zurück
OBERZELL
Ordensfrauen und der Kampf gegen Prostitution
Prostituierte       -  'Tatsache ist, dass weltweit mit der Prostitution knallharte Geschäfte gemacht werden.'
Foto: Oliver Berg (dpa) | "Tatsache ist, dass weltweit mit der Prostitution knallharte Geschäfte gemacht werden."
Von unserer Gastautorin Katharina Ganz
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:09 Uhr

In jeder Gesellschaft gibt es heilige und profane Orte, private und öffentliche, geschützte und offene, zugängliche oder verbotene Orte. Der französische Philosoph Michel Foucault unterscheidet Alltagsorte von Orten, die von der Norm abweichen. Zu solchen Anders-Orten zählt er Gefängnisse, Klöster und Bordelle. Diesen Orten ist gemeinsam, dass man nicht ohne Weiteres hinein- oder herauskommt. Unser Kloster Oberzell liegt am Rand der Stadt Würzburg. Die „Paradiesstraße“ führt durch das Gewerbegebiet, in dem auch ein Bordell liegt. Ob es dort derzeit wirklich so weihnachtlich besinnlich zugeht, wie im Frankenteil dieser Zeitung am 18. Dezember zu lesen war, kann ich nicht beurteilen.

Mädchen und Frauen als Ware

Tatsache ist, dass weltweit mit der Prostitution knallharte Geschäfte gemacht werden. Mädchen und Frauen werden wie Ware behandelt, gekauft und verkauft. In Deutschland solche Verbrechen nachzuweisen, ist seit 2002 schwer geworden. Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes gilt das horizontale Gewerbe als ein Beruf wie jeder andere. Frauen, die anschaffen, sollten aus der Illegalität herauskommen, ihren Lohn einklagen können und Zugang zur Kranken- und Sozialversicherung haben. Was einzelnen nutzt, schadet in der Praxis Tausenden anderen.

"Die Bundesrepublik hat sich zum größten Puff Europas entwickelt"

Die Bundesrepublik hat sich zum größten Puff Europas entwickelt. Das Geschäft liegt in den Händen von gut organisierten, brutal vorgehenden kriminellen Banden. 90 bis 95 Prozent der schätzungsweise 250 000 bis 400 000 Menschen, die sich in Deutschland prostituieren, sind weiblich. Sie stammen überwiegend aus Afrika, Ost- und Südosteuropa. Unter falschen Versprechungen angelockt, werden die meisten wie moderne Sklavinnen in völliger Abhängigkeit gehalten und erleiden in der Prostitution schwerste körperliche und seelische Schäden.

Nordische Länder haben inzwischen Gesetze erlassen, um den Sexkauf zu verbieten. Seitdem sind die Nachfrage und damit der Menschenhandel in diesen Ländern gesunken. Hierzulande müssen Sexkäufer seit 1. Juli Kondome benutzen, Bordelle brauchen eine Erlaubnis, Frauen in der Prostitution müssen angemeldet sein und sich einer Gesundheitsberatung unterziehen. Ausreichend geholfen ist den Frauen damit nicht. Nur durch ein komplettes Verbot von Sexkäufen kann ihre sexuelle Ausbeutung eingedämmt werden.

Schwester Lea Ackermann gründete in den 1980er Jahren den Verein Solwodi, um Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution beizustehen. Parallel entstand der Arbeitskreis „Ordensfrauen gegen Frauenhandel“, in dem sich unsere Gemeinschaft engagierte. Heute sind wir Oberzeller Franziskanerinnen Mitglied im „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“. Wir sind vernetzt mit Organisationen, die in ihren Beratungsstellen und Schutzhäusern traumatisierte Opfer aus der Prostitution herausbegleiten.

Antonia Werr erkannte die Not

Als die Würzburgerin Antonia Werr Mitte des 19. Jahrhunderts das sogenannte Schlösschen neben dem einstigen Prämonstratenserstift Kloster Oberzell anmietete, existierte das Phänomen der Prostitution schon. Armut und Mittellosigkeit stellten auch in Franken eine existenzielle Verletzlichkeit dar. Die Strafjustiz verschlimmerte die Not: Allein die Annahme, dass bestimmte Personengruppen wegen fehlender Mittel womöglich Bettelei, Betrug, Diebstahl oder Prostitution nachgehen könnten, genügte, um sie in Zucht- oder Arbeitshäuser zu inhaftieren.

An Weihnachten 1854 wandte sich Werr mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, sie bei der Gründung einer „katholischen Anstalt zur Besserung verwahrloster Personen des weiblichen Geschlechts“ mildtätig zu unterstützen. Treffsicher analysierte sie die Ursachen, die Frauen ins Elend führten. Statt das Individuum allein für seine Misere verantwortlich zu machen, benannte Antonia Werr eine „lasterhafte Umgebung“ oder erkannte bereits sexuellen Missbrauch in der Familie, wenn sie ein Mädchen als „Verführte ihres Vaters“ beschreibt. Die bestehenden Formen der Wohltätigkeit griffen ihrer Ansicht nach zu kurz, da sie nur vordergründige Bedürfnisse befriedigten. Erklärtes Ziel ihrer Einrichtung war, den Teufelskreis zu durchbrechen, der aus Schuldigwerden, Bestrafung, fehlender Aussicht auf Besserung, Rückfall und erneuter Stigmatisierung bestand, ohne reale Chance auf einen Neuanfang. Anliegen ihres christlich motivierten Resozialisierungskonzepts war, die Menschenwürde der Frauen wieder herzustellen.

Methodisch führte sie den Schwestern und Bewohnerinnen das göttliche Kind in der Krippe vor Augen. Im Betrachten der Figuren sollten die Spiritualität angeregt und eine innere Haltung bewirkt werden, die sich auf das praktische Handeln auswirkten. Die Schwestern versetzten sich an die Stelle der besorgten Maria und des fürsorglichen Josef. So sollten sie befähigt werden, für diejenigen zu sorgen, die aus unglücklichen Umständen in aussichtslose Not geraten waren. Am 27. Januar 2018 jährt sich der Todestag der Gründerin unserer Gemeinschaft zum 150. Mal. Ihr Anliegen, für eine Gesellschaft und Kirche zu kämpfen, in der die Rechte von Mädchen und Frauen geachtet und ihre Stimmen gehört werden, hat sich leider noch nicht erledigt. Verharmlosung, Egoismus und Ausbeutung herrschen noch immer.

Weihnachten taugt nicht für Kitsch und Konsum 

Weihnachten – einmal so betrachtet – entbehrt jeder heimeligen Idylle. Es taugt nicht für Kitsch und Konsum. Es lädt ein zu Gesellschaftskritik, Mitgefühl und Solidarität im aktiven Einstehen für Benachteiligte und Ausgegrenzte. Es fordert auf zum Aufschrei, zum Aufstehen und Handeln für eine Welt, in der jedes menschliche Leben gleich viel zählt.

Die Autorin Schwester Katharina Ganz (47) ist Generaloberin der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu im Kloster Oberzell in Zell. Es handelt sich um eine franziskanische Ordensgemeinschaft.  Schwester Katharina ist 1995 ins Kloster Oberzell eingetreten.
Foto: Petra Winkelhardt | Die Autorin Schwester Katharina Ganz (47) ist Generaloberin der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu im Kloster Oberzell in Zell. Es handelt sich um eine franziskanische Ordensgemeinschaft.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bordelle
Frauenhandel
Klöster
Lea Ackermann
Ordensschwestern
Prostituierte
Prostitution
Stadt Würzburg
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Koenigshoefer
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Amiga-Freak
    Prositution ist sicherlich kein "schönes" Geschäft. In einer idealen Welt sollte sie es nicht geben.
    Aber ich möchte zu Bedenken geben:

    1. Es gibt offensichtlich Frauen die diese Tätigkeit ausüben möchten (und einen entsprechenden Berufsverband, siehe https://berufsverband-sexarbeit.de) oder in anderen Berufen keine Perpektive haben oder sehen.

    2. Es gibt noch viel mehr Männer die - aus vielerlei Gründen - keine passende Partnerin finden. Nicht zuletzt sind darunter auch Behinderte, für die Prostituierte teilweise auch einen speziellen Service anbieten. Gerade für Behinderte ist Prostitution nicht selten die _einzige_ Möglichkeit je in ihrem Leben Sexualkontakte zu haben.

    Solange die genannten Dinge existieren, solange also offenbar ein Bedarf besteht, wäre es m.E. ein großer Fehler Prostitution zu verbieten.

    Der Sexualtrieb ist einer der stärksten Triebe und wird sich auch durch die Illegalität Bahn brechen, mit allen üblen Begleiterscheinungen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Apfelkorn
    Der Butt sieht alles aus einer anderen Perspektive.

    Günter Grass schreibt in seinem "Butt" davon, dass in früheren Zeiten die Macht der Frauen größer war, und dass damals die Ordensfrauen und die Prostituierten zusammenhielten, um gegen eine unduldsame Männerwelt bestehen zu können. Cher, die Chanteuse, singt davon, dass wir in einer "Manns-Manns-Manns-Welt" leben. Wenn Frauen ausgebeutet werden, dann muss etwas gegen diese Versklavung geschehen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten