Der Aufschrei war groß: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Krankenhäuser reformieren - und legte ein Gesetz vor, das dafür sorgen könnte, dass die Arbeit von Hebammen auf Wochenbettstationen bald nicht mehr finanzierbar wäre. Eine Online-Petition wird gestartet - und findet in so kurzer Zeit so viele Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, dass sich der Gesundheitsminister den Forderungen gleich wieder beugt. Die Chronologie einer Kehrtwende - und wie zwei Würzburger Hebammen die Situation einordnen.
Donnerstag, 20. Oktober: Bundestag beschließt GKV-Finanzstabilisierungsgesetz
Schon im Vorfeld ist das Gesetz heftig diskutiert worden: die Kassenärztliche Vereinigung (KV), der Apothekerverband, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung üben teils heftige Kritik am Entwurf.
Eine wesentlicher Punkt von Lauterbachs geplanter Reform: die Änderung des Pflegebudgets für Kliniken. Ab 2025 sollen nur noch qualifizierte Pflegekräfte, die Patienten auf Stationen versorgen, im Pflegebudget berücksichtigt werden. Im Klartext würde das bedeuten: Der Einsatz von Hebammen auf Wochenbettstationen und Stationen, in der Risikoschwangerschaften betreut werden, wäre nicht mehr über das Pflegebudget finanzierbar.
Freitag, 21. Oktober: Aufschrei im Hebammenverband
Das Gesetz würde "katastrophale Auswirkungen" haben und "die Versorgung von Frauen und Kindern in bisher ungekanntem Maße gefährden", kritisiert der deutsche Hebammenverband. Frauen würden dann von Krankenschwestern und Krankenpflegern betreut - und nicht von den speziell ausgebildeten Hebammen. Deren Arbeit auf den Stationen wäre laut Verband durch die Reform für die Kliniken schlicht nicht mehr zu finanzieren.
Wenn die Hebammen aus dem Pflegebudget gestrichen werden, "fallen sie komplett zurück in die Finanzierung über die DRG", so die Warnung des Verbands. Die Arbeit der Hebammen müsse dann über Fallpauschalen finanziert werden. Was daran schlimm wäre? "Das Problem dabei ist, dass Fallpauschalen in den Praxis einfach zu niedrig sind, um die Löhne zu finanzieren", erklärt Kathrin Dürr, Sprecherin des Hebammenverbandes für die Region Würzburg.
Freitag, 4. November: Eine Mutter startet eine Petition - und die geht durch die Decke
Selten läuft eine deutsche Petition auf der Online-Plattform change.org so erfolgreich. "Hebammen waren ein wichtiger Teil meiner Schwangerschaft, sowohl vor, als auch nach der Geburt. Es ist mir wichtig, dass auch andere Menschen weiterhin diese Versorgung erhalten", schreibt die Initiatorin Michelle Franco aus Karlsruhe auf der Petitionsplattform. Binnen weniger Stunden ist die Aktion der Studentin und Mutter mit dem Titel "Keine Streichung der Hebammen aus dem Pflegebudget ab 2025!" tausendfach geteilt, auf Social-Media-Plattformen spricht sich das Thema schnell herum.
Samstag, 5. November: 240 Millionen für die Geburtshilfe - aber reicht das?
Ob es eine erste Reaktion auf den Aufschrei war? Minister Karl Lauterbach verspricht im Rahmen einer Änderung des Krankenhauspflegeentlastungsgesetz 240 Millionen Euro für die Geburtshilfe für die kommenden zwei Jahre. So heißt es in einem Bericht der Zeitungen der Funke Mediengruppe, den das Gesundheitsministerium auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa bestätigt. Nach einem festgelegten Schlüssel soll das Geld auf die Bundesländer verteilt werden. Für Bayern würde das bedeuten, dass es pro Jahr 18,7 Millionen Euro an Geburtskliniken verteilen kann. Bei 134.321 Geburten in Bayern im Jahr (2021) wären das pro Geburt 139,22 Euro.
Montag, 7. November: Die Petition hat 1 Million Unterzeichner
Eine Million Menschen haben die Petition mittlerweile unterzeichnet. Die Würzburgerin Kira Endrich, Hebamme und stellvertretenden Kreisssprecherin des Hebammenverbands, ist vorsichtig optimistisch: "Ich kann mir vorstellen, dass die Petition Erfolg haben könnte." Endrich ist hauptsächlich in der Wochenbettbetreuung zuständig. Sie sagt, die Folgen könnten gravierend sein, wenn Frauen in der Klinik nach der Geburt nicht von Hebammen betreut werden würden: "Letztlich werde ich in den Wochenbettbetreuungen das auffangen müssen, was im Krankenhaus ohne Hebammen auf Station untergehen wird: Stillprobleme werden mehr werden, auch für die Pflege von Neugeborenen braucht es Expertise."
Sie wolle keinesfalls die Arbeit des Pflegepersonals abwerten, sagt die Würzburger Hebamme: "Aber die haben einfach ein ganz anderes Fachgebiet, die Berufe sind nicht vergleichbar und nicht austauschbar." Für Kathrin Dürr kommt ein weiteres Problem dazu: "Wenn Pflegekräfte die Aufgaben von Hebammen übernehmen, fehlen diese wieder wo anders."
Dienstag, 8. November: Karl Lauterbach lenkt ein
Der Druck aus Bevölkerung und Verbänden scheint zu wirken: Der Minister geht auf die Forderungen der Unterzeichner und der Berufsverbände ein. Auch künftig sollen Hebammen im Pflegebudget bleiben, sagt Karl Lauterbach gegenüber der "Rheinischen Post".
Ist damit jetzt alles gut? "Nein", sagt Kira Endrich. Klar, sie freue sich, wenn die Petition Erfolg gehabt hätte - "aber nur weil die Situation nicht noch schlechter wird, heißt das nicht, dass sie gut ist." Ähnlich sieht es Kathrin Dürr: "Es bleibt eine Verwaltung der Unterversorgung, was in vielen Kliniken passiert." Theoretisch gäbe es zwar zahlenmäßig genug Hebammen - "bloß ist der Beruf finanziell so unattraktiv, dass viele ihn nicht mehr machen wollen. Die Verantwortung, die eine Hebamme für das Leben eines Babys hat, ist einfach nicht im Lohn abgebildet."
Mittwoch, 9. November: Die Petition wird weiter eifrig geteilt und gezeichnet
Stand 16.30 Uhr am Mittwoch haben knapp 1,5 Millionen Menschen die Petition unterzeichnet - sie ist damit eine der meist gezeichneten Petitionen der Plattform.