Ein Video zeigt einen Polizisten, der bei einem Einsatz in Düsseldorf auf dem Kopf eines 15-Jährigen kniet, um ihn zu fixieren – Parallelen zu dem tödlichen Polizeieinsatz gegen den Afroamerikaner George Floyd in den USA werden gezogen, die Hintergründe des Einsatzes zeigen die Bilder allerdings nicht. In einem anderen Video – einem satirisch gemeinten Beitrag des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots "Funk" – verdächtigen deutsche Polizisten einen dunkelhäutigen Mann, sein eigenes Fahrrad zu stehlen und erschießen ihn schließlich. Die beiden Filme, die in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen und Empörung sorgten, sind die jüngsten Kapitel einer seit Monaten geführten Polizeidebatte über Gewalt und Rassismus. Unter anderem ausgelöst durch mutmaßlich rechte Polizei-Netzwerke in Hessen, befeuert von Meldungen über den Umgang der US-Polizei mit Afroamerikanern.
Der Respekt vor Polizeibeamten sinkt hierzulande, die Gewaltbereitschaft gegen sie steigt. Auch in der Region hinterlässt die Entwicklung Spuren. Ungewöhnlich offen sprechen nun Polizeiführung, Gewerkschafter und "einfache" Beamte über die Stimmung bei den Ordnungshütern in Unterfranken.
Nina Küttenbaum ist Polizeioberkommissarin in Würzburg. Sie ist enttäuscht, "wie die Polizei gerade durch die Medien in den letzten Wochen dargestellt wird". Es werde "ein falsches Bild erzeugt". Mit Folgen: Die Rassismus-Vorwürfe gegen die Polizei sorgten beim Streifendienst ein Stück weit für Verunsicherung, sagt sie. Manchmal frage man sich, "ob man eine anstehende Kontrolle überhaupt in der Art und Weise durchführen soll, wie man es eigentlich vorhatte".
Racial Profiling "ist ganz klar unzulässig"
Bei Polizeipräsident Gerhard Kallert ist das Problem angekommen. Er bedauert, dass der in den USA aufgekommene Vorwurf, Menschen würden "nur aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Aussehens kontrolliert werden, auf die deutsche Polizei" übertragen werde. Hierzulande brauche die Polizei "zur Durchführung einer jeden Personenkontrolle" eine Rechtsgrundlage, heißt es vom Polizeipräsidium. Sogenanntes Racial Profiling "ist ganz klar unzulässig. Das machen wir unseren Polizistinnen und Polizisten bereits in der Ausbildung sehr deutlich".
Da es "kein strukturelles Problem mit Racial Profiling oder Rassismus in der Polizei" gebe, lehnt die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) "die Forderungen nach einer Studie, die Rassismus innerhalb der Polizei belegen soll, vehement ab", so der unterfränkische DPolG-Chef Thorsten Grimm. "Einzelfälle" müssten indes "untersucht und sauber aufbereitet werden".
Laut Polizeipräsident Kallert werden in Unterfranken derzeit fünf solcher Fälle geprüft. Wie das Präsidium auf Anfrage mitteilt, geht es bei den Verfahren um "ein möglicherweise fremdenfeindliches und/oder verfassungsfeindliches Verhalten von Beamten". Hintergrund sei "jeweils entweder auffälliges Verhalten in den sozialen Medien oder Anhaltspunkte im Rahmen der Auswertung von privaten Smartphones der Beamten" gewesen. "Hierbei möchte ich betonen, dass es sich letztlich um Einzelfälle handelt", so Kallert, "die in keinster Weise repräsentativ für die gesamte Organisation Polizei sind."
Dennoch erleben die Einsatzkräfte laut Kallert, dass entsprechende "Anschuldigungen benutzt werden, um die Beamten einzuschüchtern und die Kontrolle zu beeinflussen". Fabian Schmitt, Polizeihauptmeister in Kitzingen, hat solche Erfahrungen gemacht: "Bei Verkehrskontrollen höre ich gelegentlich den Satz, wir würden die Person nur anhalten, weil sie ein ausländisches Aussehen habe". Wohl, um die Beamten "einzuschüchtern und damit wir die Kontrolle abbrechen oder gar nicht erst nicht im Detail hinschauen", vermutet er.
Auch Nina Küttenbaum kennt solche Situationen. Einige Personen, die sie kontrolliert habe, hätten ihr schon vorgeworfen, sie würden nur "aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Herkunft" kontrolliert werden – und das "extra laut, damit die Kontrolle nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann und umstehende Bürger die Situation genau beobachten".
Ein Problem dabei: "Wer nur einen kleinen Moment unseres Einschreitens mitbekommt, kann sich auch nur ein Bild von der aktuellen Situation machen – nicht jedoch von dem, was davor passiert ist", betont Küttenbaum und erzählt von einem Einsatz während einer Nachtschicht, in der sie und ihr Streifenpartner wegen einer Ruhestörung ans Mainufer gerufen wurden. Hier hätten sie drei Jugendliche gebeten, sich ruhiger zu verhalten. Plötzlich sei aus rund 100 Metern Entfernung "ein unbeteiligter farbiger Jugendlicher" auf die Beamten zugerannt. Er "stellte sich direkt vor uns und schrie uns an, warum er nun kontrolliert wird und was die Kontrolle überhaupt soll".
Küttenbaum hat sich über die Situation Gedanken gemacht. "Wer die eigentliche Ausgangssituation nicht mitbekommen hat, weiß gar nicht, wie es tatsächlich abgelaufen ist", sagt sie. "Vielleicht denkt ein aufmerksam gewordener Bürger sogar, wir hätten nur den farbigen Jugendlichen angesprochen. Oder noch schlimmer: Er kommt auf den Gedanken, wir würden nur ihn kontrollieren, weil er farbig ist."
Schaulustigen erklären, was die Polizei tut
Publikum hat die Polizei bei Einsätzen heutzutage genug. Wenn er aktuell zum Beispiel feiernde Menschen auf die Corona-Hygienevorschriften hinweist, "dann sammeln sich schnell Schaulustige um uns und kommentieren unsere Kontrolle oder möchten uns davon abhalten", berichtet Polizist Schmitt. Davon fühle er sich zwar nicht bedroht. Man müsse aber damit umgehen können. Was meist helfe, ist, den Leuten zu erklären, dass das "unsere Aufgabe und auch rechtmäßig ist".
"Es zehrt an den Nerven, sich ständig für korrektes Handeln rechtfertigen zu müssen", beschreibt Christian Schulz, Personalratsvorsitzender und Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Unterfranken, die Stimmung. Außerdem würden Einsätze "immer häufiger zur emotionalen Belastungsprobe", sagt er und macht seinem Ärger Luft: "Da kommen zum Beispiel Polizisten von einem schwierigen Einsatz zurück, bei welchem sie Menschen in dramatischer Notlage zur Seite standen oder vielleicht sogar ein Leben retteten – kurz danach werden sie zu einem anderen Einsatz gerufen und hierbei beleidigt, bespuckt, als Mörder bezeichnet oder gar feige aus dem Hinterhalt mit Flaschen beworfen."
Für den GdP-Chef ist es indes "zu kurz gedacht, für den fehlenden Respekt gegen Einsatzkräfte hauptsächlich ein Integrationsproblem verantwortlich zu machen. Gewalt und sinkender Respekt gegenüber Polizei ist weiter verbreitet, als man dies in der Öffentlichkeit wahrnimmt. Dies zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten".
Groß ist auch der Ärger bei der DPolG. Die Äußerungen der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die Polizisten einen "latenten Rassismus" vorwarf, die Eskalationen in Stuttgart und Frankfurt und das angezündete Einsatzfahrzeug von Würzburg – DPolG-Bezirkschef Grimm sieht unter anderem darin Belege für einen "gesamtgesellschaftlichen Wandel zu Lasten der Polizei", der "jetzt mit immer höherer Geschwindigkeit" voranschreite. "Es ist nur eine Frage der Zeit", warnt Grimm, bis ein Polizist "gesundheitlich schwer zu Schaden kommt oder unter Umständen auch getötet werden könnte".
"Freund und Helfer" statt "Prügelknabe der Nation"
Im Jahr 2019 zählte das Polizeipräsidium Unterfranken 638 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte, darunter 200 tätliche Angriffe und 34 gefährliche Körperverletzungen. Für das laufende Jahr geht man von ähnlichen Zahlen aus, bei Fällen von gefährlichen Körperverletzungen und Beleidigungen sei eine steigende Tendenz erkennbar.
"Die Polizei braucht den selbstverständlichen Rückhalt von Medien, Politik – von allen", fordert GdP-Vorsitzender Schulz. "Polarisierende Aussagen von Politikern oder Hetzkolumnen einzelner Journalisten sind ein fatales Zeichen und erschüttern die Grundfeste unserer Polizei. Sie verstärken ein Feindbild Polizei." Er wünscht sich, "dass wir wieder mehr als 'Freund und Helfer' wahrgenommen werden und nicht als 'Prügelknabe der Nation'."
Ein achtjähriges Mädchen wird "ermittelt", weil es der Polizei sagen will, dass es gerne einen Fahrradstreifen hätte. Ist ja auch gut so. Aber warum scheut die Polizei den Dialog mit dem erwachsenen Durchschnittsbürger. Es gibt genug Situationen, wo man der Polizei gerne sagen würde "da hätte ich gerne Hilfe (gehabt)", "warum macht ihr das so?" oder manchmal auch ein "gut, bitte weiter so". Es gibt so viele direkte und indirekte Berührungspunkte, aber keinen Dialog. Ohne Dialog kein Verständnis.
Ich bin mal gespannt, ob jemand der Polzei einmal auf mich zukommt und mich um meine Meinung fragt. Zum Beispiel nach diesem Kommentar.
"Ihr kontrolliert mich doch nur weil ich schwarz bin!"
Und die umherlaufenden (meist jungen) Passanten sagen:
"Schau mal, der arme Afrikaner, dem müssen wir helfen"
Dann werden die Polizisten von schaulustigen Jugendlichen vollgetextet und in der Arbeit gestört. Die Polizei hat ja viel mehr Arbeit mit den Leuten, die mit der Kontrolle gar nichts zu tun haben, sondern ihren Unmut kundtun oder es gar noch ungerecht finden und mit den Polizisten das auch noch ausdiskutieren wollen.
Ich wünsche mir einfach mehr Respekt von den Jüngeren in unserer Gesellschaft. Aber da hat auch die "Larifarri-Erziehung" der nach "Nach-'68er" damit zu tun. Es gibt keine klaren Grenzen & keinen Respekt, es wird ewig rumdiskutiert & lamentiert...