Zu Beginn des zweiten Corona-Sommers steht der Blaue Eumel in den Startlöchern. Frisch herausgeputzt und auf Vordermann gebracht, wird er bald seine Scheune bei Himmelstadt verlassen und sich auf den Weg zum Aktionsgelände der Umweltstation in Würzburg machen – es gibt nämlich einen Grund zum Feiern. Der Eumel wird zehn und die Künstlerinitiative „Der Blaue Eumel – Mobile Kunst“ steckt mitten in den Vorbereitungen zum Geburtstag.
Der Pritschenwagen, Baujahr 1979, bringt seit 2011 die professionellen Künstlerinnen und Künstler aus Klassik, Jazz und Theater an mehr oder weniger entlegene Orte und damit Kunst und Kultur unter die Leute. Er ist ein echtes Multitalent: Knallblau gestrichen, transportiert er sechs Fahrgäste, einen Flügel, verschiedene Streichinstrumente und dient den Künstlern als Bühne.
In Würzburg erwacht die Kultur langsam aber sicher aus dem Corona-Schlaf und der Blaue Eumel ist mit seinem Geburtstags-Programm dabei. „Bei uns steht Zugänglichkeit für das Publikum ganz oben. Wir spielen für alle und an Orten, an denen normalerweise keine professionelle Kunst aufgeführt wird“, sagt Schauspieler Boris Wagner, der in der Gruppe auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Das „kleinste Drei-Sparten-Haus Europas“ bereitet spannende, außergewöhnliche und unterhaltsame, aber immer hochprofessionelle Stücke vor, die es auf seinen Touren auch in kleinere Städte, Dörfer und in entlegenere Gegenden bringt.
Der Blaue Eumel hat alles unter einem Dach, was er benötigt
Wie funktioniert das in der Praxis? Der Blaue Eumel hat alles unter einem Dach, was er benötigt und ist völlig autark: Aufführungen können immer und überall stattfinden, nicht einmal ein Stromanschluss ist nötig. Der Flügel gehört zum Ensemble und hat einen Klavierbauer gefunden, der sich ehrenamtlich um ihn bemüht. „Trotz zum Teil starker Temperaturschwankungen hält der Flügel seine Stimmung erstaunlich gut. Er ist zum Reisen gemacht“, so Jazz-Schlagzeuger Tobias Schirmer, Vorsitzender des Vereins.
Das ist ein Glücksfall, denn Kosten und Aufwand zur Instandhaltung des Motors, des Flügels und die Lagerung sind eine große Herausforderung für den gemeinnützigen Verein. Denn die rund 50 aktiven Eumelnauten, wie sich selbst nennen, spielen kostenlos beziehungsweise auf Spendenbasis. Letztes Jahr brauchte der Oldtimer eine Überholung des Motors – das hat ein Loch in den Finanzen hinterlassen. Um den Verein zu unterstützen, gibt es Patenschaften oder die konventionelle Spende – per Banktransfer oder bei Konzerten.
Kunst für alle, ohne Hemmschwellen oder Berührungsängste
Doch die Vision gilt: Kunst für alle, ohne Hemmschwellen oder Berührungsängste und außerhalb der veralteten und behäbigen Strukturen des Kulturbetriebs. Auch, wenn die Gattungen Klassik, Jazz und Theater künstlerisch für sich stehen, ist das Ineinander-Weben und Aufeinander-Abstimmen der Stücke Teil des Konzeptes. Kleine Besetzungen machen die Proben- und Bühnenarbeit zum unmittelbaren Erlebnis unter der Devise „Die Aufgabe der Kunst besteht darin, Türen zu öffnen, wo sie keiner sieht".
Derzeit organisiert sich die Initiative mit sieben Leuten an der Spitze, die sich um Logistik, Finanzierung und Kreativität kümmern. Sie alle haben eine Verbindung an die Würzburger Musikhochschule, sei es durch Lehraufträge oder Studium, und daher ihren Mittelpunkt nach wie vor in Würzburg. Das Aktionsgelände an der Umweltstation in Würzburg ist in vielerlei Hinsicht die beste Umgebung für ein rauschendes Geburtstagsfest: Hier macht der Blaue Eumel seit seiner Gründung immer wieder Station.
Zeitgemäß und antiquiert gleichzeitig: analoge Kunst auf Reisen
In Würzburg kommt am 3. und 4. Juli Shakespeares „Was ihr wollt“ mit Klaviermusik zur Aufführung. Im Rahmen des Mozartfestes geht es vom 8. bis 11. Juli durch Würzburger Vororte und Anfang August an den Bodensee. Die Bühne ist übrigens europaweit erprobt – mit Touren durch Frankreich und Polen.
„Wir sind mit dem Blauen Eumel voll im Trend,“ sagt Boris Wagner. „Ich denke, wir verbinden das Zeitgemäße, Lockere mit dem Analogen, Verbindlichen; auf der einen Seite tragen wir der Eventkultur Rechnung, wirken andererseits aber dem schnellen Konsum entgegen – wir laden zum entspannten Zuhören und Zuschauen ein. Fahrende, mobile Kunst ist immer beides: zeitgemäß und antiquiert.“
Der Blaue Eumel im Netz: www.der-blaue-eumel.de