zurück
WÜRZBURG
Neues Krisenmanagement bei Missbrauchsfällen?
Tiefe Risse: Kruzifix in der katholischen Pfarrkirche St. Cäcilia von Eichenbühl (Landkreis Miltenberg).
Foto: Christine Jeske | Tiefe Risse: Kruzifix in der katholischen Pfarrkirche St. Cäcilia von Eichenbühl (Landkreis Miltenberg).
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:45 Uhr

Offizielle Stellungnahmen würden nicht weiterhelfen. Durch sie bestehe die Gefahr, dass Gräben und Verletzungen neu aufgerissen werden. So lauteten die Worte von Thomas Keßler, Generalvikar der Diözese Würzburg, im Herbst 2015. Sie stehen in einem Brief an ein weibliches Missbrauchsopfer aus Eichenbühl im Landkreis Miltenberg.

Es war die Ablehnung einer Bitte. Die Frau hat den Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann im September in einem Brief um eine persönliche Stellungnahme im Fall des ehemaligen Pfarrers W. gebeten – „in der Kirche im Gottesdienst“. Damit würde die „Angelegenheit“ in Eichenbühl endlich zu Ende gebracht werden. Abschlägig geantwortet hat einige Wochen später der Generalvikar.
 

„Wir danken allen Opfern, die den Mut hatten, die Vergehen von Herrn W. zur Anzeige zu bringen.“
Thomas Keßler, Generalvikar der Diözese Würzburg

Im Kindesalter missbraucht

Die Frau und ein weiteres, männliches Opfer von W. – beide wurden von ihm im Kindesalter missbraucht und möchten anonym bleiben – wollten sich mit der Ablehnung der Bitte nicht abfinden. Bei einem Gespräch mit dieser Redaktion berichteten sie über ihre schlimmen Erfahrungen durch den mittlerweile in den Laienstand versetzten Pfarrer. Es würde ihnen aber nicht nur um ihre Fälle gehen: „In der Gemeinde leben noch weitere Opfer. Sie schweigen“, erzählten beide damals. Zudem sei der Ort gespalten. Es gebe immer noch „Anhänger“ des ehemaligen Pfarrers. Ein Bericht dazu ist in dieser Zeitung Mitte April erschienen.

Bistumsleitung bedauert zutiefst schweres Leid

Gut neun Monate später schreibt der Generalvikar wieder einen Brief. Dieses Mal nicht direkt an das Opfer, sondern an alle Katholiken der Pfarrei Eichenbühl. Ein Auszug: „Bischof Dr. Friedhelm Hofmann und ich bedauern zutiefst das schwere Leid, das durch Herrn W. den Opfern und deren Familien widerfahren ist. Wir verurteilen sein Verhalten aufs Schärfste.“ Und: „Die Pfarrgemeinde Eichenbühl ist ebenso wie die Diözese Würzburg gefordert, ihren Teil dazu beizutragen, dass Opfer nicht ausgegrenzt oder als Nestbeschmutzer bezeichnet werden.“ Abgedruckt wurde das Schreiben des Generalvikars im Pfarrbrief beziehungsweise in der Gottesdienstordnung „Antoniusblatt“ der Pfarreiengemeinschaft St. Antonius Erftal und Höhen.

Sinneswandel beim Generalvikar?

Keßlers Worte unterscheiden sich doch sehr von denen, die er im September 2015 geschrieben hat. Es scheint ein Sinneswandel eingetreten zu sein. Ist es ein Schritt hin zu den von ihm angekündigten Veränderungen im Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche?

Dass die Diözese bislang kein funktionierendes Krisenmanagement habe, diese Aussage des Generalvikars und dazu eine Entschuldigung war vor einigen Wochen bei einem Gesprächsabend in einer Gemeinde im Raum Bad Kissingen zu hören.

Dort wird ein Ruhestandspriester des sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen beschuldigt. Bischof Friedhelm hat mittlerweile dem Mann alle priesterlichen Dienste untersagt. Zudem muss der Geistliche das Pfarrhaus räumen. Der Fall wird derzeit von der Staatsanwalt Schweinfurt geprüft.

Im Fall des früheren Pfarrers W. gab es dagegen lange kein konsequentes Durchgreifen der damaligen Bistumsleitung. 1985 werden erste Anschuldigungen gegen W. bekannt. Damals war er bereits nicht mehr in Eichenbühl, sondern in Miltenberg eingesetzt. Johannes Heibel hat über den Fall intensiv recherchiert und 2014 in seinem Buch „Der Pfarrer und die Detektive“ (siehe unten stehende Infobox) beschrieben. Letztendlich spricht in dieser Angelegenheit der Papst nach Jahren ein Machtwort: Er entlässt W. im Juni 2015 aus dem Klerikerstand.

Opfer sind positiv überrascht

Die Opfer aus Eichenbühl sind vom Inhalt des Schreibens von Generalvikar Keßler positiv überrascht, auch darüber, „dass das Bistum so konkret Stellung bezieht“. Die Frau sagte gegenüber dieser Redaktion, dass ihr diese Veröffentlichung helfen wird, „endlich einen Schlussstrich ziehen zu können, soweit das eben mit solchen Dingen geht.“ Beide hoffen, dass sich weitere Opfer von W. endlich trauen sich beim Missbrauchsbeauftragten der Diözese Klaus Laubenthal zu melden.

Schweigen im Ort

In der Pfarrei gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, ob die Worte Keßlers dort Wirkung zeigen. Bislang sei der Inhalt des Briefes und damit der sexuelle Missbrauch von Kindern kein Gesprächsthema, bestätigen beide Opfer einige Wochen nach der Veröffentlichung des Briefes.

Eine Bekannte hätte den Brief des Generalvikars als „sehr gut geschrieben“ gelobt. Andere Reaktion lauteten: „Das wird einfach nur zur Kenntnis genommen“. Oder: „Die Leute haben genug von diesem Thema.“ Dies gilt wohl auch für die „Anhänger“ von W., die dessen Unschuldsbeteuerungen immer Glauben geschenkt hätten. Von ihnen sei auch bislang nichts zu hören gewesen, sagen die Opfer.

Pastoralreferent Hermann Gömmel meinte bereits vor Veröffentlichung des Statements aus Würzburg: Der Fall W. sei kein Thema in Eichenbühl gewesen. Dieser Aussage widersprechen die beiden Opfer vehement. Sie erinnern sich noch sehr genau daran, dass im Ort die Leute vor Jahren über W. und die Vorwürfe gegen ihn diskutiert hätten.

Doch nun, wo sich die Anschuldigungen bestätigt haben und den Opfern geglaubt wird, herrscht offenkund Schweigen. Missbrauch ist noch immer ein Tabu – und das nicht nur in Eichenbühl.

Kontakt zum Ansprechpartner für Opfer von sexuellem Missbrauch der Diözese Würzburg: Prof. Klaus Laubenthal, persönlich/vertraulich, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg, Tel. (09 31) 318 23 72; E-Mail: kls.lbnthl@googlemail.com

Der Fall des einstigen Pfarrers W.

Der Autor Johannes Heibel hat über Jahre intensiv über den Fall des ehemaligen Pfarrers W. aus dem Bistum Würzburg recherchiert und in seinem 2014 veröffentlichten Buch „Der Pfarrer und die Detektive“ (Horlemann, 16,90 Euro) beschrieben. Später erfährt Heibel, dass auch in der Gemeinde Eichenbühl (Lkr. Miltenberg) Opfer von W. leben.

Heibels Zusammenfassung: 1985 steht W. in seinem Heimatbistum Würzburg erstmals unter Verdacht, er muss sich vor Gericht verantworten. Kurz darauf gerät W. im Bistum Limburg wieder unter Verdacht. 1992 wird ihm im Bistum Bamberg eine Gemeinde anvertraut. 1998 beschuldigt der Vater eines Messdieners W. in Sonnefeld bei Coburg öffentlich des sexuellen Missbrauchs seines Sohnes. Das Landgericht Coburg verurteilt W. 2000 wegen sexuellen Missbrauchs von drei Kindern zu einer Strafe von zwei Jahren auf Bewährung.

Der Versuch des Bistums Würzburg scheitert, W. wieder ein Amt zu übertragen. Er wird in den Ruhestand entlassen. 2014 melden sich weitere Opfer. Das Bistum Limburg zeigt einen Fall in Rom an. Auch das Bistum Würzburg meldet weitere Fälle. Rom entlässt W. 2015 aus dem Klerikerstand. FOTO: H. Helferich

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Eichenbühl
Christine Jeske
Bischöfe
Bistum Würzburg
Friedhelm Hofmann
Generalvikare
Krisenmanagement
Missbrauchsaffären
Sexueller Missbrauch
Thomas Keßler
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • A. O.
    Menschen, die sich an Beauftragte der Katholischen Kirche wenden, sollten sich vor Augen führen, dass diese alles Andere als unabhängig sind. Auch wenn sie sich so nennen. Es fällt auf, dass nirgendwo entsprechende Verträge eingestellt sind, es keine Erklärung über etwaige Interessenkonflikte gibt und die Personen, die sich an die Beauftragten wenden, darüber im Unklaren gelassen werden, was konkret mit den Informationen geschieht, die sie zur Verfügung stellen. Deshalb sollte man sich immer vor einer Kontaktaufnahme mit einer Beratungsstelle abstimmen. Und zwar einer von der Kirche unabhängigen. Wer es sich leisten kann, wird gut daran tun, jeden Schritt mit seinem Anwalt abzustimmen und diesen zu jedem Gespräch mitzunehmen. Wichtig: keine Dokumente aushändigen, ohne vorher schriftlich vereinbart zu haben, wer, wie und wann über die verfügen darf.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten