In Unterfranken gibt es ein interessantes Phänomen zu beobachten: Erwachsene, die sich untereinander im Dialekt unterhalten, schwenken um ins Hochdeutsche, sobald sie mit einem Kind reden. Mundart sprechende Eltern und Großeltern geben sich dafür selbst auf dem Dorf größte Mühe. Meist hört man durch das nicht selten überdeutlich ausgesprochene Hochdeutsch – die sonst im hiesigen Dialekt wegfallenden Endungen betonend – das Unterfränkische hindurchscheinen.
Aber wieso tun Unterfranken das? Und was bedeutet das für den unterfränkischen Dialekt, wenn er mit Kindern praktisch nicht mehr gesprochen wird?
Wenn's „Büawle“ kommt, wird Hochdeutsch gesprochen
Im Moment finde da ein grundlegender, unumkehrbarer Umbruch statt, glaubt Benedikt Feser. Der 51-Jährige ist Vorsitzender des Vereins zur Bewahrung des unterfränkischen Dialektes in Büchold (Lkr. Main-Spessart). Er ist überzeugt, dass gerade etwas kippt. „Die Ortsdialekte werden ausradiert.“ Viele hätten offenbar noch gar nicht begriffen, wie ernst die Lage für das Unterfränkische sei. Auch Sprachwissenschaftler nicht.
Feser kennt die Beobachtungen darüber, wie mit Kindern gesprochen wird, aus seinem Heimatort nur zu gut. Wenn da Erwachsene zusammenstünden und sich auf Bücholderisch unterhielten, wechselten die ins Hochdeutsche, wenn „e klennes Büawle“ auf dem Fahrrad dazukomme. Und: „Es ist eindeutig so, dass wenn zwei Bücholder heiraten, die Kinder mit Hochdeutsch erzogen werden.“ Kinder würden schlichtweg nicht mehr die Muttersprache der Eltern lernen. Dabei spiele Dialekt für Dorfgemeinschaften eine große Rolle, wecke „Emotionen“, erinnere an die Kindheit.
Kaum noch jemand spricht mit Kindern Dialekt
„Man tut sich echt schwer jemanden zu finden, der mit seinen Kindern Dialekt spricht“, sagt Feser. Er wüsste in Büchold keinen. Aus anderen Ecken Unterfrankens sei ihm das Gleiche wie in seinem Dorf bekannt. Er selbst bekennt, dass er mit seinem neunjährigen Sohn auch oft Hochdeutsch spreche – seine Frau stamme aus dem Münsterland, weswegen daheim kaum Dialekt gesprochen werde.
Feser fürchtet, dass bald allenfalls noch ein unterfränkisch gefärbtes Hochdeutsch übrig bleiben wird, aber nichts, was noch den Namen Dialekt verdiene.
Dialekt-Experte aus der Rhön nennt die Sprache einen „Mischmasch“.
Auch Manfred Zirkelbach (74) aus Schönau an der Brend (Lkr. Rhön-Grabfeld) bestätigt den Befund, dass mit Kindern nicht oder kaum mehr Dialekt gesprochen werde. Und das sei nicht nur in der Rhön so. Zirkelbach, 20 Jahre lang Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Mundarttheater Franken, kommt in Theater- und Mundartszene in ganz Unterfranken herum. Überall könnten unter 40- bis 50-Jährige nicht mehr richtig Dialekt – und mit denen ist oft noch Mundart gesprochen worden.
Seine Kinder, die er noch mit Dialekt erzogen habe, sprächen mit den Enkeln ebenfalls Hochdeutsch. Er selbst rede zwar mit seinen Enkeln bewusst Dialekt, aber da komme nichts zurück. Würden seine Enkel einen Mundart-Satz nachsagen, höre „sich das schon fast komisch an“, weil sie es nicht richtig könnten. Was seine Enkel sprechen, nennt Zirkelbach einen „Mischmasch“ oder ein „Mittelding zwischen Fränkisch und Hochdeutsch“.
Unter seinen Bekannten gebe es ein paar, die mit ihren Kindern oder Enkeln Dialekt sprächen – aber die täten es bewusst. Ansonsten, so seine Beobachtung, gebe es allenfalls in der oberen Rhön noch „Dialektnester, wo Kinder auch noch ein bisschen Dialekt reden“, wo man mit Kindern Dialekt spreche. Zirkelbach nennt die Orte Oberelsbach, Ginolfs, Sondernau und Weisbach (Lkr. Rhön-Grabfeld).
„Alles ändert sich eben, auch der Dialekt“
Zirkelbach ist deshalb wie Dialektfreund Benedikt Feser ebenfalls alles andere als optimistisch, was die Zukunft des unterfränkischen Dialekts anbelangt. „Die Kinder kriegen es ja gar nicht mehr zu hören.“ Seine Prognose: „Man muss sich damit abfinden, dass der Dialekt, so wie er jetzt ist, in ein paar Jahren nicht mehr existieren wird. Das geht im Lauf der nächsten 30, 40 Jahre so langsam aber sicher dahin.“ Offenbar sei Dialekt in unserer immer mobileren Zeit nicht mehr gewollt und werde nicht mehr gebraucht. Zirkelbach wirkt da inzwischen ganz unemotional, wenn er sagt: „Alles ändert sich eben, auch der Dialekt.“
Ministerpräsident Söder hat zum Schulanfang angekündigt, dass Dialekte an Bayerns Realschulen und Gymnasien gestärkt werden sollen. Für Zirkelbach kommt das viel zu spät. „Dialekt lässt sich nur daheim lernen“, ist er überzeugt. „Da müsste spätestens im Kindergarten was passieren.“
Aber warum sprechen Erwachsene in Unterfranken mit ihren Kindern häufig Hochdeutsch? „Die jungen Leute denken immer noch, es wäre rückständig“, glaubt Manfred Zirkelbach. Benedikt Feser hat häufig das Argument gehört, dass Kinder sich dann in der Schule leichter täten. Aber der Bücholder glaubt, dass Erwachsene hierzulande schon einen Schritt weiter seien: Sie dächten gar nicht mehr darüber nach, mit Kindern rede man einfach Hochdeutsch. Fertig. Mancher mag inzwischen zurecht vermuten, dass Kinder ihn sonst nicht verstehen.
Sprachforscherin aus Würzburg: Dialekt kein Nachteil in der Schule
Monika Fritz-Scheuplein vom Unterfränkischen Dialektinstitut an der Uni Würzburg kann nicht bestätigen, dass in ganz Unterfranken nur noch Hochdeutsch mit Kindern gesprochen werde. Aber als Grund sieht auch sie den Wunsch, dass Kinder weniger Fehler in der Schule machen. „Auch wenn einige Studien mittlerweile belegen, dass Kinder trotz Dialekt keine Probleme in der Schule haben, hält sich diese Meinung immer noch hartnäckig“, so die Sprachforscherin, die selbst aus der Rhön stammt. Aber sie bestätigt, dass die Leute in Altbayern ihren Dialekt viel selbstverständlicher verwenden als in Unterfranken, auch im öffentlichen Bereich, „egal ob es Kinder oder Erwachsene sind“.
„Dass der Dialekt ausstirbt“, so der emeritierte Würzburger Sprachwissenschaftler Norbert Richard Wolf, „ist eine alte Befürchtung. Er ändert sich, das ist klar, jede Sprache ändert sich permanent. Aber er bleibt sicherlich erhalten. Er wird nur weiterräumiger.“ Ganz würden die fränkischen Merkmale wie Sprachmelodie oder die Unfähigkeit, stimmlose Konsonanten wie „P“ und „T“ zu sprechen, auch beim Hochdeutschen nie verschwinden, glaubt Wolf. Das gehe nicht.
Die Büchler däda sooch: "a glees/dlees Büawla"