"Manchmal ist es schwierig zu erklären, warum man eine Hecke zurücknehmen muss", weiß Reichenbergs Bürgermeister Stefan Hemmerich aus Erfahrung. Nicht selten stehen Eingriffe in die Natur im Spannungsfeld zwischen Naturschutz, Landwirtschaft, Verkehrssicherheit und den Interessen der Bürger. Seine Gemeinde baut deshalb auf die Unterstützung des Landschaftspflegeverbands (LPV). Dessen neue Geschäftsführerin Madeleine Königer sieht ihre Hauptaufgabe im Ausgleich zwischen all diesen Interessen.
An der Freizeitanlage bei Lindflur rückt Landwirt Jochen Deppisch mit seinem Bagger einer Hecke zuleibe. Eine Schere am Ausleger greift sich einzelne Stämme, zwickt sie etwa einen Meter über dem Boden ab, und legt das Geäst auf einen großen Haufen. Was manchem Laien als Naturfrevel erscheinen mag, ist eine wohldurchdachte Pflegemaßnahme. Niels Kölbl, Natur- und Landschaftspfleger beim LPV, hat sie geplant und begleitet die Durchführung.
Am Ende sieht die Hecke recht zerzaust aus, doch es dauert nicht lange, bis die übrig gebliebenen Gehölze nachtreiben und die Wunden schließen. Alle zehn bis 15 Jahre sollte eine Hecke einer solchen Kur unterzogen werden, sagt Kölbl. Überaltertes Holz wird entfernt, seltenere Arten haben wieder Platz, sich zu entwickeln. Andernfalls würden sie von wüchsigeren Gehölzen regelrecht erstickt. Ohne oder mit der falschen Pflege würde eine Hecke so dicht, dass sie selbst als Lebensraum für Vögel ihren Wert verliert.
Bei der Entscheidung, welcher Busch stehenbleiben darf, spielt sein Wert als Nahrungsquelle und Schutzraum für verschiedene Arten von Vögeln, Insekten und Kleinlebewesen eine Rolle. Ein paar abgestorbene Bäumen werden bewusst geschont, weil sich im Totholz Insekten vermehren, deren Maden wiederum den Vögeln schmecken.
Viel Wissen um die Zusammenhänge ist nötig, damit solche Eingriffe der Natur helfen, statt ihr zu schaden. Wissen, das die Mitarbeiter des Reichenberger Gemeindebauhofs nicht haben, wie Bauhofleiter Bernd Fleischmann sagt. Aber nicht nur wegen des Sachverstands schätzt er den LPV. Auch vom Umfang der Arbeiten her wäre die Gehölzpflege für die Bauhofmitarbeiter kaum machbar.
35 Quadratkilometer umfasst die Gemarkung Reichenbergs und seiner vier Ortsteile. Die Länge der Hecken auf dieser Fläche schätzt Niels Kölbl auf rund 100 Kilometer. Der Rückschnitt darf nur im Winter erfolgen, um die Vogelbrut nicht zu stören. Zu einer Zeit also, in der der Bauhof mit Winterdienst und anderen Instandsetzungsarbeiten alle Hände voll zu tun hat. "Wenn es der Bauhof nicht schafft, können wir einspringen", sagt Roland Sauer, einer von drei festen Mitarbeitern des Verbands. Die Arbeiten vermittelt der LPV an Landwirte, die über den erforderlichen Maschinenpark verfügen, oder er beauftragt Fachfirmen.
Auf diese Weise wurden im Jahr 2018 Pflegemaßnahmen im Wert von rund 200 000 Euro geleistet, so Roland Sauer. Zu den weiteren Aufgaben des Verbands gehört das Schutzprogramm für den Feldhamster. In dessen Rahmen wurden im vergangenen Jahr rund 100 000 Euro Ausgleichszahlungen an Landwirte für das Anlegen von Hamsterstreifen als Lebensraum und Futterquelle für die seltenen Nager gezahlt.
Wie Reichenberg sind 34 weitere Landkreisgemeinden Mitglied im Landschaftspflegeverband Würzburg, neben Naturschutzverbänden und rund 110 Einzelpersonen, in der Mehrzahl Landwirte. Einen Ausgleich zwischen den Interessen von Naturschutz, Landwirten und Gemeinden zu finden, war der Anlass, warum der Verband vor 20 Jahren gegründet wurde. Diesem Ausgleich sieht sich auch Madeleine Königer verpflichtet, die seit Jahresbeginn Geschäftsführerin des Verbandes ist.
Madeleine Königer stammt aus Opferbaum, hat in Würzburg Biologie studiert und sich anschließend in ihrem Master-Studium auf Ökologie und Biodiversität spezialisiert. Dabei war es bald ihr Wunsch, im angewandten Naturschutz tätig zu werden, erzählt die 27-Jährige. Dass sie das nun in einer Landschaft tun kann, die sie von Kindesbeinen an kennt, sei ein besonderer Glücksfall.
"Ich sehe meine Aufgabe als Chance, integrativen Naturschutz zu betreiben, der von der Bevölkerung verstanden und angenommen wird", sagt sie. Dazu gehört der Erhalt wertvoller Naturräume wie Hecken, seltene Kalkmagerrasen oder artenreiches Grünland, die in früheren Jahrhunderten erst durch die Bewirtschaftung als Teil der Kulturlandschaft entstanden sind, und die der Pflege bedürfen, um nicht wieder zu verschwinden. "Deshalb ist es äußerst wichtig, Landwirte und Weidetierhalter, die in der Regel diese Bewirtschaftung leisten, mit einzubeziehen", so Königer.
Landrat Eberhard Nuß, zugleich Vorsitzender des Landschaftspflegeverbands, sieht in der Neubesetzung auch die Chance,jüngste Querelen innerhalb des Verbands hinter sich zu lassen.Nachdem sich der LPV bereit erklärt hatte, Ausgleichsmaßnahmen für den geplanten Bau der Ortsumgehung Giebelstadt unterstützend zu begleiten, erklärte die Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN) ihren Austritt. Auf verschiedenen Ebenen haben seitdem Gespräche stattgefunden, um den BN von seiner Entscheidung abzubringen. Die wichtigste Naturschutz-Organisation gehörte zu den Initiatoren und Mitbegründern des Landschaftspflegeverbands.