
Zur Berichterstattung über Straßenumbenennungen in Würzburg erreichte die Redaktion folgender Leserbrief.
Wer die Umbenennung von Straßennamen auch in Würzburg verlangt, weil der Namensträger sich im sog. "Dritten Reich" nicht deutlich genug von den politischen Überzeugungen der NSDAP abgesetzt habe, der weiß nicht, wie man sich unter einer gnadenlosen Diktatur verhalten muss, um eine innere Berufung in einer unpolitischen beruflichen Tätigkeit zu verwirklichen.
Das gilt besonders für Hermann Zilcher, für mich ein Beispiel der Menschen, die nicht emigrierten, sondern auch unter einem Despoten ihre künstlerische Berufung trotz Zensur und obrigkeitlichen Einschränkungen erfüllen wollten. Sein Schaffen hatte schon in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren mit vielen beeindruckenden Musikwerken und mit Lehrtätigkeiten zu großer Bekanntheit geführt, so dass er seiner Würzburger Heimat weiterhin eng verbunden bleiben wollte, vor allem mit dem von ihm schon 1922 – also elf (!) Jahre vor Hitlers Machtergreifung – gegründeten Würzburger Mozartfest.
Wie er sich dann durch das Dickicht von Gesinnungsvorschriften und vorbei an politisch Mächtigen hindurchlavieren musste, um weiter Musik zu organisieren und zu machen, kann nur der ermessen, der selbst erlebt hat, wie (oft lebens-)gefährlich und schwierig das in einer Diktatur ist, die einen derart Prominenten dauernd im Auge hat.
Es genügt heute ein Blick auf den verbrecherischen Überfall Putins auf die Ukraine und auf das neue Maulkorbgesetz gegen "Falschmeldungen", um sich auszumalen, mit welchen Verstellungen man sich in Putins Russland bewegen muss, um von der Staatsgewalt unbehelligt zu bleiben.
Was wir gerade bei Putin erleben, gilt auch für die Zeit unter Hitlers Herrschaft, die ich selbst als heute 92-Jähriger erlebt habe. Auch wir wussten schon als Kinder, was wir wo und zu wem sagen durften und was nicht, wollten wir ungeschoren bleiben. Das galt immer und überall: in der Schule, auf der Straße, in kirchlichen Jugendgruppen, manchmal sogar in der Familie. Denn Angst war schon immer und bleibt das wirksamste Mittel eines Diktators, sich Menschen untertan zu machen.
Wenn also ein Musikenthusiast wie Hermann Zilcher nicht wie andere auswandert, sondern sich auf ein äußerlich erkennbares Sich-Arrangieren mit einer diktatorischen Staatsmacht einlässt, braucht Mut und Geschick, keine rote Linie zu überschreiten.
Gelingt es, dann wäre das eine anerkennenswerte Gewissensleistung, weil man jeden Tag von neuem eine Lüge leben muss. Schon weil das bei Hermann Zilcher möglich, nach meinen Erfahrungen sogar wahrscheinlich ist, sollte man in unbedarfter Rechthaberei seinen Namen nicht auf einem Straßenschild und sonstwo tilgen.
Dr. Diether Steppuhn
97082 Würzburg