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Würzburg
Mathe-Abi: Wieso ein Professor die Aufregung nicht versteht
"Mathe ist ein Angstfach", sagt der Würzburger Didaktik-Professor Hans-Stefan Siller. Trotzdem hält er es für gut, den Notenschlüssel des Mathe-Abis nicht zu ändern.
Zu schwierig? Zu textlastig? Oder doch im Rahmen? Die Mathe-Aufgaben des diesjährigen bayerischen Abiturs haben für Aufregung gesorgt. 
Foto: Elmar Hochholzer | Zu schwierig? Zu textlastig? Oder doch im Rahmen? Die Mathe-Aufgaben des diesjährigen bayerischen Abiturs haben für Aufregung gesorgt. 
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:41 Uhr
Seit 2017 ist Professor Dr. Hans-Stefan Siller, Jahrgang 1977, Lehrstuhlinhaber für Didaktik der Mathematik an der Universität Würzburg.
Foto: Angela Siller | Seit 2017 ist Professor Dr. Hans-Stefan Siller, Jahrgang 1977, Lehrstuhlinhaber für Didaktik der Mathematik an der Universität Würzburg.

Der Inhaber des Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der Würzburger Uni, Hans-Stefan Siller, hält die Entscheidung des Kultusministers, den Notenschlüssel des umstrittenen Mathe-Abis nicht anzupassen, für klug. Man mache sich sonst erpressbar, sagt er. Solle das Abitur eine Wertigkeit haben im Sinne einer Hochschulzugangsberechtigung, dürfe man es im Nachgang nicht ändern.

Frage: Herr Professor Siller, warum war das Mathe-Abi 2019 für viele Abiturienten so schwierig?

Hans-Stefan Siller: Das lag an der Aufgabenstellung. Statt ausschließlich den Kalkül anzuwenden, mussten die Schüler verständnisorientiert vorgehen. Sie mussten etwas längere Texte lesen und begreifen, welche Vorgehensweise daraus abgeleitet werden sollte. Das ist für viele Schüler offenbar noch ungewohnt und daher möglicherweise schwierig.

Wird die Fähigkeit, mathematische Texte zu verstehen und aus ihnen ein Vorgehen abzuleiten, nicht  im Unterricht geübt?

Siller: Das muss geübt worden sein, denn so neu ist das nicht. Vor etwa zehn Jahren hat die Kompetenzorientierung, die auf Verständnisfragen setzt, ganz stark Einzug gehalten auch in die bayerischen Schulklassen. Dass das unterrichtet wird - davon ist also auszugehen. Aber Schule ist wie ein schwerer Tanker auf See, der sich nur langsam manövrieren lässt. Und insofern kann es schon sein, dass das einfach noch Zeit braucht, bis sich das setzt.

Durch die Textlastigkeit der Aufgaben brauchten die Abiturienten mehr Bearbeitungszeit. Rechtfertigt  dieser höhere Zeitaufwand nicht einen veränderten Notenschlüssel, wie ihn Bayerns Abiturienten in einer offenen Petition fordern?

Siller: In meinen Augen nicht. Denn man kann im laufenden Betrieb nicht die Bedingungen verändern. Das Lesen nimmt zwar mehr Zeit in Anspruch - aber gerade wenn man auf die Stochastik-Aufgabe schaut, dann ist der fachlich-inhaltliche Teil dahinter weniger anspruchsvoll, so dass man die Zeit, die man mit Lesen verbringt, beim Rechnen wieder einholen kann.

Der Ansage der Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, laut der extrem viele Schüler mit den Aufgaben nicht fertig geworden seien, stimmt Sie nicht nachdenklich?

Siller: Sollten wirklich extrem viele Schüler nicht fertig geworden sein, muss man dem nachgehen. Dann muss die Ursachenforschung aber nicht bei den Lehrkräften beginnen, sondern bei den Rahmenbedingungen. Also muss ein breiter Diskurs geführte werden, auch mit jenen, die die Aufgaben erstellt haben - und das ist eine Kommission, die das auf Basis von normierten Vorgaben gemacht haben.

Bayerns Kultusminister Michael Piazolo hat das Mathe-Abitur bewerten lassen und jetzt mitgeteilt, es sei im Rahmen gewesen. Das deckt sich mit Ihrer Einschätzung.

Siller: Das zeigt, dass offensichtlich die Aufregung kurz nach der Prüfung nicht begründet war. Ich würde es aber begrüßen, wenn man aufgrund der von den Schülern initiierten Petition noch mal eine Diskussion über das Abitur allgemein führt und die Aufregung, die ja auch medial gehypt wurde, konstruktiv nutzt. Es gibt ja diesen Maßnahmenkatalog von Deutscher Mathematikervereinigung (DMV), Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM) und dem Verein zur Förderung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts (MNU), der sehr deutlich macht, dass über das Abitur und seine Ausgestaltung gesprochen werden muss. Den Fachverbänden geht es da auch um die bundesländerübergreifende Einheitlichkeit des Abiturs und um einen werkzeugfreien ersten Teil, einerseits. Andererseits darum, dass länderübergreifend durchgängig vier Unterrichtsstunden Mathe pro Woche gehalten werden. Das war in Bayern im G8, dessen Absolventen ja jetzt zum Abi antreten, in den letzten Jahren nicht der Fall.

Frage: Warum ist Mathe für so viele Schüler ein Angstfach?

Siller: Weil Mathematik in meinen Augen ein Verkaufsproblem hat. In den Sprachen ist es offensichtlich, warum man diese braucht, insbesondere bei den Fremdsprachen aber auch bei Deutsch. Bei Mathematik stellt sich das im Unterricht aber offenbar nicht so dar, warum man sie braucht und sie so wichtig ist. Man hat nur das Auswendiglernen vor Augen; das führt zu Versagensängsten. Weil man wenig Sinn in diesen Dingen sieht. Wenn Sinn dahinter ist, ist auch die Angst davor weg.

Frage: Sind nicht Versagensängste in Mathe deshalb so groß, weil viele Schüler erfahren haben, dass sie trotz Lernens scheitern - weil sie den Rechenansatz nicht sehen?

Siller: Das ist eine Frage des Übens. Man kann die Fähigkeit, aus einem Textansatz ein Vorgehen zu entwickeln ja genauso lernen wie die Fähigkeiten, die man braucht, um etwa einen lateinischen Text zu übersetzen. Das sollte im Unterricht natürlich auch gemacht werden

Frage: Was sollten Lehrer Schüler mitgeben, die nächstes Jahr ins Abi starten?

Siller: Bezogen auf die Prüfung: Dass die Schüler sich nicht nur mit Aufgaben aus den Vorjahren vorbereiten. Auf die Aufgabenschemata der Vorjahre soll man sich nicht verlassen. Es ist ja bekannt, dass sich Aufgaben nicht doppeln. Auf den Unterricht bezogen, würde ich dazu raten, sich mit Mathe zu beschäftigen, an Schülerprojekten oder Veranstaltungen wie den „Würzburger Modellierungstagen“ teilzunehmen. Auch weniger talentierte Schüler erkennen, wenn sie sich damit auseinandersetzen, wie hoch man die Wahrscheinlichkeit berechnen kann, dass eine Mannschaft ins Achtelfinale der WM kommt oder wie man energieoptimal einen Berg besteigt.

 
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  • Souldream
    Sehr gut denn nichts anderes wollen die Kids erreichen. Man sollte auch mal überlegen die mit dem Internet nicht heutzutage zu viel Macht schon bekommen haben, denn für alles und jenes was den Kids nicht passt brauchen sie gleich eine Demo oder eine Petition. In unseren Bekanntenkreis sind auch einige Kinder die diese Petition einfach nur „cool“ fanden und mitgemacht haben, obwohl sie gar nicht betroffen waren. Sowas lässt tief blicken.
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