Es ist später Vormittag mitten in der Würzburger Innenstadt. Eine Gruppe von jungen Menschen läuft durch das Vorweihnachtsgewusel. Im Gepäck ein zwei mal zwei Meter großes Gemälde. Es ist sperrig und sie müssen sich beim Tragen abwechseln, um es unversehrt vom Würzburger Rathaus zum Mainfranken Theater zu transportieren. „Soll das Kunst sein?“, fragt eine ältere Frau und schaut skeptisch zu der Truppe. Die Situation zieht große Aufmerksamkeit auf sich, doch die ehemalige Oberbürgermeisterin Pia Beckmann klärt die Passanten schnell auf, drückt ihnen ein Informationsblatt in die Hand. Es handelt sich um ein Projekt, das insbesondere Jugendliche motivieren möchte, sich für den Erhalt von Frieden und Demokratie stark zu machen.
Auftakt des Projektes „pics4peace“
Zwei Stunden zuvor trifft sich die Gruppe, bestehend aus Informationsdesign-Studenten der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS), mit Winfried Muthesius, dem Künstler des Gemäldes, und Pia Beckmann im Würzburger Rathaus.
Die Aktion ist Teil eines Workshops, der den Auftakt des Projektes „pics4peace“ bildet. „In einer Zeit, in der wir zunehmenden Radikalismus bei gleichzeitig abnehmender Zivilcourage erleben, müssen wir junge Menschen daran erinnern, wie wichtig es ist, dass sie ihre Ideen ausdrücken und weitergeben müssen. Wir müssen die Jugend gewinnen, denn momentan verschwinden mehr Demokratien, als neue entstehen“, sagt Beckmann. Die 54-Jährige ist Initiatorin des Projektes und Ideengeberin, den Startschuss mit einem Kunstworkshop mit dem Berliner Künstler Winfried Muthesius zu verbinden.
Verbindung von Malerei und Fotografie
Muthesius möchte in seiner eigens entwickelten „pittura oscura“-Technik, die Erfahrungen von gestern, mit den Herausforderungen von heute zusammenbringen und den Blick auf das, was getan werden muss, damit es auch ein Morgen in Frieden und Demokratie gibt, verdichten. „'Pittura oscura' ist eine Technik, bei der sich Malerei und Fotografie miteinander verbinden.
Man kann nicht genau erkennen was was ist und genau in dieser Situation wird es interessant“, sagt der Künstler. Der 60-Jährige trägt seine Gemälde an meist historische Orte, fotografiert sie dort ab und übermalt sie im Nachhinein mit Ölfarben.
Die Studenten durften an diesem Tag in genau diese Technik eintauchen. Nach einem kurzen Vortrag des Künstlers trugen sie ein Gemälde, welches Winfried Muthesius mit Blick auf Würzburg gemalt hat, zum Mainfranken Theater, um es dort zu fotografieren und im Anschluss selbst zu übermalen und zu gestalten. Die Leinwand zeigt schlichte und dennoch kraftvolle Bewegungen aus schwarzer Ölfarbe auf einem weißen Hintergrund. Das Gemälde bezieht sich auf den Schädel eines Mannes, der mutmaßlich einem Pogrom im Mittelalter zum Opfer gefallen ist.
„Habima-Skandal“ am Würzburger Stadt-Theater
So lässt sich auch der Zusammenhang zum Demokratie-Projekt erkennen, denn der Ort vor dem Mainfranken Theater wurde nicht zufällig gewählt.
Rund um das Theater ereignete sich im Jahr 1930 der „Habima-Skandal“: Hunderte gewaltbereite Menschen, darunter viele Studenten, versammelten sich am Mainfranken Theater – damals noch das Würzburger Stadt-Theater – um zu verhindern, dass die jüdische Theatertruppe Habima ihr Stück „Der Dibbuk“ aufführt. Zuvor hatte Otto Hellmuth, Landtagsabgeordneter der NSDAP, sie dazu aufgerufen. Es wurde auch versucht das Theater zu stürmen, nachdem die überwiegend jüdischen Theaterbesucher unter Polizeischutz gestellt und über den Hintereingang in das Theater gebracht wurden.
„Und all das ist geschehen, während es in Deutschland noch eine Demokratie gab“, sagt Pia Beckmann. „Diese Geschichte zeigt, dass der Schritt von einer Demokratie zur Diktatur schnell gehen kann. Um zu erkennen, dass Demokratien gefährdet sind, brauchen wir nicht weit zu schauen, deswegen müssen wir alle, alles tun, um den Anfängen zu wehren, auch wenn das Mut erfordert. Alle gemeinsam, alt und jung!“
Eigene Vision der Zukunft zeigen
Die zehn Studenten, überwiegend junge Frauen, sind von der Idee, die hinter „pics4peace“ steckt, begeistert. Mit großer Motivation schleppen sie die schwere Leinwand durch die Innenstadt – vorbei am Dom, quer durch die Eichhornstraße bis hin zum Theatervorplatz. „Ich merke aus meinem Umfeld, dass das Interesse an der Politik immer weniger wird. Das finde ich traurig, schließlich liegt die Zukunft in unseren Händen“, sagt eine Studentin. „Ich hoffe, dass wir mit unserer Kunst, der Politikverdrossenheit ein wenig entgegen wirken können“, sagt eine andere.
Die Studenten haben nun sechs Wochen Zeit und alle Freiheiten ihr eigenes „pittura oscura“ zu kreieren. Die einzige Regel: In dem Kunstwerk die eigene Vision der Zukunft durchschimmern zu lassen und zeigen, worauf sie die Blicke lenken lassen wollen.