Würden Gespenster durch den Grafeneckart spuken, kämen sie aus dem Hexenloch hoch. Dort unten im Keller gefangen saßen Frauen, angezeigt und angeklagt als Hexen, und warteten auf Folter und Prozess. Und sie jammerten, flehten und klagten und wussten doch, dass niemand sie retten wird vor Folterknecht und Henker.
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Das Hexenloch war schon alt, als sie ihrem Ende entgegenbangten. Die Hexenverfolgung ist ein Verbrechen aus dem 17. Jahrhundert, der Renaissance. Das Gemäuer stammt aus dem 12. Jahrhundert; Forscher datieren den Mörtel auf das Jahr des Baubeginns: 1150.
Ein Rätsel hinter der Mauer im Hexenloch
Heute ist das Hexenloch ein Teil des Ratskellers. Hier, unter dem Tonnengewölbe, zwischen unverputzten Mauern, tafeln Gäste im Halbdunkel. Manchem schaudert, wenn er die Geschichte hört, und wer weiß – vielleicht wäre der Schauder noch größer, wenn man wüsste, was jenseits der südlichen Mauer des Lochs ist.
Kurt Schubert, der Ratskeller-Wirt, berichtet, es gebe keinen Zweifel daran, dass da noch ein Raum verborgen liegt. Welchen Zweck der gehabt haben könnte, ob da Gebeine liegen oder uralte Weinfässer – der Grafeneckart ist nicht nur wegen mancher Ratsentscheidung ein Ort der Rätsel und Geheimnisse.
Mitten im Restaurant: das Nordtor des Grafeneckart
Vor 700 Jahren, am 5. März 1316, erwarben reiche Würzburger den Hof Grafeneckart und richteten das Rathaus darin ein. Generationen von Stadträten ließen an- und umbauen, am 16. März 1945 brannte er im Bombenhagel der Royal Air Force.
Dank der Arbeit der Historiker wissen wir heute viel von seiner ursprünglichen Gestalt. Sie haben zum Beispiel entschlüsselt, wo er auf der Nordseite, zur heutigen Rückermainstraße hin, endete.
Im Restaurant, nahe des Riemenschneider-Raums, wölbt sich ein alter Torbogen, der aussieht wie architektonischer Schmuck ohne Funktion. Hier war das Nordtor. In den Wänden links und rechts sind Löcher; hier schoben die Altvorderen einen dicken Balken ein, um das Tor zu verschließen.
Ratskeller und Ratskapelle: zusammengewachsen, was nie zusammen gehörte
Wo Jahrhunderte lang an- und umgebaut wird, werden Teile eins, die nie füreinander bestimmt waren. Die Ratskapelle, lange ein Ort des Gebets, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein Teil des Ratskellers, ein Ort des Schmausens. Als der Stadtrat sie 1359 bauen ließ, war sie frei gestanden. Wer aufpasst auf seinem Gang in die Ratskapelle, bemerkt den kunstvoll behauenen grauen Eckstein, der aus der Urzeit der Kapelle stammt.
Morgen, am Sonntag, 6. März, führen der Ratskellerwirt und Dutzende Würzburger Gästeführer durch den Grafeneckart. Die Neugierigen werden zahllose Geschichten hören und Details sehen, die ihnen – wenn sie überhaupt schon einmal hier waren – nie aufgefallen sind.
Ein Gesicht im Sternenhimmel ...
Im ersten Stock, um 1200 fertiggestellt, liegt die gute Stube der Stadt, der Wenzelsaal. Das Deckengewölbe ist ein Sternenhimmel, und wer genau hinschaut, angeleitet von den Gästeführern, sieht Gesichter, wo er nie welche vermutet hätte, in einem Schlussstein etwa oder in der Verzierung eines Säulenkapitells.
Die heutige Architektur ist nüchtern, geradlinig und transparent – das schiere Gegenteil der romanischen Architektur des Grafeneckart. Hans Steidle, der Stadtheimatpfleger, schreibt in seinem Grafeneckart-Buch „Am Anfang war ein Mord“, die „Freude am Grotesken und Bizarren“ habe in der Romanik eine große Rolle gespielt.
... und Zahlenmystik im Wenzelsaal
Skulpturen von Monstern „drückten die Angst vor jenseitigen Mächten“ aus. Und dann gebe es noch die „rätselhafte Symbolik von Zahlen und Zeit“. Alles finden wir im Wenzelsaal wieder.
So zählte Steidle Fenster und Säulen, Bögen, Skulpturen und allerhand mehr und fand Existenzielles symbolisiert: den dualistischen Gegensatz von Gut und Böse in zwei Säulen, die Kardinaltugenden in vier Feldern über dem Tor, die menschlichen Sinne im fünffachen Fächerbogen über dem Doppelfenster und vieles mehr.
Steidle führt am Sonntag um 11 und um 15 Uhr durch den Wenzelsaal.
Im vierten Stock, nahe des Eingangs ins Kulturreferat, versperrt eine schwarze, eiserne Tür den Weg. Sie bleibt auch am Sonntag zu. Hinter ihr liegt die Wendeltreppe, eng, mit schmalen Stufen, keine zwei Menschen passen nebeneinander. Sie führt hoch zur Türmerstube.
Großer Gestank und gute Aussicht
Hier ist die Unfallgefahr groß und der Gestank von Taubendreck auch.
Jenen, die diesen Ausblick nie genießen werden können, sei gesagt: Wer hier oben steht und sich erinnert an die Bemitleidenswerten, die im Hexenloch litten, erfasst die Dualität des Grafeneckart: Schrecken der Vergangenheit und großartige Aussichten. Vielleicht täuscht er sich aber auch.