
Es ist Ostersonntag, der 1. April 1945, gegen 11 Uhr als die ersten Panzer der US-Armee durch das Klingentor in die Ochsenfurter Altstadt einrollen. In nur sieben Tagen haben die Einheiten der 12. US-Panzerdivision die Strecke zwischen dem Rheinübergang bei Oppenheim und dem Maindreieck überwunden. Auf dem Weg von Bütthard über Gaukönigshofen ins Thierbachtal war die US-Kampfeinheit Fields auf keinen nennenswerten Widerstand mehr gestoßen. Schlecht ausgerüstete Volkssturmmänner aus Ochsenfurt und umliegenden Orten hatten den Befehl erhalten, diesen Frontabschnitt zu verteidigen. Die meisten von ihnen entzogen sich dem Einsatz.
Die vollständige Sprengung der Alten Mainbrücke misslingt
Ochsenfurt wird der US-Einheit kampflos übergeben. Die Stadt bleibt deshalb weitgehend unversehrt. Deutsche Truppen haben sich kurz zuvor über den Main und in Richtung Marktbreit zurückgezogen. Der Versuch, die Alte Mainbrücke vollständig zu sprengen, um das Vorrücken der US-Streitkräfte empfindlich zu stören, misslingt. Mehrere Sprengladungen versagen. Die Brücke kann innerhalb weniger Tage behelfsmäßig instandgesetzt werden. In vielen Zeitzeugenberichten sind die Erlebnisse der Menschen in Ochsenfurt und den umliegenden Gemeinden bereits dokumentiert.

In jahrzehntelanger Forschungsarbeit hat der Auber Friseur und Hobbyhistoriker Helmut Veeh die Geschehnisse nachrecherchiert und in seinem mehrfach aktualisierten Buch "Die Kriegsfurie über Franken 1945" niedergeschrieben – ein Standardwerk für Geschichtsinteressierte. 2024 ist ein weiteres Buch erschienen, das viele der beschriebenen Ereignisse in einem neuen Licht erscheinen lässt. Der Titel: "Nördlich von Uffenheim blieb dem Gegner größerer Bodengewinn versagt". Darin schildern Historiker Georg Menig und Co-Autor Stefan Fach das Vorrücken der US-Streitkräfte in Franken zwischen dem 31. März und dem 18. April 1945.

Der Georg Menig ist Stadtarchivar in Ochsenfurt, Röttingen und Gaukönigshofen und zugleich leidenschaftlicher Militärhistoriker – nicht aus Faszination für den Krieg, wie er betont, sondern weil Militärgeschichte eng mit der Sozialgeschichte einer Region verbunden ist. In mehreren Büchern haben sich Menig und Fach bereits mit den Folgen des Ersten Weltkriegs für die Dörfer des Ochsenfurter Gaus auseinandergesetzt.
Georg Menig konnte bislang unzugängliche Quellen auswerten
Für das neue Buch hat Georg Menig unter anderem im US-Nationalarchiv geforscht und dabei bislang unzugängliche Quellen auswerten können. Seine Forschungen lassen erkennen, wie knapp Ochsenfurt in jenen Tagen einer Katastrophe entgangen ist. So sollte am 1. April eine deutsche Panzerbrigade in der Stadt eintreffen, um den strategisch wichtigen Mainübergang zu sichern. Wegen des überraschenden Vormarschs der US-Truppen musste die Brigade in Marktbreit Stellung beziehen.

"Die US-Streitkräfte zögerten nicht, ganze Ortschaften zu zerstören, wenn sie dort deutsche Truppen vermuteten", so Georg Menig, wie beispielsweise Osthausen oder Aub. Wären die deutschen Panzer bis nach Ochsenfurt vorgerückt, hätte die Stadt vermutlich das gleiche Schicksal erlitten, zumal der bis dahin letzte intakte Mainübergang auch für die US-Truppen von hoher strategischer Bedeutung war, wie aus den täglichen Lageberichten hervorgeht.
In Frickenhausen werden die US-Soldaten mit Jubel empfangen
Ein solcher Bericht vom 5. April 1945 beschreibt auch die friedliche Übergabe Frickenhausens. Wie es dort heißt, hätten zwei Zivilisten die amerikanischen Linien durchbrochen und nach ihrer Festnahme berichtet, dass deutsche Truppen am Vorabend gegen 23 Uhr das Dorf verlassen hatten. Die Zivilisten hätten Barrikaden abgerissen, die weißen Fahnen wehten. "Eine Patrouille brachte die Zivilisten zurück und wurde mit Winken und Jubel begrüßt", heißt es in dem Bericht, und weiter: "Es ist erwähnenswert, dass ein Anreiz für die Stadt, so kooperativ zu sein, darin lag, dass sie die nächste Stadt südlich (gemeint war Marktbreit) nach einer Beschießung brennen sehen konnten."

Die Quellen bestätigen die Aussagen von Zeitzeugen. So ist es nicht immer, wie das Beispiel der mutigen Ochsenfurter Frauen zeigt, die kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen Barrikaden aus den Toren beseitigten, obwohl ihnen mit Erschießung gedroht worden sei. Dass es tatsächlich einen solchen Befehl gegeben hat, lasse sich aus den Quellen nicht herleiten, sagt Georg Menig. Auch im späteren Verfahren gegen den verantwortlichen NSDAP-Kreisleiter Stoll kam diese Episode nicht zur Sprache. Menig vermutet deshalb, dass die generelle Angst vor einem Standgericht die späteren Erinnerungen beeinflusst hat.
Zeitzeugenberichte sind nur bedingt aussagekräftig
"Zeitzeugen sind sehr wichtige Quellen", sagt Georg Menig, "aber man muss bedenken, dass es sich dabei um Zivilisten handelte, die weder die Befehlsstruktur noch die strategischen Pläne kannten." Vieles offenbaren die Quellen aus dem US-Nationalarchiv. So komme in den Lageberichten beispielsweise zum Ausdruck, dass die US-Truppen die militärischen Fähigkeiten der Wehrmacht massiv überschätzt hatten.
Tatsächlich kommt der Vormarsch nach der Einnahme Ochsenfurts einige Tage in Stocken. Grund dafür ist die massive Gegenwehr, auf die die US-Truppen im Bereich von Zeubelried und Erlach trafen – eines der grausamsten Kapitel aus den letzten Kriegstagen. Das ursprüngliche Ziel, den Angriff der 42. US-Division auf Würzburg zu unterstützen, schlug deshalb fehl, so Menig. Als sich die US-Einheiten den Weg in Richtung Würzburg über Zeubelried, Erlach und Kaltensondheim freigekämpft hatten, war Würzburg bereits gefallen.
In einem Vortrag am Freitag, 4. April, um 18 Uhr im Bürgerhaus Ochsenfurt beleuchtet Georg Menig die Geschehnisse um den 1. April 1945 aus militärhistorischer Sicht.
Mich würden die führenden Ochsenfurter Protagonisten und deren Handlungen wahrend der Nazizeit und in den Nachkriegsjahren in OCH&Umfeld interessieren. Hat’s da eine echte Aufarbeitung gegeben?
Ist dieses Thema für die Historiker und die Presse immer noch so heiß, dass darüber tunlichst Stillschweigen bewahrt wird? Da in diesen Fällen vermutlich nicht sauber dokumentiert wurde, wäre es wichtig die letzten, noch verbliebenen Zeitzeugen, zu befragen.
Viele Grüße
Gerhard Meißner, Redakteur