
Vor einem Jahr hatte eine Razzia in Kitzingen schlaglichtartig die Situation in der Pflege beleuchtet: Ein ambulanter Pflegedienst aus Unterfranken geriet unter Verdacht, den Krankenkassen für wenig Pflege viel Geld abgeknöpft zu haben. Seit diesem Juni müssen sich Betreiber, eine dreiköpfige Familie aus Würzburg, vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten. Es geht um mutmaßlichen Pflegebetrug, der Schaden soll in die Millionen gegangen sein.
Doch inzwischen sind vor Gericht in Nürnberg die Vorwürfe gegen die drei Beschuldigten zusammengeschmolzen. Die Mutter war bereits aus der Untersuchungshaft entlassen worden, jetzt ist auch ihr Sohn wieder auf freiem Fuß. Die Vorwürfe gegen den Vater hält die Staatsanwaltschaft weiter für erwiesen, für ihn fordert sie sechs Jahre Haft.
Verteidigung sieht beim beschuldigten Sohn allenfalls Beihilfe
Nach rund 30 Verhandlungstagen war der Haftbefehl gegen den 27-jährigen Sohn aufgehoben worden, bestätigte Gerichtssprecherin Tina Haase. Verteidiger Christian Cazan sagt: "In der Beweisaufnahme hat sich gezeigt, dass unser Mandant nicht annähernd die Rolle gespielt hat, die ihm die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage zugeschrieben hatte." Als Angestelltem des Pflegedienstes sei dem 27-Jährigen, wenn überhaupt, allenfalls Beihilfe in einem Bruchteil der 1022 angeklagten Fälle vorwerfbar, ergänzt Anwalt Güney Behrwind.
Die Staatsanwaltschaft forderte für den Sohn in der Verhandlung an diesem Mittwoch eine zweijährige Bewährungsstrafe. Die Mutter hatte – entgegen der Anklage – bei dem ambulanten Pflegedienst so gut wie gar nicht mitgewirkt. Dem von ihrem Anwalt Simon Barrera Gonzales geforderten Freispruch schloss sich am Mittwoch auch der Staatsanwalt in seinem Plädoyer an.
Die Verteidiger kritisieren "massive Vorverurteilungen und Ermittlungsdefizite". Der Sprecher der Nürnberger Sonderermittler gegen Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) weist dies zurück: Man sehe "den Vorwurf gerade gegen den Haupttäter als nachgewiesen an".
Seine Kollegen hätten objektiv ermittelt und nun auch objektiv das Ergebnis einer Beweisaufnahme bewertet, sagt Oberstaatsanwalt Matthias Held: "Es ist nicht unüblich, dass nach einer mehrtägigen Hauptverhandlung die Beweise anders zu würdigen sind als noch in der Anklageschrift." Hieraus könne man aber nicht auf unzulässige Vorverurteilungen und Ermittlungsdefizite schließen.
Anklagevorwürfe geschrumpft: Vom gemeinsamen Verbrechen als Bande ist keine Rede mehr
Der strafverschärfende Vorwurf gegen die drei Beschuldigten, gemeinsam als Bande zu Unrecht Millionen kassiert zu haben, ist damit vom Tisch. Zwischen 2018 und 2022 soll das Trio Leistungen in Höhe von knapp 3,5 Millionen Euro unrechtmäßig abgerechnet haben, hieß es laut Anklage im Juni.

Im Kern geht es um das Fehlen einer Verantwortlichen Pflegefachkraft an der Spitze zur Sicherung der Pflegequalität. Ohne sie soll es den Angeklagten möglich gewesen sein, nicht erbrachte Leistungen vorzutäuschen und auf ein Minimum zu reduzieren.
Fehlende Qualifikation: Keine Fachkraft zur Überwachung eingestellt
Weder die drei Beschuldigten noch ihre Angestellten waren im Besitz einer pflegefachlichen Qualifikation. Verteidiger Gonzales hatte anhand offizieller Unterlagen allerdings belegt, dass die Krankenkassen, die nun darauf pochen, gerade in der Corona-Zeit aus Mangel an Pflegekräften sehr großzügig mit der Regelung umgegangen waren. "Den Pflegekassen wird ein weiter Gestaltungsspielraum zur Vermeidung von pflegerischen Versorgungslücken in der häuslichen Versorgung eingeräumt", heißt es in offiziellen Vorschriften. Und: "Je größer die Versorgungsprobleme werden, desto unbürokratischer soll die Versorgung möglich sein."
Die Vorwürfe würden den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht, betont Rechtsanwalt Peter Mökesch, der den Vater verteidigt. Die Anklage stehe und falle mit der Frage, ob der Pflegedienst ohne eine kompetente Fachkraft billigen Pfusch bot und dafür Millionen kassierte, die ihm nicht zustanden. Das Landgericht muss nun entscheiden: War dies von Anfang an der Plan der Angeklagten?
Verteidiger: Die Krankenkassen wussten, wofür sie zahlten
Dann wäre ein Betrug verwirklicht. Die Verteidiger halten dem entgegen, dass das Fehlen einer kompetenten Ansprechpartnerin den Krankenkassen seit Jahren bekannt gewesen sei: "Sie drückten lieber immer wieder anderthalb Augen zu, als überhaupt keine Pflege für diese Patienten zu haben," sagt Möckesch.
Auch Möckesch plädiert für den angeklagten Vater auf Freispruch: "Es gab nicht den Hauch eines Vorsatzes." Der Anwalt sieht seinen Mandanten und seine Familie "nach der Beweisaufnahme weitestgehend rehabilitiert".
Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth noch in diesem Jahr erwartet
Mit einem Urteil wird noch vor Weihnachten gerechnet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden dann entweder Anklage oder Verteidigung in Revision gehen, um den Fall prinzipiell vor dem Bundesgerichtshof klären zu lassen.
Den drei Beschuldigten droht aber ein weiterer Prozess in Würzburg: Bei der Razzia im Herbst 2022 hatten die Ermittler in Kitzingen fünf Pflegebedürftige in schlechtem gesundheitlichem Zustand vorgefunden. Die Senioren mussten umgehen in andere Eirichtungen verlegt werden. Die Ermittlungen der Würzburger Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzungen sind abgeschlossen. Das Urteil wird am heutigen Mittwoch um 14 Uhr erwartet.