Mit dem Kreuz-Erlass eröffnet der bayerische Ministerpräsident eine Diskussion über bayerische Traditionen im Umgang mit der Kirche. Ein Vergleich zeigt, dass Markus Söders Kreuz-Erlass ein Rückfall in Würzburgs vorbayerische Zeit ist.
Habe Mut, selbst zu denken!
Am Ende des 18. Jahrhunderts begeistern sich auch Würzburger für die Ideen der Aufklärung, die Kant 1784 als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ beschrieb. Sein Aufruf: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, kommt beim Würzburger Fürstbischof Karl Georg von Fechenbach nicht gut an. Er ist weltlicher und geistlicher Herrscher des Hochstifts Würzburg, eines kleinen selbstständigen Staates, wähnt sich von seinem Gott ins Amt eingesetzt glaubt sich im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit.
Kant rüttelt am Fundament bischöflichen Selbstverständnisses, wenn er meint, dass „bloßer Religionswahn und Afterdienst“ sei, was der Mensch außer einem guten Lebenswandel „noch zu tun können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden“.
Der Fürstbischof fürchtet um seine Macht, zurecht. Napoleons Grand Armee schießt sich mit den revolutionären Ideen durch Europa und zerschlägt die alte Ordnung. Am 22. September 1802 übergibt Napoleon das ehemalige Hochstift den Bayern, die sich auf seine Seite geschlagen hatten. Die trennen Kirche und Staat und nehmen dem Fürstbischof die weltliche Macht.
Die Bayern machen die Klöster dicht
Im Jahr 1803 schließen sie 13 der 19 Würzburger Klöster, sacken goldene Kreuze, Monstranzen, Kelche und sonstiges katholisches Geschirr ein, bringen es nach München und schmelzen es ein. An der Universität fördern sie die Natur- und Geisteswissenschaften und drängen die Bedeutung der Theologie zurück. Sie erlassen ein Bündel von Verordnungen, um „die ursprüngliche Würde der Religion wiederherzustellen“. Juden und Protestanten, vor über 200 Jahren von Julius Echter vertrieben, dürfen wieder in der Stadt leben.
Die Bayern greifen frontal Würzburgs barocke Katholizität an: Bei der Grabvorstellung Christi in der Karwoche soll nun „alle der Erhabenheit des Gegenstandes unwürdige Verzierung unterbleiben. Dahin gehören die farbigen Glaskugeln, Statuen, Wasserkünste und dergleichen mehr.“ Sie untersagen der Kreuzbruderschaft die Prozession auf den Kreuzberg, gestatten auch sonst keine Prozessionen und Bittgänge mehr, außer jener an Fronleichnam. Weihnachtskrippen dürfen künftig „lediglich kleinen Kindern zum Vergnügen dienen“. Die Christmette verlegen sie von Mitternacht auf 5 Uhr früh.
Keine „unwürdigen“ Leichenschmäuse mehr
Die Bayern erlassen eine Trauerordnung zur „Beseitigung abgeschmackter und kostspieliger Gewohnheiten“. Sie regeln die Kleidung des Leichnams, Holz und Anstrich des Sarges und die Zeit und Art der Trauer (vier Wochen für nahe Angehörige). Den Sarg auf den Schultern zum Friedhof zu tragen verbieten sie, die „unwürdigen und teuren“ Leichenschmäuse auch. Kinder unter fünf Jahren dürfen nur vom Totengräber, ohne Gefolge, zum Friedhof gebracht werden.
1806 nimmt Napoleon Würzburg den Bayern ab. Das ehemalige Hochstift macht er zum Großfürstentum, mit Ferdinand von Toskana, einem Bruder des österreichischen Kaisers, als Herrscher. Der Neue korrigiert die Reformen, bis die Bayern 1814 wieder übernehmen. Die katholische Kirche erkämpft sich ihre Privilegien Schritt für Schritt zurück. Bis heute zahlt der Freistaat einen Ausgleich für die materiellen Verluste der Kirche während der Säkularisation.