Es klang alles ganz einfach. Positive Bewertungen im Internet. Eine moderne Klinik. Das Versprechen, "das können wir machen und das wird super aussehen". Jessica P. (Name von der Redaktion geändert) war überzeugt. An einem Freitag vor vier Jahren fuhr sie mit ihrem Mann und den Kindern nach Tschechien, ließ sich in einer kleinen Privatklinik Brustimplantate einsetzen. Nicht, weil es medizinisch notwendig war. Sondern um sich wohler zu fühlen. Die Operation verlief gut und schnell. Nur: "Man hat ein Riesen-Implantat genommen, das hat gar nicht zu mir gepasst", sagt die Würzburgerin. Trotzdem wird P. schon am Morgen nach dem Eingriff nach Hause geschickt. Ohne Nachsorge. "Da muss man hoffen, dass alles gut geht", sagt die mehrfache Mutter. Bei ihr ging es schief.
Bald nach der Operation begannen die Schmerzen im Rücken. Jessica P. ist schlank, die Implantate, sagt sie, waren schlicht viel zu groß. Das "sah furchtbar aus". Und tat weh. Ärzte in Deutschland rieten zu einer Verkleinerung, einem erneuten Eingriff.
Auch in Deutschland werden Schönheitsoperationen teilweise extrem günstig angeboten
Jessica P. ist kein Einzelfall. "Der Anteil an sogenannten Revisionsoperationen ist in den letzten Jahren in meiner Praxis deutlich gestiegen", sagt der Würzburger Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Dr. Jens Kauczok. Fast jede Woche suche mittlerweile ein Patient nach einer misslungenen Schönheitsoperation im Ausland Hilfe in seiner Praxis. Am häufigsten gehe es dabei um Korrekturen nach dem Fettabsaugen oder der Brustvergrößerung.
In der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie der Uniklinik Würzburg hingegen sind solche Fälle selten. "Patienten, die zu uns kommen, haben in der Regel ein größeres medizinisches Problem", sagt Leiter Dr. Rafael Jakubietz. Beispielsweise gehe es um Menschen, die vor ein oder zwei Wochen in der Türkei, in Tschechien, aber auch in anderen deutschen Städten operiert wurden und nun mit offenen Wunden, Nachblutungen oder Infektionen zu kämpfen hätten. Aber "gefühlt sind das etwa fünf Patienten im Jahr", sagt Jakubietz. Nach seiner Einschätzung nimmt der sogenannte Medizintourismus ins Ausland "eher ab", da auch hierzulande über Vermittlungsagenturen mittlerweile extrem günstige Schönheitsoperationen angeboten würden.
Jens Juszczak, Experte für Medizintourismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, sieht das anders. Genaue Zahlen, wie viele Deutsche sich im Ausland behandeln lassen, gebe es zwar nicht. Das werde statistisch nicht erfasst, sagt er. Aber das Geschäft "floriere".
Juszczak erforscht das Phänomen Medizintourismus seit 15 Jahren. Nach seinen Angaben lassen sich jährlich rund 250 000 Menschen aus 117 Ländern in Deutschland behandeln. Meist auf der Suche nach "Hochleistungsmedizin". Reisen Deutsche hingegen für medizinische Eingriffe ins Ausland, geht es laut Juszczak hauptsächlich ums Sparen. Um günstige neue Brüste, um billiges Augen-Lasern, um Fettabsaugen, Haartransplantationen oder Zahnbehandlungen zum Schnäppchenpreis. Dabei gilt: Wird ein Eingriff von Kassen bezuschusst, erhalten Patienten unter bestimmten Voraussetzungen den gleichen Betrag, egal ob Ärzte in Deutschland oder im Ausland operieren. Oft sind Behandlungen im Ausland damit für den Betroffenen günstiger. Und schlechter?
Das "kann man so nicht sagen", sagt Rafael Jakubietz von der Uniklinik. Auch außerhalb Deutschlands gebe es exzellente Chirurgen, "viele Dinge, die ich aus dem Ausland gesehen habe, waren gut gemacht". Das bestätigt Medizintourismus-Experte Juszczak: "Es gibt Versuche nachzuweisen, dass die Qualität im Ausland schlechter ist." Aber auch dafür fehle die Datengrundlage. Nicht notwendige Behandlungen, und um die handele es sich meistens, würden nirgends erfasst. "Medizinische Risiken gibt es mit Sicherheit, aber die gibt es auch in Deutschland", so der Wissenschaftler. Allerdings komme im Ausland die Sprachbarriere hinzu. Ob ein Arzt gut oder schlecht ist, sei schwer zu beurteilen. Und häufig wird Nachsorge durch die Distanz unmöglich.
Wie bei Jessica P.. Zurück in Deutschland war sie auf sich allein gestellt. Die Drainagen unter den Armen "habe ich mir selbst gezogen", weil eine Ärztin sie abgewiesen habe und sie "am Wochenende nicht wusste, wo ich hin sollte". Es ging gut. Die Schmerzen durch die zu großen Implantate aber blieben, wurden stärker. Orthopäden rieten dazu, die Brüste wieder zu verkleinern. Jessica P. zögerte. Noch einmal freiwillig operieren lassen? Noch einmal das Risiko eingehen?
Vor knapp zwei Jahren schließlich entschied sie sich für eine Korrektur. Dieses Mal in Unterfranken, dieses Mal holte sie erst eine zweite Meinung ein. "Ich dachte mir, nochmal gehst du nicht hin und lässt es einfach machen", sagt P.. Am Ende gelang der Eingriff, die Implantate wurden durch deutlich kleinere ersetzt. "Jetzt geht es mir super, es sieht okay aus und passt zu meinem Körper." Die Kosten der Nachoperation trug P. selbst. Die Narben bleiben. Trotzdem hatte sie Glück.
Die Nachsorge ist bei Eingriffen im Ausland oft schwierig
Denn nicht alles ist korrigierbar. Kleinere Wundheilungsstörungen schon, sagt Rafael Jakubietz. Wenn aber "zum Beispiel eine Brustwarze abgestorben ist, das kann man nicht mehr in den Ausgangszustand zurückversetzen".
"Manches kann nur verbessert und nicht komplett behoben werden", bestätigt Jens Kauczok. Hinzu kommt: "Ein Zweitbehandler kennt nicht die Details und den genauen Verlauf der Operation." Das ist riskant. Deshalb sollte "prinzipiell alles in einer Hand bleiben", sprich der Operateur auch die Nachsorge übernehmen. Bei Eingriffen im Ausland sei das natürlich oft schwierig: Digital, per WhatsApp, E-Mail oder Facebook, könnten keine Komplikationen beseitigt werden. Und das gilt nicht nur für Schönheitsoperationen.
"Deutsche gehen nicht für kassenfinanzierte Eingriffe ins Ausland, sondern meist für Behandlungen, die sie weitestgehend aus eigener Tasche zahlen müssen", sagt Medizintourismus-Experte Jens Juszczak. Zahnersatz etwa sei hierzulande "sehr viel teurer als beispielsweise in Ungarn oder Bulgarien", Stiftzähne kosteten im Ausland oft nur die Hälfte. Ausländische Mediziner hätten sich längst auf die deutschen Kunden eingerichtet, böten deutsche Webseiten oder Dolmetscher an. Und hochmoderne Kliniken. Ungarn zum Beispiel gelte als "Zentrale des Zahntourismus", so Juszczak. Was aber, wenn etwas schief geht? Wenn der Zahn nach der Behandlung plötzlich wieder anfängt zu zwicken?
"Das kommt vor und ist sehr problematisch", sagt Dr. Guido Oster, Vorsitzender des Zahnärztlichen Bezirksverbandes Unterfranken. Auch in seine Praxis in Euerbach (Lkr. Schweinfurt) kämen immer wieder Patienten, die sich zunächst im Ausland behandeln ließen. Aus Kostengründen. Das Problem: Ein Zweitbehandler in Deutschland sei erstmal verpflichtet, nur Schmerzbeseitigung zu machen, so Oster. Denn wenn er nachbessert, erlischt die Garantie, die es eventuell auf den Eingriff gibt. Und das kann teuer werden.
Geht es letztendlich also beim Medizintourismus immer ums Geld? Nein, sagt Juszczak. Auch kürzere Wartezeiten oder die letzte Chance auf Heilung können eine Rolle spielen. Grundsätzlich gilt: Wer sich für eine Operation im Ausland entscheidet, sollte es "richtig organisieren", sagt Juszczak. Beispielsweise prüfen, ob die Kasse bestimmte Anteile übernimmt und dann vorab auf eine Kostenzusage dringen. Und "genau schauen, wo man hinfährt", etwa auf TÜV-Siegel achten oder auf einem Dolmetscher bestehen, der aufklärt. "Ein gewisses Risiko bleibt aber. Und die Schwierigkeit, dass ich bei Problemen immer wieder da hin muss", so der Experte.
Jessica P. würde sich dennoch wieder für eine Brustvergrößerung entscheiden. Auch noch einmal bei einem Arzt im Ausland. "Ich kann nicht sagen, dass ich einen Brass auf ihn habe", sagt die Würzburgerin. Die Klinik, das Personal, die Hygiene, das sei nicht schlechter als in Deutschland gewesen. Nur die Aufklärung, an der habe es gemangelt. Und an Nachfragen ihrerseits. "Ich dachte, der wird schon wissen was er macht. Da hätte ich vielleicht im Nachhinein nicht so blauäugig sein dürfen." Im Zweifel, so ihr Fazit, sollte man lieber wieder 300 Kilometer heimfahren. Und, egal ob im Ausland oder in Deutschland, nicht einfach an ein "das wird super" glauben.