In Deutschland lebt derzeit jedes fünfte Kind in Armut, rund 2,5 Millionen Kinder sind nach aktuellen Studien betroffen. Mit seinem am Freitag vorgelegten „Kinderreport 2018“ fordert das Deutsche Kinderhilfswerk deutlich mehr Einsatz von Staat und Gesellschaft.
Wichtigste Auslöser von Kinderarmut seien zu geringe Einkommen der Eltern durch prekäre Arbeitsverhältnisse. Vor allem Alleinerziehende geraten mit ihren Kindern leicht in die Armutsspirale.
Armut: Weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens
Nach EU-Definition gelten Familien als arm, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verfügen. Danach lag in Deutschland die Armutsschwelle für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren im Jahr 2015 bei einem verfügbaren Nettoeinkommen von 1978 Euro pro Monat.
Das Kinderhilfswerk hatte für seinen aktuellen Report eine Umfrage unter 1600 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Auftrag gegeben. Rund drei Viertel der Befragten waren der Auffassung, dass Kinderarmut zu wenig bekämpft wird. Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerks, fordert ein ausreichend finanziertes Gesamtkonzept und Reformen in den verschiedenen Politikfeldern.
Forderungen nach einer Grundsicherung für Kinder
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bewertete bei der Vorstellung des Kinderreports die im Sonderungspapier von Union und SPD vereinbarte Erhöhung des Kindergeldes um 25 Euro als unzureichend, um die bedrückende Kinderarmut zu verringern. „Wir müssen intensiv über die Einführung einer Kindergrundsicherung diskutieren“, sagte Weil. Eine solche mahnt auch das Kinderhilfswerk an. Die Grundsicherung solle das Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie gewährleisten.
Weil sprach sich ferner für eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz aus, so wie dies in der niedersächsischen Landesverfassung geschehen sei. In der Umfrage fordert ein Großteil mehr Unterstützung für einkommensschwache Familien – durch Lehrmittelfreiheit, kostenlosen Zugang zu Bildung, Kultur und Sport, Ganztagsbetreuung und kostenfreies Essen in Schulen und Kitas.
Caritas: „Wir merken es bereits in den Kitas“
Beim Caritasverband der Diözese Würzburg, zuständig für rund 500 Kinder-Tageseinrichtungen in Unterfranken, schlägt das Thema Kinderarmut konkret auf. „Wir merken es bereits in den Kitas“, sagt Fachbereichsleiter Michael Deckert. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung leben in Unterfranken zwar „nur“ zwölf Prozent der Kinder unterhalb der Armutsgrenze. Aber Fälle gibt es zuhauf: „Monatsbeiträge können nicht bezahlt werden, das warme Mittagessen wird im Einzelfall bezuschusst, die Kosten für den Ausflug vom Förderverein übernommen“, berichtet Deckert.
Vielerorts könne Kinderarmut durch staatliche Töpfe, private Spenden oder Gelder aus der Caritassammlung kompensiert werden. Der Fachmann weiß aber auch: „Niemand hängt die Armut an die große Glocke.“ Entsprechend habe man die Kita-Mitarbeiter sensibilisiert, niemand solle bloßgestellt werden.
Alleinerziehende haben besonders mit Armut zu kämpfen
Ähnlich ist die Situation an den Schulen. Eigentlich kostenfrei, müssen Eltern monatlich mit Ausgaben für ihre Kinder rechnen. „Wenn's nicht anders geht, fließen auf Antrag hin staatliche Gelder, der Elternbeirat springt ein, die Kirchengemeinde oder die Caritas“, so Sabrina Göpfert, zuständig für den Bereich Jugend und Familie. Trotz greifender Hilfsangebote seien besonders Kinder alleinerziehender Mütter oder Väter mit einem geringen Einkommen gefährdet.
Eine Diagnose, die das Diakonische Werk teilt. Dort ist Kinderarmut eines der Hauptthemen in diesem Jahr. „Ja“, bestätigt Andreas Schrappe als Leiter des Evangelischen Beratungszentrums in Würzburg, „wir bekommen die Probleme in unsere Arbeit zu spüren und versuchen unter anderem mit Hilfsfonds entgegenzuwirken.“ Auch die Diakonie macht sich für eine Grundsicherung stark.
Mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit in der Bildung fordert Diözesan-Caritasdirektorin Pia Theresia Franke: „Angesichts der guten Lage sind zwölf Prozent Kinderarmut immer noch viel zu hoch.“
Kindertafeln in Würzburg und Schweinfurt schmieren Pausenbrote
Dass Kinder hungrig in die Schule kommen, ist auch in Mainfranken keine Seltenheit. Deshalb organisieren und schmieren Ehrenamtliche in den Kindertafeln Würzburg und Schweinfurt täglich Pausenbrote und fahren sie an Schulen aus. Dort werden sie – in der Regel anonym – an bedürftige Kinder verteilt. In Würzburg ist in diesem Schuljahr die Zahl der Brote schlagartig um mehr als die Hälfte von 220 auf 360 gestiegen.
Der Bedarf wächst – und offenbar bei Schulleitern auch die Bereitschaft, auf das Angebot zurückzugreifen. Kindertafel-Mitbegründerin Ute Kremen sagt: „Die Augen werden immer weniger verschlossen.“ Auch durch den Zuwachs an Flüchtlingskindern sei der Bedarf gestiegen. Kremen ist überzeugt, dass Eltern in vielen Fällen aus Geldmangel kein ordentliches Pausenbrot machen. Hinzu komme die seelische Verwahrlosung, wo Eltern sich zu wenig für ihre Kinder interessieren.