Es steht Aussage gegen Aussage. Das Bistum Würzburg sagt, dass es nicht wusste, dass es vor rund 18 Jahren einem des Missbrauchs beschuldigten Priester eine Pfarrstelle anvertraut hat. Dies behauptet jedoch ein Geistlicher. Er sei verwundert, meinte er gegenüber dieser Redaktion. Würzburg sei nicht getäuscht worden. Das Bistum habe es gewusst – von ihm.
Rückblick: X. (Name der Redaktion bekannt) übernahm ab 2000 die Aufgabe eines Pfarradministrators einer Gemeinde im Bistum Würzburg. Dort hat er einen elfjährigen Jungen missbraucht. 2002 hatte er sich nach Aufforderung des Personalreferenten der Diözese selbst angezeigt und wurde zu einer mehrmonatigen Strafe auf Bewährung mit Bußgeld verurteilt.
Der Mann soll 1993 und 2002 zwei Jungen missbraucht haben
Von Seiten der Kirche wurde X. suspendiert und in den Ruhestand versetzt. X. ging aber nicht in sein griechisch-katholisches Heimatbistum Oradea in Rumänien zurück. Dort wurde er 1996 von Bischof Vasile Hossu zum Priester geweiht. X. lebt vielmehr im Bistum Würzburg.
Vor einigen Monaten wurde bekannt, dass sich der Mann bereits 1993 – Jahre vor dem Missbrauchsfall im Bistum Würzburg – in Österreich an einem Messdiener vergriffen haben soll. Das Stift Klosterneuburg bei Wien hat nach den Berichten dieser Redaktion und im österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“ den Missbrauch im September 2017 öffentlich bestätigt.
Die ausschlaggebenden Hinweise dazu stammen von Johannes Heibel. Er ist der Vorsitzende der seit 25 Jahren bundesweit tätigen „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen“.
Bereits im Juni 2017 hatte die Diözese Würzburg – nach der ersten Anfrage dieser Redaktion – X. bei der Staatsanwaltschaft Würzburg wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Darüber hinaus sei „unverzüglich die römische Glaubenskongregation“ informiert worden.
Fand ein Dreiergespräch statt?
Wie ebenfalls berichtet, sagte das Bistum Würzburg im September 2017 auf Nachfrage dieser Redaktion, dass es sich von X. hintergangen fühle „weil ihm diese Vorgeschichte in dem hier entscheidenden Punkt verschwiegen wurde.“
Jüngst nun erreichte diese Redaktion mehrere Schreiben eines mit X. befreundeten Geistlichen. Sein Name und sein Wohnort sind der Redaktion bekannt. In seinem jüngsten Schreiben wiederholt der Geistliche, dass er das Bistum Würzburg über die Vorgeschichte von X. informiert habe. „Bei meinem priesterlichen Ehrenwort versichere ich Ihnen, dass das Dreiergespräch tatsächlich stattgefunden hat.“ Teilnehmer waren laut seiner Aussage der inzwischen im Jahr 2014 verstorbene Generalvikar Karl Hillenbrand sowie der damalige Personalreferent.
Die Frage nach der Motivation dieses mit X. befreundeten Geistlichen, sich damals für einen Mann einzusetzen, der ihm anvertraut hat, einen Jungen missbraucht zu haben, beantwortet er mit den Worten: Er wollte „einfach einem arbeitslosen jungen Priester“ zu einer Anstellung verhelfen. X. habe ihm vertraut und über den Missbrauch in Österreich in Kenntnis gesetzt.
Geistlicher will klare Hinweise gegeben haben
Der Geistliche habe daraufhin Generalvikar Hillenbrand und den damaligen Personalreferenten informiert, dass der Bewerber pädophil sei. Deshalb hätte er „eigentlich in der außerordentlichen Seelsorge“ eingesetzt werden sollen und nicht in der Pfarrerseelsorge. Der Geistliche bezeichnet dies als einen Fehler der Diözese Würzburg. Und: Er würde auch unter Eid bei seinen Angaben bleiben.
Warum hat er sich ausgerechnet im Bistum Würzburg für seinen Priesterkollegen stark gemacht? Weil Karl Hillenbrand ein Studienkollege gewesen sei, antwortet der Geistliche. Er habe ihn gut gekannt und mit ihm in Rom das Kolleg besucht. Deshalb habe er gedacht, dass X. eventuell dort, also in Würzburg, eine Chance haben könnte. „Man lässt einen Priester nicht auf der Straße liegen.“
Darüber hinaus sei er allein schon wegen seiner guten Beziehung zu Generalvikar Hillenbrand seinem Gewissen verpflichtet gewesen, diesen „wahrheitsgetreu über den Missbrauch im Stift Klosterneuburg zu berichten“. Es sei nichts verschwiegen oder vertuscht worden.
Der Geistliche sagt zudem, dass er im Juli 2017 – also nach Erscheinen des ersten Artikels in der Main-Post – Domkapitular Thomas Keßler über das „Dreiergespräch“ von 1998 schriftlich informiert habe. Er habe sich gewundert, dass sich das Bistum Würzburg von X. „hintergangen“ fühlte. Keßler war unter Bischof Friedhelm Hofmann Generalvikar. Nach dessen Eintritt in den Ruhestand ist Keßler seit September 2017 der stellvertretende Diözesanadministrator.
Bistum Würzburg stellte schriftliche Nachfragen
Das Bistum Würzburg bejaht auf Nachfrage, dass Domkapitular Keßler ein Schreiben des Geistlichen im Juli 2017 erhalten habe. Es verneint dagegen entschieden, die Vorgeschichte von X. gewusst zu haben.
Laut Bistumssprecher Schweßinger hat das Schreiben des mit X. befreundeten Geistlichen zum „Gespräch im Generalvikariat“ im Frühjahr 1998 zahlreiche Fragen aufgeworfen. Das Bistum Würzburg habe diese mit schriftlichen Nachfragen zu klären versucht. Die Antworten des Mannes „warfen aber zunehmend neue Widersprüche auf“. Sie hätten, so Schweßinger, erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Ausführungen vom 10. Juli 2017 erweckt. „Dem Bistum Würzburg liegen nach eigenen Recherchen eindeutige Nachweise vor, dass es das ,Dreiergespräch von 1998‘ nicht gegeben hat.“ Deshalb fühle sich das Bistum nach wie vor „in dem entscheidenden Punkt hintergangen, dass ein sexueller Missbrauch in einer Außenpfarrei des österreichischen Klosters dem Bistum Würzburg gegenüber verschwiegen wurde.“
Verweis auf laufende Ermittlungen
Auf die Frage dieser Redaktion, was die eindeutigen Nachweise seien, antwortet Bistumssprecher Schweßinger: Es gebe keinerlei Veranlassung, im derzeitigen Verfahrensstadium (u. a. laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft) die eindeutigen Nachweise, dass es das „Dreiergespräch“ nicht gegeben hat, öffentlich darzulegen.
Eigenständige Erkundigungen über X. vor seinem Eintreffen im Bistum Würzburg gab es nicht. Bereits bei einer früheren Anfrage dieser Redaktion informierte Sprecher Schweßinger: Im Zusammenhang mit der Anstellung von X. im Bistum Würzburg hätte es keinen Anlass gegeben, diesbezüglich bei den vorherigen Bistümern beziehungsweise Wirkungsstätten, in denen X. tätig war, näher nachzufragen.
Und so wurde X. 2000 eine Gemeinde im Bistum Würzburg anvertraut.
Erst als das Bistum Würzburg mit den Recherchen von Johannes Heibel und dieser Redaktion konfrontiert worden war, fragte es Ende Juli 2017 schriftlich in Oradea nach. Bis heute habe Würzburg aber von dem rumänischen Bistum keine Antwort erhalten, so Schweßinger.
Positives Zeugnis aus Rumänien?
Was dem Bistum Würzburg laut eigener Aussage vor der Anstellung von X. vorlag, war ein positives Zeugnis aus Oradea aus dem Jahr 1997 von Bischof Hossu. Ebenso aus der Schweiz. Dort war X., bevor er nach Würzburg ging, zwei Jahre lang Pfarrer in einer kleinen Gemeinde.
Darüber hinaus gebe es ein „Testimonium“ beziehungsweise ein „ausführliches positives Zeugnis“ des damaligen Generalvikars der Diözese Oradea Iosif Sabau vom 21. September 1999. Zu diesem Zeitpunkt lebte Bischof Vasile Hossu, der X. geweiht hat, nicht mehr. Auch Generalvikar Sabau kann nicht mehr dazu befragt werden. Er ist 2001 gestorben.
Hossus Nachfolger, Bischof Virgil Bercea, war bereits vor dem Tod Hossus 1997 Koadjutor-Bischof von Oradea und stand damit Bischof Hossu unterstützend zur Seite. Er müsste also mehr über die Priesterweihe von X. im Jahr 1996 wissen. Auf Nachfrage verneint das Bistum Oradea dies jedoch und schreibt, dass X. seltsamerweise auch nicht im Register der dort geweihten Priester verzeichnet sei.
X. ist aber wohl ein dort zugehöriger Priester. Sprecher Schweßinger bestätigte, dass X. nicht im Bistum Würzburg inkardiniert ist. Warum es dem 2002 suspendierten Priester X. Ruhestandsbezüge zahlt und nicht sein Heimatbistum, wird nicht ganz klar.
Wer zahlt den Lebensunterhalt?
Das Bistum Würzburg meint dazu in einer früheren Anfrage: „Die Wahl des Wohnorts liegt ausschließlich in seiner Entscheidung. Von dem rumänischen Bistum erhielt er laut ,Bestätigung‘ des dortigen Bischofs aus dem Jahr 1997 nach der Weihe keine Aufenthaltsgenehmigung wegen der unsicheren Unterhaltsfrage und Befürchtungen bezüglich der Sicherheit eines ausländischen Priesters.“ Zudem hat die rumänische Diözese laut Schweßinger in der Weiheurkunde bereits deutlich gemacht, dass der Priester für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen müsse, da ihre finanziellen Möglichkeiten äußerst beschränkt seien.
Laut Kirchenrecht muss – sinngemäß kurz zusammengefasst – der Bischof, der die Weihe vorgenommen hat, für den Unterhalt seines Priesters sorgen. Und Priester sind dort inkardiniert, also aufgenommen, wo sie zum Diakon und dann zum Priester geweiht wurden. Nirgendwo inkardinierte Geistliche sind kirchenrechtlich nicht möglich. Die Aufnahme in ein anderes Bistum ist aber möglich, wenn die Beteiligten zustimmen.
X., der also wohl noch immer in dem rumänischen Bistum inkardiniert ist, lebt in einem Haus, das dem Bistum Würzburg Ende 2006 von einer als sehr fromm beschriebenen Frau vermacht worden war. Das Bistum sagt dazu, es habe das Haus Ende 2007 an X. verkauft. „Ein weiterer Kaufinteressent war nach Kenntnis des Bistums nicht vorhanden.“
Priester X zu keiner Stellungnahme bereit
In Österreich hat das Stift Klosterneuburg mittlerweile eine Expertenkommission berufen, um die Vorgänge im Jahr 1993 aufzuklären. Auch der Vorwurf, das Stift hätte X. nach seiner Entlassung weiter unterstützt und sogar zur Priesterweihe verholfen haben, seien Gegenstand der Untersuchungen.
Die Geschichte von X. scheint noch lange nicht zu Ende zu sein – und sie bleibt verworren. Die Ermittlungen laufen. Der Ruhestandspriester X. selbst sei deswegen zu keiner Stellungnahme bereit, lässt er über seinen befreundeten Priester ausrichten. Direkte Kontakte schlugen bislang fehl.
Dubios, dubios... Wurde das Haus überhaupt öffentlich (z.B. über einen Makler) zum Verkauf angeboten? Oder erfolgte die Vergabe "unter der Hand" zum "Schnäppchenpreis"?
Ob die "sehr fromme" Frau davon begeistert wäre, dass ihre Schenkung an das Bistum jetzt einem pädophilen Kriminellen zu Gute kommt, darf auch sehr bezweifelt werden. Die ganze Verlogenheit dieser Ganzjahresfaschingsprinzen (ob jetzt mit oder ohne rote Schühchen und Nikolaus-Mützchen) spiegelt sich in der Stellungnahme: "Ein weiterer Kaufinteressent war nach Kenntnis des Bistums nicht vorhanden." Es würde mich doch sehr wundern, wenn das Haus öffentlich (z.B. über einen Makler) zum Verkauf gestellt worden wäre. Für viel wahrscheinlicher halte ich es, dass der Verkauf "im kleinen Kreis" und "sehr günstig" über die Bühne ging.