Der Tag, an dem er zum Mann wurde, war für Lennart (Name geändert) der beste Tag seines Lebens. Vorher sei es ihm immer schwer gefallen, vor Gruppen zu sprechen; ab dem Tag, an dem er als Mann auftrat, fiel es ihm leicht. Vorher habe er oft eine geduckte Haltung eingenommen, Schultern eingezogen, Rücken gebeugt; ab dem Tag, wo er Mann wurde, stand er aufrecht . Er konnte sagen: „Das bin ich. Ich bin der Lennart! Ein Mann!“. Diese Sätze hätten sich sehr gut angefühlt. Genau richtig. Befreiend.
Lena: "Vielleicht wird aus mir doch noch mal ein Junge! Vielleicht mit Verspätung!"
Lennart wird als Lena geboren: ein gesundes Mädchen. Wächst in einem Dorf in der Region auf, verlebt eine unproblematische Kinderzeit. „Ich hab immer Jungszeug gespielt. Hab im Wald rumgetobt. Kampfsport gemacht. Fußball im Wilde-Kerle-T-Shirt.“
- Lesen Sie auch: Die anstrengende Reise von einem Geschlecht zum anderen
Lenas Eltern lassen ihrer bubenhaften Tochter den Freiraum; akzeptieren auch, dass das Kind keine Mädchenklamotten anzieht, sondern nur die abgelegten Sachen vom großen Cousin. „Vielleicht wird aus mir doch noch mal ein Junge! Vielleicht mit Verspätung. Vielleicht wächst das da unten doch noch!“ hat die kleine Lena damals ihrem Kindergartenfreund gesagt.
Klassenkameraden: "Was ist falsch an dir?"
Die Grundschule verläuft für Lena deshalb problemlos, weil Freundinnen auch wild und bisschen anders sind. Doch mit dem Übertritt ins Gymnasium ändert sich Lenas Leben drastisch. „Was ist falsch an dir?“ „Du bist aber eklig!“ „Lass dich doch umoperieren!“, sind Sätze, die Lena bis ins Mark treffen. Sie zieht sich zurück, passt sich an, auch, was Kleidung angeht. „Erst in der Oberstufe, als ich mich in eine Frau verliebt habe, habe ich mir erlaubt, wieder darüber nachzudenken, was oder wer ich bin“. Ist Lena eine lesbische Frau? Hat Lena je das Leben als lesbische Frau in Betracht gezogen - ein Leben, das vielleicht auch nicht immer einfach ist, aber doch unkomplizierter als das Leben als Transgender-Mann?
Lennart: "Ich habe mich immer als Mann gesehen!"
„Darüber habe ich viel nachgedacht“, sagt Lennart heute. „Aber als Frau konnte ich mich nicht im Spiegel anschauen, ich wusste nicht wieso.“ Lena nahm ab; die Selbstakzeptanz kam nicht. Lena hatte Probleme, ging zur Therapie. „Ich konnte meine Wünsche und Gefühle nicht ändern. Wenn ich damals als Lena an die Zukunft dachte, habe ich mich immer als Mann gesehen“, berichtet Lennart. Und als er erstmals einen Transgender-Jungen, also einen Jungen, der mal ein Mädchen war, getroffen habe, ahnte er, dass es auch für ihn möglicherweise einen Weg geben würde.
Die Krankenkassen verlangen im Falle eines Menschen, der ins andere Geschlecht wechseln will, ein Testjahr. Sie fordern, dass der Kandidat und - zwar vor jedweder Art medizinischer Behandlung – ein Jahr in seinem Zielgeschlecht lebt. Als Lena zu Lennart wird, bindet er sich die Brüste ab, die nicht, die nie zu ihm gepasst haben. Steht aufrecht. Ist angekommen. Der beste Tag überhaupt.
Arbeitsbekanntschaften: "Junger Mann mit hoher Stimme"
Lennart hat insofern Glück, als er fast 1,80 Meter misst. Durch den Sport hat er Muskeln, auch das hilft. Noch während des Testjahrs nimmt Lennart einen Job im sozialen Bereich an. Die Betreuten hätten ihn fast alle als „jungen Mann mit hoher Stimme wahrgenommen“, erzählt er. Als das Testjahr zu Ende war und die Krankenkasse seinem Ersuchen auf Geschlechtsumwandlung zustimmte, wurde er zum „jungen Mann mit tiefer Stimme“.
Nur ein paar Wochen hatte er das vom Endokrinologen der Uni Würzburg verordnete Testosterongel täglich aufgetragen, da spürte er Veränderungen: Die Regel hörte praktisch sofort auf. Der Stimmbruch kam nach sechs Wochen. Sogar der Knochenbau veränderte sich ein Stück weit; die Schultern wurden breiter. Die Muskeln wuchsen. Barthaare sprossen; auch die Akne. Zu seinem großen Erstaunen wurde auch der Sexualtrieb wesentlich aktiver. „Das ist echt kein Märchen. Als Mann denkt man viel mehr dran, fühlt da mehr das Bedürfnis.“ Lennart entscheidet sich, kaum dass er volljährig ist, auch für die Mastektomie, das Entfernen der Brüste.Er ist jetzt optisch ein Mann - aber ein Mann ohne Penis, ohne Hoden. Die Möglichkeit eines Penis-Aufbaus verwirft er ; es handele sich um extrem riskante, große Operationen mit unsicherer Erfolgsgarantie
Lennart: "Sobald sie Bescheid wissen, rennen Frauen schreiend davon."
Jetzt, mit 20 Jahren, überlegt Lennart gerade, welcher Beruf zu ihm passen würde. Er hat Abi; ob er studiert, weiß er noch nicht. Er hat Freunde und Bekannte, die ihn mitsamt seiner Geschichte kennen. Für die Zukunft wünscht er sich eine Freundin, vielleicht später eine Familie. Er hofft, einmal die Frau zu finden, die ihn so akzeptiert, wie er ist. Aber das wird schwierig. „Ein paar Mal habe ich jetzt die Erfahrung gemacht, dass Frauen, sobald sie über mich Bescheid wissen, schreiend davonrennen.“ Lennart sagt, er wolle ein „normales Leben“. Ist das möglich?