Ein niedersächsischer Innenminister, der an einem Samstagmittag mit den SPD-Parteikollegen in der Würzburger Randgemeinde Gerbrunn am Infostand Rede und Antwort steht? Boris Pistorius hatte sich sozusagen im Rahmen der Amtshilfe der niedersächsischen SPD, die ja in der Regierung ist, mit mehr als zwei Dutzend Genossen zur Wahlkampfunterstützung in den Freistaat aufgemacht. Beim Halt in Gerbrunn blieb Zeit für ein Gespräch über das Thema der Stunde: die Causa Maaßen.
Frage: Herr Pistorius, hat das Wochenende die Situation gerettet?
Boris Pistorius: Die Entscheidung, die man im Kanzleramt gemeinsam gefunden hatte, hat Reaktionen ausgelöst, die in der Heftigkeit niemand erwartet hat. Ich finde es richtig und der politischen Kultur dienlich, wenn man dann sagt: Wir haben einen Fehler gemacht. Wir haben es falsch eingeschätzt. Die Menschen erwarten von uns zu Recht, dass wir nicht so tun, als würden wir keine Fehler machen.
Also haben Sie das Fehler-Eingeständnis von Andrea Nahles am Freitag erwartet?
Pistorius: Ich habe es erwartet, weil es die einzig richtige Reaktion war. Andrea Nahles steht als Parteivorsitzende – auch vor dem Hintergrund des Erneuerungsprozesses in der Partei – dafür, eine andere politische Kultur im Umgang mit solchen Dingen zu etablieren. Da ist es richtig zu sagen, wir haben etwas falsch eingeschätzt. Das müssen wir korrigieren. Das ist folgerichtig und souverän.
Was war die falsche Einschätzung?
Pistorius: Die Einschätzung zu glauben, die Menschen würden die Entscheidung, dass Herr Maaßen das Bundesamt für Verfassungsschutz inklusive Beförderung und Gehaltserhöhung verlässt, unkritisch hinnehmen, war falsch. Mir war von Anfang an klar, dass das nicht ausreichen würde. Schon aus fachlichen Gründen nicht. Ihn zum Staatssekretär für den wichtigsten Bereich im Bundesinnenministerium zu machen – das geht nicht.
Hans-Georg Maaßen ist untragbar, weil. . .
Pistorius: Als Sprecher der SPD-Innenminister, als jemand, der seit fast sechs Jahren unmittelbar mit Verfassungsschutz und Sicherheitspolitik zu tun hat, sage ich: Es ist schwer vorstellbar, mit einem Mann zusammenzuarbeiten, der nicht nur dieses Video jenseits seiner Zuständigkeit merkwürdig kommentiert, mit Unterstellungen gearbeitet und sich an Spekulationen beteiligt hat. Außerdem hat er in seiner Amtszeit die Rolle des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats stark vernachlässigt.
Wo und wie genau?
Pistorius: Wir mussten ihn als Landesbehörden beim Thema Reichsbürger sprichwörtlich zum Jagen tragen. Erst nachdem in Bayern ein SEK-Beamter durch einen bewaffneten Reichsbürger erschossen worden war, ist der Bund aufmerksam geworden. Die Identitäre Bewegung wird in Niedersachsen und anderswo teilweise schon seit 2014 beobachtet, beim Bundesamt ist sie seit vergangenem Jahr erst Verdachtsfall. Bei der Jungen Alternative, die wir in Niedersachsen und Bremen jetzt beobachten, das gleiche. Angesichts der rechtslastigen Verschiebungen wollen die Länder schon länger auch über die AfD reden und uns fachlich mit dem Bundesamt auf Amtsleiterebene austauschen, und zwar ohne Geheimniskrämerei, einfach anhand von öffentlich zugänglichem Material. Wohin steuert die AfD? Darüber zu reden ist notwendig! Das Bundesamt hat dieses Gespräch aber bisher mehrfach blockiert.
Die Länder sind wacher als die Bundesbehörde? Den Verfassungsschutz leisten also die Länder?
Pistorius: Herr Maaßen und der ehemalige Innenminister Thomas de Maiziere hatten ja vor einiger Zeit Pläne, den Verfassungsschutz zu zentralisieren. Dagegen haben wir uns mit Händen und Füßen gewehrt, und das war goldrichtig. Wir sehen jetzt, wie wichtig es ist, dass wir ein Korrektiv haben, das nicht aus Berlin gesteuert ist. Eine große, sehr mächtige und zentralistisch geführte Behörde in der Hauptstadt wäre genau der falsche Weg gewesen.
Jetzt wird Maaßen nicht Staatssekretär, sondern Sonderbeauftragter, bleibt aber im Innenministerium – für Sie eine akzeptable oder sogar gute Lösung?
Pistorius: Eine akzeptable Lösung. Er hat meines Wissens nach zukünftig keine Zuständigkeit für die Dienste und für den Sicherheitsbereich insgesamt. Das ist wichtig.
Was erwarten Sie jetzt von Horst Seehofer?
Pistorius: Dass er vor allem aufhört, die Spielchen aus dem bayerischen Landtagswahlkampf – aus den internen Querelen heraus – auf Bundesebene weiterzuspielen. Er hat die Verantwortung für ein extrem wichtiges und sehr großes Ministerium übernommen, er ist gleichzeitig Innen-, Bau- und auch noch Heimatminister! Eigentlich dürfte er daher weder Zeit noch Lust dazu haben, sich um solche Nebenkriegsschauplätze zu kümmern. Er hat eine enorme Verantwortung für die Innere Sicherheit in Deutschland. Ich erwarte von Herrn Seehofer, dass er jetzt endlich zu einer sachlichen und vertrauensvollen Koalitionszusammenarbeit kommt. Bislang hatten wir die ja nicht, es wird höchste Zeit.
Wie schwer fällt es Ihnen denn, mit ihm zusammenzuarbeiten? Was Sie als Innenminister eines großen Bundeslandes ja tun müssen.
Pistorius: Ich bin ihm – wie alle Kollegen auch – völlig unvoreingenommen begegnet, als die Koalition begann. Ich war aber schon sehr bald irritiert darüber, wie sehr er an der Oberfläche blieb und wie wenig er in die wirklich wichtigen Fragen einstieg. Wirklich verärgert war ich dann über die Diskussion im Sommer, diesen von ihm vom Zaun gebrochenen Streit beim Thema Migration. Das war ausschließlich getrieben von Überlegungen aus dem bayerischen Wahlkampf und hatte mit der Realität unserer Probleme nichts zu tun. Jetzt dieser Vorgang mit Herrn Maaßen – mindestens für die Minister der SPD geführten Innenressorts wird es so immer schwieriger, unbelastet mit ihm zu arbeiten. Wir haben gemeinsam die wichtige Aufgabe, die Innere Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Natürlich arbeiten wir zusammen mit Herrn Seehofer, solange es nötig ist und soweit es geht. Und so lange er es zulässt.
Was erwarten Sie eigentlich von einem Bundesinnenminister?
Pistorius: Dass er ruhig und besonnen arbeitet, dass er die Fachlichkeit abruft, und nicht überflüssige Streitigkeiten vom Zaun bricht und nicht versucht, Stimmungen zu schüren und regionale Parteipolitik in dieses wichtige Ministerium zu tragen. Es gibt kein gefährlicheres Pflaster dafür, als das der Inneren Sicherheit.
Was könnte die Koalition in Berlin von der Koalition in Hannover lernen?
Pistorius: An Sachthemen orientiertes vertrauensvolles Zusammenarbeiten ist reibungslos möglich, auch wenn eine große Koalition nie „Liebesheirat“ ist.
Um die eigene Partei sorgen Sie sich schon auch, oder? Die Bayern haben gerade einen kleinen Aufstand gewagt.
Pistorius: Wir müssen hier zwischen Meinungsverschiedenheiten in einer Personalfrage und einem grundlegenden Streit oder Angriffe auf beteiligte Personen unterscheiden. Es ist ein Defizit in der politischen Kultur, Meinungsunterschiede immer gleich zum Streit zu erklären. Aus Natascha Kohnens Sicht war es folgerichtig, zu artikulieren, dass ihr Verband hinter einer bestimmten Entscheidung nicht steht. Sie hat das sachlich getan. Die SPD in Bayern hat gerade schwierige Zeiten durchzustehen. Dass sie so unverdrossen kämpft, war auch ein Grund dafür, dass wir mit 30 Genossen aus Niedersachsen zur Unterstützung gekommen sind.
Die AfD könnte hier mehr Stimmen bekommen als die SPD. Das muss Sie als Innenpolitiker treffen, oder?
Pistorius: Nicht nur als Innenpolitiker! Wir sind wirklich gefordert, noch aufmerksamer nach rechts zu schauen. Was da gerade passiert, ist besorgniserregend. Es ist wichtig, dass viele Menschen zur Wahl gehen und wirklich demokratische Parteien wählen.
Hätten Sie sich vor einem Jahr Situationen wie in Chemnitz vorstellen können?
Pistorius: Vor einem halben Jahr vielleicht, vor einem Jahr nicht. Das ist eine Entwicklung, die wirklich unser aller Wachsamkeit erfordert. Solche Szenen, Äußerungen, Gesten, teils ungehemmt in der Öffentlichkeit, sogar vor Kameras, kennen wir eigentlich nur aus der Geschichte. Man sieht, dass die AfD überhaupt keine Hemmungen hat, mit Pegida zusammen zu solch einer Kundgebung aufzurufen und gleichzeitig versucht, sich einen bürgerlichen Flügel zu halten. Darum ist es unsere Pflicht, zu fragen, wer bestimmt in der AfD den Kurs? Wohin steuert die AfD? Das ist eine Frage, die die Stabilität unserer Demokratie und den Schutz unserer Verfassung berührt.
Auch kann ich in dem interview keine Absichten erkennen die besorgniserregend für Deutschland wären.