Wir haben mit dem emeritierten Professor Norbert Richard Wolf, 75, über die sprachliche Erziehung von Kindern in Unterfranken gesprochen, die heute oft auf Hochdeutsch geschieht. Der Sprachwissenschaftler und Begründer des Unterfränkischen Dialektinstituts (UDI) sieht den unterfränkischen Dialekt dadurch nicht in Gefahr.
Frage: Herr Wolf, warum sprechen Erwachsene in Unterfranken, auch wenn sie untereinander Dialekt reden, heutzutage mit Kindern eigentlich fast nur noch Hochdeutsch?
Norbert Wolf: Es ist sicherlich richtig, dass mit Kindern häufig Hochsprache gesprochen wird. Wie groß der Anteil ist derer, die Hochsprache sprechen, weiß ich nicht.
Gefühlt weit überwiegend, sogar auf dem Dorf.
Wolf: Gefühlt. Das Problem ist, dann hört man es einmal so, dann fühlt man sich bestätigt. Wenn man das Gegenteil hören würde, nimmt man es nicht wahr. Sie müssen sich überlegen, wie groß die Gruppe ist, die Sie systematisch beobachten.
Mittlerweile kommt es doch so selten vor, dass Eltern mit ihren Kindern Dialekt sprechen, dass die Einzelfälle richtig auffallen.
Wolf: Das überrascht mich. Es ist ja aber überhaupt ein Phänomen, dass man mit Kindern anders spricht. Man meint, die erfassen nicht alles so schnell wie wir, dann muss man das schön und deutlich sagen. Da kann es natürlich sein, dass man da ins Hochdeutsche geht, weil man meint, es sei besser verständlich.
In Niederbayern beispielsweise wird aber doch viel selbstverständlicher Dialekt gesprochen. In meiner Straße wohnt ein Niederbayer, der mit seinen Kindern natürlich Niederbayerisch spricht. Gibt es eine Erklärung, warum gerade in Unterfranken mit Kindern hochdeutsch gesprochen wird?
Wolf: Nein. Wie wir mit dem Unterfränkischen Dialektinstitut nachweisen können, ist das sprachliche Selbstbewusstsein der Franken stark gestiegen. Der Dialekt hat einen ganz anderen Stellenwert als noch vor 40, 50 Jahren. Die Leute sprechen bewusst Dialekt, sind stolz auf denselben und haben damit ein Merkmal, wodurch sie sich von der Kolonialmacht in München unterscheiden können.
Dialekt wird Ihrer Ansicht nach heute nicht mehr als unfein angesehen? Mir kommt es vor, als sollen Kinder lernen ,schön zu reden‘, wie Ältere gern sagen.
Wolf: Die Zeiten sind vorbei. Auch in der Schule wird der Dialekt nicht mehr geradezu verboten.
Man hört immer wieder, dass es ein Kind ,in der Schule leichter‘ habe, wenn es mit Hochdeutsch aufwächst. Ist es ein Nachteil, mit Dialekt aufzuwachsen?
Wolf: Längerfristig sicher nicht, die Kinder lernen sehr schnell. Lehrer sollten den Dialekt kennen in der Region, in der sie wohnen. Das ist nützlich zur Fehlerdiagnose. Das Hochdeutsche muss man schon pflegen, aktiv und passiv, aber das muss nicht im Elternhaus geschehen.
Was halten Sie von der These, dass Kinder, die mit Dialekt aufwachsen, sich später bei Fremdsprachen leichter tun?
Wolf: Das ist Quatsch. Das kommt hauptsächlich aus Oberbayern von diesem Förderverein Bairische Sprache und Dialekte, der behauptet irgendwas ohne jegliches empirisches Fundament.
Unterfranken sprechen meiner Erfahrung nach nicht nur mit Kindern, sondern auch mit Hunden Hochdeutsch.
Wolf: Das ist oft zu beobachten. Das sind meistens Frauen, ist meine Beobachtung. Die sprechen mit Hunden wie mit Kindern, weil das ein Kind für sie ist. Dem Hund ist es völlig wurscht, wie mit ihm gesprochen wird.
Sie glauben nicht, dass es in Unterfranken mal so kommt wie in Hannover? Von den Hannoveranern sagt man ja, sie sprächen das reinste Hochdeutsch. Aber früher hat man in Hannover Plattdeutsch gesprochen.
Wolf: Das Plattdeutsche ist weg, das stimmt. Schon vom 17. Jahrhundert an hat sich im niederdeutschen Sprachgebiet das Hochdeutsche drüber gestülpt. Das Plattdeutsche blieb irgendwann nur noch als Bauernsprache. Aber in Unterfranken kann das nicht mehr passieren. Es ist das Bedürfnis da, eine Sprache zu haben, die einem so etwas wie Heimat gibt.