Helmuth Andrew geht Samstagnachmittag ganz normal wieder zur Arbeit. Als Kellner in den Weinstuben des Julius-Spitals im Herzen von Würzburg bedient er die Gäste, so als sei nichts gewesen. Nichts gewesen? Ist es für ihn ein Tag wie immer?
Nein. Der 50-jährige Kellner war dabei, als eine größere Menge einem Mann mit Messer in der Hand hinterher rannten. Helmuth Andrew bediente gerade die Gäste, da kamen viele junge Leute durch das große Holztor ins Juliusspital und riefen: "Der sticht alle tot."
"Viel nachgedacht habe ich da nicht mehr. Ich wollte einfach raus, ich wollte helfen", sagt Helmuth Andrew am Tag danach. Doch seine Kollegen wollten ihn nicht gehen lassen. Er hat dann trotzdem einen Weg gefunden. Er nahm den Lieferanteneingang der Küche.
Mit einem Stuhl nach dem Messerstecher geworfen
Bei der Sparkasse sah er einen Mann mit Besen. Videos, die kurz nach dem Angriff schon in den sozialen Medien zu sehen waren, zeigen diese Szene. Helmuth Andrew wollte den Besen des Mannes haben, aber der habe ihn nicht hergeben wollen. Vielleicht um sich selbst zu schützen, vermutet er.
Als er diesen Trubel auf der Straße sah, wusste er noch gar nicht, was genau los. Er hörte viele rufen: "Er hat ein Messer, bringt euch in Sicherheit." Beim Kaufhaus Woolworth sah er im Augenwinkel jemanden liegen. Mehr aber nicht. Und an Sicherheit habe er in diesem Augenblick nicht gedacht. Schnell griff er sich einen Suhl aus dem Garten des Gasthauses Holzapfel und rannte mit der Menge dem Mann hinterher. Zwei Mal setzte er an, um den Stuhl nach dem Angreifer zu werfen. "Leider habe ich ihn nicht richtig getroffen."
Dann, so erzählt er weiter, "kamen mir ein paar Leute entgegen, ich rief, 'er hat ein Messer, geht weg'". Er griff wieder nach dem Stuhl, warf ihn nach dem Mann, traf ihn an der Hüfte. So gelang es zusammen mit anderen, ihn einzukreisen. Kurz danach sei auch schon die Polizei gekommen, erzählt Andrew. Und ein Beamter schoss dem mutmaßlichen Täter in den Oberschenkel. Er wurde festgenommen.
Erst Stunden später begreift Helmuth Andrew was eigentlich geschehen ist
Als alles ruhig war, ist Andrew wieder zurück in die Weinstube, hat ganz normal die Gäste weiterbedient – als sei nichts gewesen. Zwei, drei Stunden später erzählte er dann seiner Freundin am Telefon von alledem. "Da sind mir dann schon auch die Tränen gekommen", sagt er.
Ist er denn ein besonders mutiger Mensch? Ist er stolz, gar ein Held? "Generell bin ich schon mutig", sagt er. Doch stolz, sei er nicht. Und als Held, fühle er sich schon gar nicht. "Ich wollte einfach nur helfen." Vielmehr macht er sich jetzt Gedanken, warum er nicht im Kaufhaus war und schon dort Schlimmeres verhindern konnte. Dass er bei der Jagd nach dem Täter nicht alleine war, dass so viele dabei waren, sei gut gewesen, sagt er. "Denn so habe ich mich nicht alleine gefühlt."
Auch René Engels aus dem Kupsch-Markt Wehnert in der Kaiserstraße ist sofort zum Geschehen gelaufen, kurz nachdem er von einem externen Sicherheitsmitarbeiter davon gehört hat. "Ich wollte raus, um Schlimmeres zu verhindern", sagt er am Tag danach am Telefon. "Einfach nur raus, da habe ich nicht drüber nachgedacht, nichts gefühlt – ohne Scheu und Angst." Er habe dann die Polizei in die Gasse gelotst und Acht gegeben, dass nichts Schlimmeres passiert. Mehr will der 32-Jährige nicht mehr erzählen, auch weil ihm der Schrecken noch in den Knochen steckt. Und sein Kollege von der Sicherheitsfirma? "Der ist fertig", sagt Engels kurz und knapp.
Großen Respekt für die Courage der vielen Würzburger zeigt Oberbürgermeister Christian Schuchardt im Gespräch mit dieser Redaktion. "Die Menschen haben aus der Situation heraus couragiert gehandelt – wohlgemerkt unter hoher Verletzungs- und Lebensgefahr." Nicht ohne Grund warnt die Polizei, in solchen Situationen die eigene Sicherheit ganz oben anzustellen, sagt Schuchardt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann lobt noch am Freitagabend vor Ort die Zivilcourage der Würzburger und bedankt sich in der Pressekonferenz am Samstag für die vielen Zeugen, die sich der Polizei zur Verfügung stellten.
Ganz bewusst bedankte sich Polizeipräsident Gerhard Kallert auch bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, die spontan in diese Extremsituation gekommen sind und mithalfen, den Täter in die Gasse zu treiben.
Notfallseelsorger kümmern sich um Augenzeugen, Opfer und Rettungskräfte
Die unmittelbaren Augenzeugen werden vor Ort von Notfallseelsorgern betreut. Pfarrer Frank Hofmann-Kasang, zuständig für die lutherische Kirchengemeinde Estenfeld-Kürnach, koordiniert die Seelsorge der evangelischen Kirche. Sechs Notfallseelsorger haben sich gekümmert, auch um die Familien der Opfer. Eine weitere Gruppe aus Kitzingen war für die Rettungskräfte da. "Die hatten dringend Beistand nötig", sagt der Seelsorger.
"Erst einmal zuhören. Das ist ganz wichtig", sagt Hofmann-Kasang. Dann gilt es herauszufinden, was den Einzelnen bewegt, seine Selbstkräfte zu stärken, damit er handlungsfähig bleibt und wieder selbst tätig sein kann. Er hat auch Polizisten begleitet, als sie einer Familie die tragische Nachricht überbrachten. "Das haben die Beamten sehr einfühlsam gemacht." Aber sie können dann eben nicht bei den Angehörigen bleiben, aber der Notfallseelsorger ist da. "Ich kann die schreckliche Situation mit aushalten. Dabei muss ich selbst stabil sein, sonst kann ich nicht helfen."
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Was hat der Amoklauf mit der Gesetzgebung im Bundestag zu tun?
Mein Beileid gilt den Opfern und Angehörigen und den Verletzten gut Besserung und vollständige Genesung.
da wird in würzburg nichts mehr so sein, wie es mal war. hoffentlich geht es den verletzten bald wieder besser und sie überwinden diese fürchterliche situation irgendwann einmal und können wieder zur normalität in den alltag übergehen, wenn man hier von normalität sprechen kann.
Und: meine Hochachtung vor dem Mann mit dem Rucksack!!!