
Als der Mann von Katrin Grafe 2005 die Bestätigung für eine Stelle an einer Universität im asiatischen Brunei bekam, drehte sich auch ihr Leben um 180 Grad. Das gesamte Leben der Familie wurde um über 10.500 Kilometer versetzt. Elf Jahre später entschied sie sich dazu, mit ihren zwei Kindern nach Deutschland zurückzukehren. Ihr Mann blieb in Brunei, um weiter als Biologe zu forschen - aus einem gemeinsamen Alltag wurden wenige gemeinsame Wochen im Jahr, wenn Katrin Grafe ihren Mann besuchte.
Mit dem Beginn der Corona-Pandemie aber wurden die Besuche zu bürokratischen Hürdenläufen - mit zitternden Händen, wie sie schildert, hoffte Katrin Grafe jedes Mal aufs Neue, dass sie die richtigen Bescheinigungen und Dokumente für die schwierige Einreise vorzeigen konnte. Wenn sie die Genehmigung zum Fliegen bekam, begann danach der Aufenthalt in Quarantäne: zwei Wochen lang durfte sie das Hotelzimmer nicht verlassen. Ihr einziger menschlicher Kontakt bestand aus den Essenslieferungen, die mit einigen Wasserflaschen begleitet vor ihre Tür gestellt wurden.
Sie beschreibt das Verhältnis zwischen Reis und Beilagen als unangemessen: dreimal am Tag bekam sie Berge an Reis mit wenig Blattgemüse, das zudem bitter schmeckte, sowie Hühnchen oder Fisch, manchmal Bohnen oder Möhren. "Ich konnte nicht dreimal am Tag Reis essen." Nach einem Beitrag auf ihrem privaten Facebook-Account scherzte eine Freundin, dass sie aus den Bergen doch Reis-Skulpturen bauen könnte - so wurde die Idee der Essenskunst geboren. Für echte Skulpturen war der Reis nicht klebrig genug, erklärt sie, aber als formengebende Objekte auf dem Teller eignete er sich gut: ihr erstes Werk war "der Schrei" von Edvard Munch. Die Reaktion ihres Online-Umfelds fiel positiv aus: "Darüber haben sich die Facebook-Freunde total amüsiert."

Ihre Facebook-Freundinnen und Freunde begannen daraufhin Bilder einzufordern und täglich zu fragen, ob sie nicht ein neues Werk legen möchte. Katrin Grafe war überrascht von der positiven Resonanz. Durch ihre Situation in der Quarantäne und die Mengen an übriggebliebenem Essen, das sie weiterhin dreimal täglich vom Hotel erhielt, ging sie auf die Wünsche ein und kreierte weitere Bilder. Meistens bestanden diese aus einer Reis-Basis, die Personen und vordergründige Objekte darstellte. Die Details gestaltete sie mit dem übrig gebliebenem Gemüse. Dabei arbeitete sie filigran und achtete besonders auf die Proportionen und Farbgebung in dem Original, das sie versuchte, nachzulegen.
Katrin Grafe erinnert sich, im Internet bekannte Kunstwerke herausgesucht und schließlich ihre Facebook-Freunde hat erraten lassen. "Und so ging das los. Das habe ich in der Quarantäne durchgezogen, bis zum Schluss."
In der Zeit daheim aber verzichtete sie auf ihre kreative Essensdarstellung. Erst in der nächsten Quarantäne forderten ihre Facebook-Freunde sie auf, weitere Bilder zu gestalten und Katrin Grafe legte wieder los. Ihre Sammlung, bestehend aus 25 vergänglichen, nachgelegten Bekanntheiten der Kunstgeschichte, fotografierte sie eigens in den Hotelzimmern. Dabei waren die "Sonnenblumen" von Claude Monet ihr zeitaufwändigstes Projekt, für das sie über 2,5 Stunden benötigte. "Ich habe dann manchmal auch zu hohe Ansprüche an mich selbst, du willst das dann so haben, wie du es auf dem Foto hast, oder wie du es dir in deinem Kopf vorstellst." Ähnlich wie berühmte Maler werde auch sie von der Angst vor der weißen Leinwand geplagt.
Ihre Werke sind zurzeit in Würzburg ausgestellt
Ihre Kunst verschickte sie weiterhin privat in ihrer Facebook Gemeinschaft, woraufhin ihre Kunst auf verschiedensten Wegen weiter verbreitet wurde. Zudem erstellte sie Kalender, die ihre Freundinnen und Freunde auf Anfrage erhalten konnten. Mittlerweile werden 14 dieser in Brunei entstandenen Werke auch in Würzburg ausgestellt, nur ein einziges davon ist in Deutschland entstanden.
Interessierte können sich die außergewöhnlichen Werke in der Passage links neben der Augustinerkirche in einem Schaukasten des Kunst Ateliers "Kulturinsel" des Brückenbogen Kulturinsel e.V. anschauen. Nach wie vor ist Katrin Grafe mindestens einmal im Jahr in Brunei. Auch wenn sie momentan keine weiteren Bilder kreiert, sei es nicht ausgeschlossen, so Grafe, dass sie nicht doch irgendwann wieder inspiriert wird, sich künstlerisch auf dem Teller auszutoben.
