
Weil es in den Krankenhäusern und Pflegeheimen an Mitarbeitenden fehlt, wirbt die Bundesagentur für Arbeit um ausländische Fachkräfte. Das Problem nicht neu, ebenso wenig wie der Lösungsversuch. Vor genau 50 Jahren kam Sounghie Morgenroth als ausgebildete Krankenschwester aus Südkorea nach Ochsenfurt. Sie war eine von rund 10.000 Krankenschwestern, die zwischen 1963 und 1973 aus dem ostasiatischen Land nach Deutschland kamen, um den dringenden Bedarf an qualifiziertem Fachpersonal im Gesundheitswesen zu decken.
Als am 23. August 1972 ein Passagierflugzeug aus Südkorea in Köln landete, war die damals 23-jährige Sounghie Kim mit an Bord. In Busan aufgewachsen, einer Hafenstadt in Südkorea, beschloss die junge Krankenschwester, nach ihrem Examen erste Berufserfahrungen im Ausland zu sammeln. Damals wurden Krankenschwestern seitens der koreanischen Botschaft darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie sich für einen dreijährigen Arbeitsaufenthalt in Deutschland bewerben könnten. Sounghie nutzt die Gelegenheit. Doch aus den geplanten drei Jahren sind inzwischen 50 geworden. In Ochsenfurt lernte sie ihren Mann Hubert Morgenroth kennen und blieb.
Die Familien mussten der Ausreise zustimmen
In der Berufsschule seien die angehenden Krankenschwestern bereits auf die Möglichkeit hingewiesen worden, nach ihrem Abschluss in Deutschland arbeiten zu können, erzählt Sounghie Morgenroth. Sofern ihre Familien sich einverstanden erklärten, durften die jungen Frauen ausreisen.
Auch andere Länder hätten derartige Abkommen mit Südkorea gehabt. Morgenroth jedoch hat es nach Deutschland gezogen: "Für mich war Deutschland damals die beste Lösung. Westgermany, so hat's geheißen", erinnert sie sich lebhaft. Sie habe sich bei der Botschaft gemeldet, ohne zu wissen, wohin es sie verschlagen würde: "Ich wusste nur, dass ich das möchte, aber wohin ich kommen werde, wusste ich nicht".
Aus Neugierde habe sie vor ihrer Abreise im Atlas nach der Stadt Ochsenfurt gesucht. Aufgrund der überschaubaren Größe der Stadt sei sie jedoch nicht fündig geworden. So flog Morgenroth blind nach Köln, wo sie von einer Ordensschwester aus Ochsenfurt und deren Nichte, die auf Englisch dolmetschte, sowie einem Fahrer freundlich empfangen wurde.
Ähnlich wie heute herrschte damals ein großer Mangel an Pflegepersonal, unter anderem an qualifizierten Krankenschwestern. Während Südkorea in den 1960er Jahren noch als Entwicklungsland galt, sprach man hierzulande vom Wirtschaftswunder. Der Konjunkturaufschwung sorgte für eine hohe Geburtenrate. Die Zeit der sogenannten Babyboomer hielt noch bis weit in die 70er Jahre an. Und so habe man Morgenroth gleich der Wochenbettstation zugeteilt.
Dort sei der Bedarf damals sehr hoch gewesen: "Es gab jeden Tag eine oder mehrere Geburten", so Morgenroth. Deshalb habe man in der Kinderstation händeringend nach Krankenschwestern gesucht. In Ochsenfurt war sie damals die einzige Krankenschwester aus Korea. Bis zur Auflösung der Geburtenstation in der Ochsenfurter Main-Klinik im Jahr 2007 sei Morgenroth ausschließlich als Kinderkrankenschwester tätig gewesen.
Viele Krankenschwestern aus Südkorea sind geblieben
Wie viele andere Krankenschwestern aus Korea ist auch Morgenroth nach Ablauf der drei Jahre in Deutschland geblieben. Da sie gut deutsch sprach und einer Beschäftigung nachging, habe sie problemlos eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Nach Angaben der koreanischen Botschaft seien damals etwa ein Drittel der Krankenschwestern dauerhaft geblieben, erzählt sie.
Sie selbst habe wenig Kontakt zu anderen koreanischen Krankenschwestern gepflegt. Dennoch habe sie mitbekommen, dass manche geheiratet hätten und hiergeblieben seien. Auch sie heiratete rund fünf Jahre nach ihrer Ankunft in Ochsenfurt. Durch die Heirat habe sie sich zwischen der deutschen und koreanischen Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Sie wählte die deutsche. Schließlich sollte Deutschland ihr Lebensmittelpunkt bleiben.
Die Ölkrise stoppte die Anwerbung
Obwohl die Bundesregierung ab 1973 aufgrund der Ölkrise und dem damit verbundenen Konjunkturabschwung weitere Anwerbungen einstellte, habe es für die Krankenschwestern die Möglichkeit gegeben, ihre Arbeitsverträge um drei bis vier Jahre zu verlängern. Denn im Gesundheitswesen war die Nachfrage nach Pflegepersonal und Krankenschwestern weiterhin hoch.
Heute, wo die Zahl der Pflegebedürftigen schneller steigt, als das Personal nachkommt, gibt es auch Anwerbeabkommen mit anderen Ländern. Laut dem jüngsten Barmer-Pflegereport werden bis zum Jahr 2030 in Deutschland rund sechs Millionen Menschen pflegebedürftig sein. Das entspricht in etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Um dem Pflegebedarf nachzukommen, hat die Bundesregierung seit 2012 Anwerbeabkommen mit Vietnam, China, Mexiko und Brasilien. Seit 2019 auch mit dem Kosovo.
Die Arbeit auf der Geburtsstation wurde zur Berufung
Anfangs hatte Sounghie Morgenroth nicht damit gerechnet, länger als drei Jahre hier zu bleiben. Doch sie habe sich hier schnell wohl gefühlt. Außerdem habe sich die Tätigkeit in der Wochenbettstation für sie als eine Berufung herausgestellt, erzählt sie. Als die Entbindungsstation aufgrund der geringen Geburtenzahlen schließen musste, arbeitete Morgenroth noch einige Jahre auf anderen Stationen der Main-Klinik, bevor sie 2010 in Frührente ging.
An ihre Zeit in der Klinik denke sie gern zurück. Sie sei mit allen Mitarbeitenden gut ausgekommen: "In der Station nannten mich alle einfach nur Kim", erinnert sich die pensionierte Krankenschwester. Ihr damaliger Nachname sei leichter auszusprechen gewesen als der Vorname, weshalb sie sich irgendwann auch nur noch als Kim vorstellte.