Die eigenen körperlichen Grenzen erfahren, den Alltag hinter sich lassen oder die intensive Beschäftigung mit dem Glauben – jeder der rund 200 Wallfahrer, die am 26. August in aller Herrgottsfrühe von Ochsenfurt zum Kreuzberg losgezogen sind, hat seine eigenen Gründe, warum er sich auf den beschwerlichen, insgesamt 220 Kilometer langen Fußmarsch macht. In diesem Jahr gilt es sogar ein Jubiläum zu feiern. Seit 175 Jahren wallt die Ochsenfurter Kreuzbruderschaft zum heiligen Berg der Franken.
Es ist sie längste Wallfahrt, die zum Kreuzberg führt. Sechs Tage liegen vor den Pilgern, in denen sie sich ganz auf sich und ihren Weg konzentrieren können. Dabei zu sein ist einfach. Auch wenn die Kreuzbruderschaft um Anmeldung bittet, um besser planen zu können, sind jedes Mal Wallfahrer dabei, die sich erst in letzter Minute entschließen, sagt Josef Pfeuffer, der Präfekt der Kreuzbruderschaft. Und obwohl die Kreuzbergwallfahrt eine sehr katholische Tradition ist, spielen Konfessions- und Religionszugehörigkeit keine Rolle. Vor zwei Jahren ist sogar ein Muslim mitgewallt, erinnert sich Pfeuffer.
Von der monatelangen Vorbereitung, die hinter dem Vorstand der Kreuzbruderschaft liegt, merken die meisten Wallfahrer nichts. Im vergangenen Herbst bereits hat sich Josef Pfeuffer mit Vertretern der übrigen rund 50 Wallfahrtsgruppen auf dem Kreuzberg getroffen, um Termine abzustimmen. Im zeitigen Frühjahr begann die eigentliche Vorbereitung mit einer ersten Befahrung der Pilgerstrecke. Die hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum geändert. Trotzdem gilt es zu klären, ob die Wege noch in Ordnung sind oder etwa Baustellen oder neue Straßen die Route versperren. Schließlich sollen die Wallfahrer sicher und möglichst abseits von Autostraßen zu ihrem Ziel kommen.
Die wichtigste Rolle spielen dabei die Verkehrsbegleiter. Benno Emmert, der Erfahrenste unter ihnen, kennt inzwischen jeden Schritt auf dem Weg zum Kreuzberg. Auf seine Ortskenntnis vertrauen die Pilgerführer Werner Taubert, Klaus Pfeuffer und Bernhard Herrmann, die abwechselnd die Wallfahrt anführen. Ihnen obliegt es, das Tempo vorzugeben und den genau festgelegten Zeitplan einzuhalten.
Bei einem gemeinsame Einkehrtag im Kreuzberg-Kloster haben sich Vorstand, Pilgerführer, Vorbeter, Quartiermeister und all die übrigen, die für einen reibungslosen Ablauf gebraucht werden, schon im März auf die kommende Wallfahrt eingestimmt. Dabei wurde auch das Leitwort bestimmt. „Barmherzigkeit verändert die Welt“ lautet es in diesem Jahr – als Antwort auf die vielen internationalen Konflikte, die zurzeit die Nachrichten beherrschen.
Dieses Leitwort greifen auch das Vorbeter-Team und Stadtpfarrer Oswald Sternagel auf, die sich bemühen, neben altbekannten Gebeten zeitgemäße Texte für die Wallfahrt zu finden, erzählt Josef Pfeuffer.
Phasen des Gebets und der Meditation wechseln sich während der Wallfahrt mit den Zeiten ab, in denen man mit dem Nebenmann plaudert oder still seines Weges geht. Die meiste Zeit geschieht dies bei strammem Schritt. Immerhin gilt es Tagesetappen von über 40 Kilometern zurückzulegen. Das passende Schuhwerk ist dafür Grundbedingung.
Eine wichtige Rolle im Team spielen die Kreuzberg-Musikanten. Einst aus der Musikkapelle Eichelsee hervorgegangen, haben sie sich unter Leitung von Franz Ruchser als eigenständige Kapelle etabliert. 16 Musiker begleiten die Wallfahrt in diesem Jahr. Zu den Traditionen der Kreuzberg-Wallfahrt gehören auch die Pilgergruppen, die sich unterwegs erst anschließen. Die größte gesellt sich in Geldersheim zu den Wallfahrern.
Josef Pfeuffer beeindruckt vor allem, wieviel Hilfsbereitschaft und Anerkennung den Wallfahrern entlang ihres Weges zuteil wird. Mancherorts werden ihnen kostenlos Getränke und eine kleine Stärkung gereicht. Anderswo erwarten Vereine und Pfarrgemeinderäte die Pilger mit einer Mahlzeit. Auch genügend Quartiere für die Nacht zu finden, sei kein Problem. Viele der Wallfahrer haben bereits seit Jahren feste Kontakte zu ihren Gastgebern. Enge Freundschaften sind daraus entstanden.
Erste Bekanntschaft mit der teils über Jahrzehnte gepflegten Gastfreundschaft machen die Wallfahrer schon am Samstag, wenn ihnen der Sportverein in Biebelried ein Frühstück serviert oder Landwirt Stefan Teske sie später in Euerfeld zu einer kurzen Rast einlädt. Er führt damit eine Tradition seiner Eltern und Großeltern fort.
Josef Pfeuffer ist 1983 zum ersten Mal zum Kreuzberg gewallt. Das bestandene Abitur sei für ihn damals der Anlass gewesen, erzählt er. 1997 übernahm er die Rolle des Präfekten. Auch innerhalb des Vorstands war der Generationswechsel fließend. Die Alten haben ihre Erfahrungen an die Jüngeren weitergegeben.
Die Zeiten, in denen Josef Pfeuffer auf dem Weg zum Kreuzberg Ruhe und Einkehr finden kann, sind seitdem rar geworden. Die Begeisterung fürs Wallfahren hat ihn dennoch nicht losgelassen, wie die meisten, die schon zum Kreuzberg gewallt sind. Oft seien es freudige Ereignisse oder Schicksalsschläge, die dafür den Anlass gegeben haben. „Probleme werden durch die Wallfahrt nicht gelöst“, meint Josef Pfeuffer, „aber man hat Zeit, sich über vieles klar zu werden.“
Kreuzbergwallfahrt
Eine Legende ist es wohl, dass Frankenapostel Kilian gemeinsam mit seinen Gefährten Kolonat und Totnan im 7. Jahrhundert das erste Kreuz auf dem Kreuzberg errichtet hat. Bezeugt ist die Wallfahrt zum Kreuzberg aber bereits seit dem 14. Jahrhundert.
1647, ein Jahr vor Ende des 30-Jährigen Krieges, entstand die Würzburger Kreuzbruderschaft und begründete damit die älteste, noch bestehende Wallfahrt zum heiligen Berg. Auch Gläubige aus Ochsenfurt schlossen sich dem alljährlichen Pilgerzug an, bis sie 1841 mit bischöflicher Erlaubnis eine eigene Kreuzbruderschaft gründeten.
1842 führte die erste eigenständige Wallfahrt von Ochsenfurt auf den Kreuzberg, seit 1843 beginnt sie immer am 26. August. Von wenigen kriegsbedingten Unterbrechungen abgesehen, wallten die Ochsenfurter bis 1951 jedes Jahr zum Kreuzberg, seitdem nur noch alle zwei Jahre.
110 Kilometer beträgt die einfache Entfernung von Ochsenfurt bis zum Kreuzberg. Die sechs Tagesetappen sind bis zu 45 Kilometer lang. MEG