Sie versteht es nicht. Hat es nie verstanden. Als Freunde begannen, auf und mit sozialen Netzwerken rumzumachen, schaute sich Alexandra Hertlein das schon mal an. Aber sie begriff einfach nicht, was das sollte. "Ich bin sprachlos davorgestanden, als Facebook losging." Fotos vom Essen zu posten. Von Sonnenuntergängen. Von Belanglosigkeiten. Anderen ständig mitzuteilen, was man gerade macht. "Warum und für was? Tausend Likes? Da pfeif ich drauf." Wenn Alexandra Hertlein ihren Freunden etwas erzählen will oder wissen möchte, wie es ihnen geht – schreibt Sie eine Postkarte. Oder ruft einfach an.
Smartphone? "Nein, kein gar nichts." Computer? "Machen mich wahnsinnig." Internet? "Brauche ich einfach nicht." Und im selben Atemzug noch fügt die 58-Jährige an: "Ich hoffe, dass ich bis zu meinem Tod leben kann ohne."
Ein Leben zwischen Flohmarktdingen und Röhrenfernseher
Wer Alexandra Hertlein zuhause in Dipbach (Lkr. Würzburg) besucht, irgendwo hinter Bergtheim auf dem Land, wird voller Herzlichkeit und Wärme in einer Wunderwelt der Dinge empfangen. Ein großer Garten, ein kleines Hinterhäuschen am Elternhaus, dösende Kater und Katzen – "leider nur vier zur Zeit" -, ungezählt viele Bücher und Alben in den Regalen und davor, dazwischen, darüber, daneben lauter Flohmarktdinge. Buddha neben Omavasen, Kerzenleuchter hinter alten Fotografien, irgendwo zwischen Pflanzen, Kissen und Büchern, Büchern, Büchern kauert ein alter winziger Röhrenfernseher. Es läuft Musik, auf dem Ofen steht duftend der Tee.
Sie hat ja gezögert. Warum sie das erzählten sollte, warum das überhaupt interessant sei, dass sie völlig analog und fern der digitalen Welt lebt. Aber dann, na gut, kommen sie gern vorbei. "Es hat sich so ergeben", sagt Alexandra Hertlein lachend über ihre Internet-Abstinenz. Aber auch, weil sie wollte, dass es sich so ergibt. Ihr Zuhause: Offline-Zone. Als irgendwann drei Freundinnen bei ihr beim Kaffeetrinken saßen, ihre Smartphones zückten und darauf "rumwurstelten", da habe sie gesagt: "Zwei Minuten, dann sind die weg oder ihr geht."
Wieso Katzenvideos ansehen, wenn sie selbst Katzen hat?
Sie liebe Geschichten, liebe es, "von Mensch zu Mensch" mit jemandem zu reden, anderen zuzuhören, sagt Hertlein. "Aber hundert Banalitäten auf Facebook zu kriegen? Das ist es mir nicht wert." Und wieso sollte sie sich ein Video von Katzen anschauen, "wenn ich selber welche hab‘?"
Wer Alexandra Hertlein erreichen will, ruft auf dem Festnetz an. Ja, sie hat ein Handy, irgendein altes. Als sie es mal zum Reparieren bringen wollte, fragte der Mitarbeiter im Laden nur entgeistert, "aus welchem Jahrtausend" das denn sei. "An ist es nur, wenn ich auf Arbeit bin." Hertlein arbeitet als Betreuerin einer behinderten Frau und als Köchin beim Würzburger Bergwaldprojekt, "da ist es wichtig, erreichbar zu sein". Die Dipbacherin hat Grafikdesign studiert als "viel noch händisch" war. Sie arbeitete in einem Verlag – "wir haben das Layout noch gerubbelt" –, lektorierte, machte dann viel Registerarbeit. Aber als es richtig losging mit den Computern . . . "Bildschirmarbeit stresst mich, da werde ich richtig grantig und habe das Gefühl, jemand hat mir meine Lebenszeit geraubt".
Durch ihre Arbeit mit Menschen im Rollstuhl und WüSL, den Verein "Selbstbestimmt Leben Würzburg", wisse sie, wie hilfreich die neuen Medien, die digitalen Geräte sein können. Wie wichtig der schnelle Zugang zu Information sei, das Kontakt-Halten zu anderen.
Ach ja, irgendwo in dieser bunten Wunderwelt, in diesem Kabinett kleiner Schätze voller Geschichten, muss ein altes Laptop sein. Ein ausrangiertes, von der Schwester. Zwei Jahre lang hatte Alexandra Hertlein es überhaupt nicht in Betrieb. Und dann das Passwort vergessen. "Wir haben, glaub‘ ich, W-Lan", sagt Hertlein, vor sich eine dampfende Tasse Tee, streichelt den 18-jährigen Merlin, deutet Richtung Haupthaus und schaut sich suchend um. E-Mail-Adresse? "Es ist einfacher, man schickt mir eine Brieftaube", sagt Alexandra Hertlein und lacht. Ja, sie sei halt eigen, trotzig vielleicht. "Ich komme damit klar, dass mich manche anschauen, als wäre ich ein Alien."
Die Welt lebt im Überfluss, Hertlein hat noch ein Telefonbuch
Die Gier, überallhin reisen zu wollen, immer alles haben zu wollen und immer das neueste sowieso –man kann sich mit Hertlein lange über den Überfluss und die Unersättlichkeit der Welt unterhalten. Sie hat ein altes Telefonbuch. Und wenn sie irgendwo hin muss, "lasse ich mir den Weg beschreiben und schreibe alles genau auf". Manchmal bitte sie jemand, ihr einen Plan auszudrucken. Und wenn sie einmal im Monat dieses besondere Trockenfutter für die nierenkranke Katze braucht, das im Laden viel teurer wäre, "besorgt der Bruder das übers Internet".
"Wir haben so viele Sinne, die verkümmern, wenn wir nur mit dem Computer agieren", sagt die 58-Jährige. "Ich glaube, dass es gefährlich ist." Sie selbst sei am Anfang gleich gelangweilt gewesen von Internetdingen und diesem Kram. "Hat mich nicht interessiert, dann habe ich den Zug verpasst", sagt Hertlein. Und lacht wieder herzlich. "Jetzt stehe ich am Bahnhof, der Zug ist längst weg und ich schaue mich um und denke: Wie schön ist der Bahnhof!"
Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland nutzen soziale Medien, heißt es laut dem aktuellen "D21-Digital-Index", der unter Schirmherrschaft des Bundeswirtschaftsministeriums jährlich ein Lagebild zur digitalen Gesellschaft gibt. Mehr als 20 000 Menschen über 14 Jahren hat das Marktforschungsinstitut Kantor TNS dafür befragt. Ergebnis: 56 Prozent sind im Kontakt zu Mitmenschen über den Messenger-Dienst WhatsApp, 41 Prozent haben ein Konto bei Facebook. 35 Prozent nutzen die Videoplattform YouTube, die Fotoplattform Instagram immerhin auch schon 13 Prozent. Und der Digitalkonsum in Deutschland steigt weiter, zeigt der Lagebericht, auch die Internetnutzung nimmt dank der mobilen Möglichkeiten wieder zu. 84 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen online, sagt der D21-Digital-Index, 75 Prozent nehmen dafür das Smartphone. Selbst bei den 60- bis 69-Jährigen sind knapp 80 Prozent online, mehr als die Hälfte von ihnen übers mobile Gerät.
"Ich überlege mir oft, wie lange geht es noch gut?", sagt Alexandra Hertlein, eine der rund zehn Millionen Menschen in Deutschland offline. "Zwingen die mich mal, den nächsten Zug zu nehmen?" Die Dipbacherin ist sicher: Die digitale Welt "frisst Zeit". Wenn es ihr mal total langweilig sei, "stromer ich durch die Wohnung und schau mal wieder die Bücher an". Mit Menschen und Tieren verbunden zu sein: "Das ist so wertvoll und kostbar", sagt sie. Aber sie verbindet sich eben nicht über Facebook oder WhatsApp. Ihre Freunde, die "20 Leute, die mir sehr nahe und wichtig sind und die ich tief in mein Herz geschlossen habe", können jederzeit anrufen oder in Dipbach einfach vor der Türe stehen. "Im Kühlschrank ist immer für alle genug." Und falls sich jemand wochenlang nicht gemeldet hat, bekommt er Post. Handgeschrieben und analog.
- Auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten hat die deutsche Gesellschaft einen mittleren Indexwert von 55 Punkten erreicht. Im Vergleich zum Vorjahr 2 Punkte mehr. Grund für den Zuwachs: Steigerungen beim Zugang (+6 Punkte) und in der Kompetenz (+2 Punkte). Das Nutzungsverhalten nimmt leicht ab (-1 Punkt), die Offenheit gegenüber digitalen Themen bleibt gleich.
- 84 Prozent der Bevölkerung sind online (+3 %), v. a. durch die zunehmenden Verbreitung des mobilen Internets, das inzwischen 68 Prozent nutzen (+4 %).
- Den größten Zuwachs gibt es bei den Älteren: 79 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und 45 Prozent der über 70-Jährigen sind online.
- Die Gruppe der "Digital Abseitsstehenden" schrumpft um vier Prozentpunkte auf 21 Prozent, das sind ca. 13 Millionen Menschen.
- Die größte Gruppe sind "Digital Mithaltende" mit 42 Prozent (+1 Prozentpunkt), das sind etwa 27 Millionen Menschen.
- Den größten Zuwachs verzeichnet die Gruppe der "Digitalen Vorreiter": jetzt 37 Prozent (+3 Prozentpunkte). Der Index zählt dazu Menschen, "die sehr offen und souverän mit den Anforderungen sowie den Errungenschaften der Digitalisierung umgehen".
- Es gibt ein digitales Stadt-Land-Gefälle: Die Großstadtbevölkerung kommt auf 58 Indexpunkte, die Landbevölkerung auf 53.
- Spitzenreiter bei der generellen Internetnutzung nach Bundesland sind Hamburg, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein: je 87 Prozent. In Bayern sind 84 Prozent der Menschen zumindest gelegentlich online. In den östlichen Bundesländern liegt die Nutzung unter 80 Prozent, Schlusslicht ist Thüringen mit 73 Prozent.
- 33 Prozent der Befragten wünschen sich mehr digitale Abstinenz.
- Von den 16 Prozent Offlinern sagen 82 Prozent, dass sie kein Interesse am Internet haben, 37 Prozent ist es zu kompliziert, 34 Prozent sehen keinen Nutzen oder Vorteil darin.
Ansonsten denke ich das es einfach das Medium der Zukunft ist. Bewußter Umgang ähnlich wie mit dem Fernseher.
Ein Schmunzeln gönne ich mir bei Leuten, die an der Wursttheke daheim nachfragen müssen ob die Gelbwurst mit oder ohne Grün gekauft werden soll.
Urlaub ohne Handy, traumhaft erholsam. Anders sieht es bei E mails aus, ohne die kommt man nicht über die Runden, da heutzutage fast alle Infos und Rundschreiben, z.B. von Vereinen, sehr zeitnah, schnell und kostengünstig über das Netz verschickt werden.Allerdings halte ich es mit dem Briefkasten vor dem Haus. Einmal am TAg nachschauen langt vollkommen.