp 12 000 Menschen leben in Würzburgs Westen. Rund 2000 von ihnen werden die Zeit bis in den frühen Samstagmorgen ganz anders verbringen, als sie sich das ursprünglich vielleicht gedacht haben: vor dem Fernseher, in der Kneipe, schlafend im Bett. Hoch die Hände, Wochenende! Von wegen!
Entschärfung kann nicht länger warten
"Achtung, Achtung, auf Grund eines Bombenfundes muss der umliegende Bereich sofort geräumt werden. Verlassen Sie die Gebäude und leisten Sie den Anweisungen der Einsatzkräfte Folge." Das, was aus den Lautsprecherfahrzeugen zu hören ist, ist klar und unmissverständlich. Straße um Straße wird abgefahren. Immer wieder. Rot-weiße Absperrbänder werden gezogen und Kreuzungen dicht gemacht. Dann gehen die freiwilligen Helfer von Haus zu Haus, von Tür zu Tür. Alle müssen ihre Sachen packen. Alle müssen raus.
Hier wurde die Bombe gefunden:
Am Nachmittag war bei Erdarbeiten an der Staatlichen Feuerwehrschule in der Mainaustraße eine 250-Kilo-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg ans Tageslicht befördert worden. Wie üblich wird der Kampfmittelräumdienst aus Nürnberg gerufen. Das dauert. Und als die beiden Männer mit ihrem silbernen Lieferwagen in Würzburg eintreffen und den Fund begutachten, zeigt sich schnell: Die Lage ist ernst. Die Entschärfung vor Ort duldet keinen Aufschub. Die Arbeiten müssen möglichst umgehend beginnen. Jetzt bleibt kaum Zeit für große Vorbereitungen.
Für die Evakuierten beginnt das große Warten
In der unteren Zellerau leben viele ältere Menschen. Es gibt Straßenzüge, die gelten als sozialer Brennpunkt, Menschen, die besser mit Unterstützung klar kommen, von den Kirchen, die stark präsent sind, von sozialen Organisationen. Im Stadtteil sind viele aber auch stolz auf die bunte Mischung aus Kulturen und sozialen Hintergründen. Da wäre es gut und ratsam, man hätte ein, zwei Tage, um die Evakuierung in Ruhe vorzubereiten. Doch eine 75 Jahre alte Bombe mit Zündern an jedem ihrer beiden Enden lässt das nicht zu.
Die Zellerauer bleiben dennoch ruhig und gelassen, packen das Notwendigste in eine Tasche und machen sich auf in die Ausweichunterkünfte oder zu Freunden und Verwandten. Keine Spur von Aufregung oder gar Panik. Okay. Manch einer mag leise vor sich hin fluchen: "So ein Mist, das braucht keiner." Im Licht der Scheinwerfer der Einsatzfahrzeuge überquert ein Mittvierziger den dunklen Rewe-Parplatz. "Ich war schon im Schlafanzug, muss morgen früh um 4 Uhr raus. Ich zieh jetzt um zu meiner Mutter und schlaf mich da aus." Alles ruhig im Westen. Was nervt ist die Kälte und die schier nicht enden wollende Warterei, die nun erst beginnt.
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In der Notunterkunft wird die Nachbarschaft gepflegt
Warten müssen die Menschen auch vor der Notunterkunft: Im Forum des Deutschhaus-Gymnasiums hat das Rote Kreuz die Erstversorgung eingerichtet. Wer hier den Abend verbringen möchte, muss sich registrieren, bekommt ein Armbändchen, muss angeben, ob er allein oder mit einer Gruppe da ist. Der Prozess zieht sich. Dass die Entschärfung in einer solchen Nacht-und Nebel-Aktion passieren muss, können manche nicht verstehen.
Dennoch: Die Stimmung unter den Zellerauern ist entspannt, sie machen sich gegenseitig Mut. Ein älteres Ehepaar war auf dem Heimweg von einem Abendessen mit Freunden. Nun sind sie im Deutschhaus-Gymnasium gestrandet. Die Frau sieht das Positive: "So ein Abend ist auch eine Gelegenheit, mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen." Ihr Mann erinnert sich an eine andere Evakuierung: Als Dreijähriger habe er die Bombardierung Würzburgs am 16. März 1945 in einem Schutzraum miterlebt. Dabei waren auch damals die Nachbarn – und ein Pferd, erinnert er sich.
Mit der Bombennacht kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs ist dieser Abend natürlich nicht zu vergleichen. Dass heute alles so ruhig verläuft, haben die Evakuierten Menschen wie Oliver Pilz zu verdanken: Der Geschäftsführer der BRK-Kreisgruppe und sein Team von knapp 50 Ehrenamtlichen bringen Struktur in die Notunterkunft.
250 Helfer sorgen für Ruhe und Ordnung
Wer den Wartebereich betreten will, wird freundlich dazu angehalten, seine Hände zu desinfizieren. Am Eingang verteilen Helfer Masken an all diejenigen, die husten oder niesen. In einem Ruheraum liegen isoliert zehn bis zwölf Leute, die Fieber haben und zu schwach sind, um sich den Rest des Abends auf den Beinen zu halten. Kinder schlafen auf Feldbetten und in den Armen ihrer Eltern. Mit ungetrübt guter Laune verteilt eine BRK-Mitarbeiterin Müsliriegel und Gummibärchen.
Mehr als 250 Helfer sind im Einsatz, zahlreiche Feuerwehren, Rotes Kreuz, Malteser, Johanniter. Rund 100 Menschen müssen mit Rettungswagen aus der Gefahrenzone gefahren werden, weil sie zu alt, krank oder zu schwach sind, um sich selbst auf den Weg zu machen. Um Mitternacht soll die Entschärfung beginnen. Doch immer noch werden die Rettungswagen angefordert, müssen noch mal mehr als zwei Dutzend Fahrten absolvieren. Schließlich wird es 1.30 Uhr, bis die Experten Hand an die Bombe legen können.
Entschärfung dauert länger, als zunächst erwartet
Im Stundentakt gibt Oberbürgermeister Christian Schuchardt vor dem improvisierten Lagezentrum bei der Bereitschaftspolizei in der Sedanstraße Statements ab. Transparenz soll Vertrauen schaffen. Der Grundtenor bleibt dabei die ganze Nacht über der gleiche: Ja, die Lage ist ernst, die Herausforderungen sind groß. Aber die Verantwortlichen haben alles im Griff. Immer verbunden mit einem großen Dankeschön für das Engagement der Einsatzkräfte. Und schon entschwindet der Rathauschef zur nächsten Einsatzbesprechung.
Eine Bombenentschärfung könne zwischen zehn Minuten und einer Stunde dauern, lautete die Information am frühen Abend. Jetzt wird klar: Diese Entschärfung dauert länger. In der Sedanstraße harren die Journalisten in der Kälte aus; in unregelmäßigen Abständen kommt Rathaussprecher Christian Weiß durch das eiserne Tor, um zu verkünden – dass er noch nichts Neues verkünden kann.
Feierabend morgens um 6
Eine Stunde vergeht, zwei Stunden. Um kurz vor 4 Uhr kommt sie dann doch, die Nachricht, auf die alle gewartet haben: Die Gefahr ist gebannt, der Blindgänger entschärft, die Menschen können endlich zurück in ihre Wohnungen!
Für Reporter und Pressesprecher endet die Nacht hier. Für die Hilfskräfte geht der Einsatz noch bis 6 Uhr weiter, sie bringen alle Anwohner nach Hause, die auf Hilfe angewiesen sind.
Auf der Ladefläche eines Bullis liegt der 250 Kilo schwere Grund für diesen aufregenden Abend: die Fliegerbombe, rostig und erdverkrustet. Für zwölf Stunden hat sie einen ganzen Stadtteil in Atem gehalten.
Wie es scheint,sind Sie der geeignete Mensch um Bomben zu entschärfen und Verantwortung in solch einer Gefahrenlage zu übernehmen.Dennoch läßt Ihr Beitrag manche Wünsche offen die der amtierende OB erfüllen konnte.Große“Klappen“und wenig „Geist“haben in Notsituationen noch nie geholfen!
Nur als dann gegen 04:00 OB Schuchardt dort eintraf, da wusste man, es ist gut ausgegangen und musste nicht noch extra nachschauen.