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WÜRZBURG
Lkw-Attacke: Wirt fesselt Dieb mit Kabelbinder
Gefährlicher Bäckerei-Lkw: Jim Wagner (rechts) und sein Mitarbeiter Chukwuma Oguachuba („Smart“) von der Kneipe „Red Lion” in der Semmelstraße haben den Amokfahrer überwältigt, der am Mittwoch in der Handgasse (rechts) mehrere Autos demolierte.
Foto: Thomas Obermeier | Gefährlicher Bäckerei-Lkw: Jim Wagner (rechts) und sein Mitarbeiter Chukwuma Oguachuba („Smart“) von der Kneipe „Red Lion” in der Semmelstraße haben den Amokfahrer überwältigt, der am Mittwoch ...
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:41 Uhr

Dramatische Minuten in der Würzburger Innenstadt: Dass die rabiate Fahrt mit einem geklauten Bäckerei-Lastwagen keine Menschenleben gekostet hat, war wohl pures Glück. Und dass der gewalttätige Fahrer am Mittwoch kein weiteres Unheil mehr anrichten konnte – das ist dem beherzten Eingreifen von Passanten und Anliegern zu verdanken.

Täter am Donnerstag noch nicht vernehmungsfähig

Was im ersten Moment Gedanken an islamistische Amokfahrten weckt, war das Werk eines offenbar psychisch kranken Mannes aus dem Wetteraukreis. Die Motive des 35-Jährigen liegen weiter im Dunklen. Er war auch am Donnerstag noch nicht vernehmungsfähig und befindet sich in psychiatrischer Behandlung. So bleibt vorerst unklar, ob sich der Täter am Vortag zufällig in der Würzburger Semmelstraße aufgehalten hat oder den Lieferwagen einer Würzburger Bäckerei bewusst abgepasst hat.

Es sind Szenen wie aus einem Actionfilm: Der Fahrer ist gerade mit dem Entladen vor einer Filiale fertig, hat die Ware im Laderaum fixiert – da springt der fremde Mann hinters Steuer, lässt den Motor an, rangiert ein wenig und fährt los. Der 61-jährige Bäckerei-Mitarbeiter kann sich hinten auf der Ladefläche festhalten und schreit verzweifelt „Halt, halt!“ So schildern es Augenzeugen.

Mehrere Zusammenstöße mit Autos

Doch der Lkw-Dieb jagt davon, biegt gegen die Einbahnstraße in die Handgasse ein und rast mit voller Geschwindigkeit auf einen entgegenkommenden Sharan zu. Es gibt einen lauten Knall – Frontalzusammenstoß. Der Lkw schiebt das Auto durch die Gasse, dann demoliert er der Reihe nach weitere geparkte Fahrzeuge und verkeilt sich schließlich in einer Seitenstraße (Kartause). Der Täter will fliehen, stößt einen Motorradfahrer von seinem Gefährt und beißt ihm in die Hand. Das Ergebnis ist eine blutende Fleischwunde.

Gastwirt Jim Wagner („Red Lion“) und ein Mitarbeiter renovieren an diesem Vormittag gerade die Küche ihrer Kneipe in der Semmelstraße. „Ich habe das Fenster zur Handgasse zum Lüften aufgemacht – genau da fährt der Lastwagen vorbei.“ Wagner sieht den ersten Unfall und läuft zusammen mit seinem Angestellten sofort auf die Straße, um Erste Hilfe zu leisten.

Fotoserie

Glück, dass keine Fußgänger überfahren wurden

Der ältere Fahrer am Steuer des Sharan hat Glück: Der Airbag öffnet sich und er bleibt unverletzt. Die Kneipenbetreiber verfolgen zu Fuß den Bäckerei-Lkw und stürzen sich auf den Täter. Der ist aggressiv, beißt, tritt und schlägt wild um sich. Nur zu viert gelingt es den Männern, den 35-Jährigen zu bändigen. Unter ihnen ist Tuncay Öcek aus Kitzingen.

Er arbeitet gerade als Monteur auf einer Baustelle in der Semmelstraße, als der Lkw gestohlen wird. Er sieht eine Bäckerei-Angestellte hinterherlaufen und um Hilfe schreien. Glücklicherweise fährt der Lkw nicht in der belebten Semmelstraße weiter. Und in der Handgasse ist zu diesem Zeitpunkt niemand zu Fuß unterwegs, eine junge Frau mit Hund schließt gerade noch ihre Wohnungstür.

Gastwirt holt Kabelbinder zum Fesseln

Als es zum zweiten Mal knallt, rennt auch Öcek los – und greift ein. „Ich habe ihn gepackt und zu Boden geworfen“, berichtet der 47-Jährige am Tag danach. Ein selbstloser Einsatz: Der blutende Täter („er hatte viele offene Wunden“) beißt auch ihn in die Hand, so dass er später ins Krankenhaus muss. Während drei Männer den Lkw-Dieb festhalten, rennt Gastwirt Jim Wagner zurück ins „Red Lion“ und holt Kabelbinder. Damit fesseln sie den Täter. Einige Minuten später übergeben sie ihn an die eintreffende Polizei.

„Die Passanten haben gut reagiert und die Zeitspanne überbrückt“, lobt Polizeisprecherin Kathrin Thamm den beherzten Einsatz. Bei der Unberechenbarkeit des Täters „hätte sonst noch mehr passieren können“. Wie gewalttätig der Festgenommene ist, erlebt ein Sanitäter: Auch er wird Opfer einer Beißattacke. Dazu verletzt sich der 35-jährige Dieb selbst, beißt sich bis auf den Knochen in den Finger.

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Anlieger hören laute Schläge

Die Lkw-Attacke und die Verfolgungsjagd hat am Mittwoch auch Anlieger aufgeschreckt. „Das war ein mächtiger Knall direkt vorm Haus. Ich habe erst an einen Herzinfarkt beim Fahrer gedacht“, berichtet eine Frau. Und im nahen Hotel „Stadt Mainz“ haben die beiden Chefinnen Anneliese und Margarete Schwarzmann die „lauten Schläge“ gehört, auch die Gäste hätten einen ordentlichen Schrecken bekommen.

Für mehrere Stunden hatte die Polizei den Tatbereich abgeriegelt. Erst am Nachmittag waren die Straßen wieder passierbar. Laut Polizei entstand an den demolierten Fahrzeugen ein Gesamtschaden von 80 000 Euro.

Polizei: Kein Vorwurf an den Bäckereifahrer

Bei der betroffenen Bäckerei ist man froh, dass der langjährige Mitarbeiter nur leicht am Kopf verletzt wurde. Ihm ging es am Donnerstag schon wieder besser. Ein Vorwurf ist dem Fahrer aus Sicht der Polizei nicht zu machen, auch wenn er den Schlüssel stecken ließ: „Auf keinen Fall. Er war ja am Fahrzeug und konnte nicht mit so etwas rechnen“, sagt Sprecherin Kathrin Thamm vom Polizeipräsidium.

Der Motor des Lieferwagens war aus. Nur zwei bis drei Minuten habe das Entladen gedauert, erklärt einer der beiden Geschäftsführer, der in der langen Firmengeschichte einen vergleichbaren Fall noch nicht erlebt hat. Der ältere Lkw erlitt zwar einen Totalschaden. Den kann die Bäckerei aber verschmerzen. Was dem Firmenchef viel wichtiger ist: „Dass unser Fahrer nicht direkt angegriffen wurde und es im Prinzip bei Sachschäden geblieben ist.“

So verkeilt ging für den offenbar psychisch kranken Dieb des Bäckerei-Lkw nichts mehr weiter.
Foto: Berthold Diem | So verkeilt ging für den offenbar psychisch kranken Dieb des Bäckerei-Lkw nichts mehr weiter.
 
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  • R. W.
    Das ist ein äußerst zweischneidiges Schwert. Als vor einiger Zeit in Sachsen ein Asylant überwältigt wurde, der eine Verkäuferin wegen einer leer telefonierten Handykarte mit einer Flasche bedroht hatte, war schnell von einer rechtsradikalen Bürgerwehr die Rede. Auch diesen hatten die Überwältiger mit einen Kabelbinder an einem Baum fixiert bis die Polizei kam.
    Die Polizei war damit einverstanden zollte auch Lob. Die bundesweiten Medien waren aber entsetzt ob soviel Bürgercourage gegen einen Dunkelhäutigen. Es liegt der Verdacht nahe, dass es diesesmal ein Deutscher ohne Migrationshintergrund war...
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  • J. K.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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  • G. L.
    Richtig angemerkt!
    Deshalb ist es für engagierte Helfer wichtig, sich vor ihrer Unterstützung über die Abstammumg des Täters zu informieren. Sonst sind sie selber schnell der Täter....
    Und der Täter wird von den Medien als Opfer und Held dargestellt....
    Und die Opfer (wie die Verkäuferin in Sachsen) sind für die gleichen Medien nicht präsent.
    Das ist die heutige (Un)Zeit traurig
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  • G. L.
    @semistar
    Auch in Würzburg werden immer mehr Helfer zu Opfern.
    Und trotz Polizeibericht liest man wenig oder nichts darüber in den Medien.
    Weil es "Neubürger" waren?:
    http://www.polizei.bayern.de/unterfranken/news/presse/aktuell/index.html/277543
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  • H. H.
    Gut gemacht, das ist gelungene Zivilcourage von mehreren Bürgern, sehr lobenswert und zeigt auf, dass gemeinsam viel Unheil verhindert werden kann.
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