
"Morgens früh um sechs, kommt die kleine Hex", ruft Monika und wirft Kurt einen Ball zu. Er fängt und reimt weiter: "Morgens früh um sieben, schält sie gelbe Rüben." Jeden Morgen nach dem Frühstück ist Sportzeit. Kurt, 79 Jahre alt, hat mal mehr und mal weniger Lust darauf. "Aber heute ist ein guter Tag", sagt Monika und wirft erneut den Ball. "Sport und geistige Anregung sind für Alzheimererkrankte immens wichtig, um die Krankheit in Schach zu halten", sagt die 70-Jährige, die früher als Gesundheitspädagogin für Bewegung und Entspannung tätig war.
Vor vier Jahren erlitt Kurt eine Lungenembolie, die erst spät erkannt wurde. Nach langem Aufenthalt im Krankenhaus sei er dann irgendwie verändert gewesen, erzählt Monika. "Aber ich war froh, dass ich ihn wieder hatte." Früher sei Kurt sehr kreativ gewesen, habe gemalt und immer am Haus herumgewerkelt. Als er aus der Klinik kam, sagte er: "Ich kann nicht mehr malen." Dann fiel Monika auf, dass ihr Partner sich keine Namen mehr merken, sich nicht mehr gut orientieren konnte und Termine vergaß.
Die Diagnose Alzheimer-Demenz kam vor zwei Jahren. Seitdem ist im Leben des Paares nichts mehr, wie es war.
Degenerative Erkrankung: Was ist Alzheimer-Demenz?
Alzheimer-Demenz ist eine chronische, nicht heilbare Erkrankung, die aber symptomatisch behandelt werden kann "Es kommt zu Abbauprozessen im Gehirn", sagt Dr. Martin Lauer, Oberarzt für Psychiatrie und Spezialist für Gedächtnisstörungen und Demenz an der Uniklinik in Würzburg. Das Risiko zu erkranken, steige mit zunehmendem Alter, sagt Lauer: "Wenn wir alle 120 Jahre alt würden, hätte wohl jeder diese Krankheit."
In Deutschland litten Ende 2021 laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft fast 1,8 Millionen Menschen an Demenz. Alzheimer-Demenz ist dabei die häufigste Form. Bis 2050 könnten nach aktuellen Schätzungen bis zu 2,8 Millionen Menschen ab 65 daran erkranken – sollte es in Prävention und Therapie keinen Durchbruch geben. Erste Anlaufstelle sind Hausärzte, sie überweisen Betroffene gegebenenfalls an Neurologen oder Psychiater. Dazu gibt es spezielle Gedächtnissprechstunden an Krankenhäusern.

"Ich habe Autosattler gelernt und bis zur Rente in diesem Beruf gearbeitet", erzählt Kurt und wirkt im Gespräch teilweise völlig klar. Aber bei einigen Fragen weiß er keine Antwort und schaut hilflos zu seiner Partnerin: "Habe ich Kinder?" Dabei guckt der 79-jährige Unterfranke verschmitzt - und man weiß nicht, ob er einen Scherz macht oder es wirklich vergessen hat.
"Kleine Aufgaben im Haushalt zu erledigen, das tut ihm gut", sagt Monika. Sie versucht ihren Mann so gut es geht in die Hausarbeit einzubeziehen: zusammen Gemüse und Obst schnippeln, Wäsche aufhängen, Holz holen für den Ofen. Nachmittags machen sie ein Quiz, malen ein Mandala oder lesen gemeinsam Zeitung. "Manchmal ist das Kurt zu viel und er sagt schon mal, lass mich in Ruhe." Seine Konzentration lasse schnell nach, Musik hören und Fernsehen machen dem 79-Jährigen oft keine Freude mehr.
Im Herbst habe Kurt eine gute Phase gehabt, sagt Monika. Das Paar entwarf nach einem von Kurt gemalten Bild von Würzburg ein Quizspiel: "Kurt hat alle Quizkarten mit der Hand geschrieben und war mächtig stolz." Nun suchen die beiden einen Verleger, denn sie würden das Quiz gerne anderen zur Verfügung stellen, zum Beispiel Senioren-Tagespflegestätten. Monika ist sicher, dass das Spiel für Gesprächsstoff bei den Seniorinnen und Senioren sorgen wird.
Bewegung, Kräftigung, Konditionsübungen: Lebensqualität bei Alzheimer-Demenz verbessern
Geistig rege zu bleiben, sei immens wichtig, sagt Dr. Martin Lauer. Auch Bewegungs-, Kräftigungs- und Konditionsübungen wie Gehen, Gymnastik oder Tanzen könnten die Lebensqualität von Demenzkranken verbessern. Sie bleiben so länger mobil und selbstständig, sagt der Oberarzt: "Wichtig ist es in allen Altersphasen sein Gehirn zu fordern, sei es mit Lektüre, Rätseln, Gesprächen oder einfachen Denksportaufgaben."
Kurts Lebenselixier: "Wenn ihm jemand volle Aufmerksamkeit schenkt und wenn er mit seinen Sprüchen Erfolg hat", sagt Monika. "Sein Humor ist noch da, und das ist auch sehr gut." Denn für das meiste brauche der 79-Jährige inzwischen ihre Hilfe. Durch die Übernahme der Pflegeverantwortung hat sich auch Monikas Leben komplett verändert. Die Begleitung von Demenzkranken fordert viel Zeit.
Um Zeit für sich zu haben steht Monika früh auf, praktiziert Yoga oder meditiert. "So bekomme ich meine Energie." Ihr Tagespensum liege locker bei zehn bis zwölf Stunden - "und immer auf die Bedürfnisse des anderen fixiert, das ist manchmal sehr schwer". Denn auch sie habe mal schlechte Tage. Alle acht bis zehn Wochen nimmt sie sich eine Auszeit, fährt mal übers Wochenende weg. Dann übernimmt Kurts Nichte die Betreuung. "Das ist überlebensnotwendig für mich." Sicher sei das auch so für alle anderen, die in solchen Situationen stecken.

"Ein Helfernetzwerk wird mit Fortschreiten der Krankheit immer notwendiger", sagt die 70-Jährige . Sie hat zwei Nachbarn, die ab und zu die Betreuung von Kurt übernehmen, damit sie zum Arzt, zur Physiotherapie oder zum Friseur kann. "Ich bin unseren Helfern ohne Ende dankbar. Diese Zeiten sind für mich so kostbar." Viel Kraft geben ihr auch die Treffen mit Freundinnen.
Das Paar lebt nach einem festen Zeitplan: Nach Monikas Yoga kommt das "Wachkuscheln". An guten Tagen klappt die Morgentoilette bei Kurt zum Teil allein, an schlechten Tagen braucht er nach jedem Schritt wieder Unterstützung. Oft flitzt Monika zwischen Hausarbeit und Bad hin und her. "Ich will ihm die Eigenständigkeit möglichst erhalten, darum lasse ich ihn bewusst immer wieder allein." So zieht sich die Morgentoiletten oft über eine Stunde hin. Jede Art von Zeitdruck dabei sei für Kurt Gift.
Alzheimer-Demenz: Drei Schweregrade mit fließendem Übergang
Alzheimer-Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung. "Das bedeutet, dass mit der Zeit immer mehr Gehirnzellen absterben. Dadurch nehmen auch die Beschwerden immer weiter zu", verdeutlicht Lauer. Der Verlauf der Erkrankung lasse sich in drei Schweregrade einteilen, die Übergänge seien fließend. Spätestens im zweiten Stadium werde die Krankheit offensichtlich: "Neben dem Kurzzeitgedächtnis ist dann auch das Langzeitgedächtnis betroffen." Patienten könnten sich immer weniger an wichtige Ereignisse aus ihrem Leben erinnern, zum Beispiel ob, sie verheiratet waren, Kinder haben oder welchen Beruf sie hatten.
"Viele Patienten hätten am liebsten ein Medikament, das die Uhr wieder zurückdreht", sagt Lauer. Derzeit könnten die verfügbaren Medikamente nur das Voranschreiten der Erkrankung verlangsamen. Bewegung und körperlich und geistig aktiv zu bleiben sei deshalb wichtig, sagt der Demenz-Experte. Im letzten Krankheitsstadium bauten die Patienten auch körperlich immer mehr ab: "Sie können dann kaum noch sprechen und das Kauen, Schlucken und Atmen wird immer mühsamer. Blase und Darm können nicht mehr kontrolliert werden."
Warum Helfer und das Umfeld so wichtig sind
Wichtig sei für Demenzerkrankte die soziale Interaktion, sagt Martin Lauer. Menschen treffen und etwas gemeinsam zu unternehmen. "Für Kurt ist es enorm wichtig, als vollwertiger Mensch angesehen und behandelt zu werden. Nichts ist schlimmer, als wenn er wie ein kleines Kind betüttelt wird", sagt Monika. Leider sei ihr Freundeskreis kleiner geworden. "Manch einer fühlt sich wohl überfordert und hat keine Zeit mehr. Das tut sehr weh." Aber es gebe auch treue Seelen: "Unser Nachbar hilft wo er kann, im Garten, im Haus und bei Kurt."
Wie Demenz und Depression zusammenhängen
Hauptrisikofaktor für Demenz ist das Alter, sagt Experte Martin Lauer. Auch Rauchen und viel Alkohol wirkten sich negativ aus. Und oft gehe Demenz mit einer Depression einher. "Eine unbehandelte Depression ist ein Risikofaktor für eine Demenz und kann die Demenz auch weiter verschlechtern", sagt Lauer. Depressionen seien aber gut behandelbar, mit Medikamenten und Psychotherapie. "Wichtig ist es für diese Menschen, trotz der Krankheit eine Perspektive zu entwickeln. Wir können immer in jeder Krankheitsphase etwas tun."
Vermissen Moni und Kurt ihr altes Leben? "Früher war unsere Beziehung viel mehr im Außen. Heute geht alles zurück nach innen", sagt die 70-Jährige. "Das stille und ruhige Leben hat aber auch Qualität." Weil Stress für Alzheimerpatienten so schlecht sei, habe sie sich "zur Langsamkeit erziehen" müssen. Das anstrengendste sei die Achterbahnfahrt an Stimmungen und körperlichen Zuständen. "Die können mehrfach am Tag wechseln."
Am meisten fürchtet Monika die "Depressionshexe", wie sie es nennt. Dann verharrt Kurt in schweigender Passivität, aus der er nur schwer herauszuholen ist. An solchen schlechten Tagen sitzen sie einfach auf der Couch und halten sich an den Händen. Und Monika sagt: "Kurt, wir schaffen das."